Abc des EU-Rechts

VORWORT

Die von der Europäischen Union (EU) getragene Rechtsordnung ist heute zu einem festen Bestandteil unserer politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden. Auf der Grundlage der EU-Verträge werden jedes Jahr Tausende von Entscheidungen getroffen, die die Wirklichkeit der Mitgliedstaaten der EU und ihrer Bürger entscheidend mitgestalten. Der Einzelne ist längst nicht mehr nur Bürger seines Landes, seiner Stadt oder seiner Gemeinde, sondern eben auch EU-Bürger. Nicht zuletzt deshalb ist es von großer Wichtigkeit, dass die EU-Bürger über die auch ihr tägliches Leben betreffende Rechtsordnung informiert sind. Die Gesamtkonstruktion der EU und ihrer Rechtsordnung erschließt sich allerdings nicht leicht dem Verständnis der Bürger. Zum Teil liegt dies schon an den Vertragstexten selbst, die häufig wenig übersichtlich und in ihrer Tragweite nicht leicht zu überschauen sind. Hinzu kommt, dass viele Begriffe, mit denen die Verträge der neuen Sachverhalte Herr zu werden suchen, ungewohnt sind. Im Folgenden soll daher versucht werden, interessierten Bürgerinnen und Bürgern einen ersten Einblick in die Konstruktion der EU sowie die tragenden Säulen der europäischen Rechtsordnung zu vermitteln. Auch wenn die Grundstruktur der EU und hier insbesondere ihrer Rechtsordnung sehr stabil ist, unterliegt sie gleichwohl immer wieder mehr oder minder großen Veränderungen, wie etwa im Hinblick auf die Folgen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU. Die vorliegende Ausgabe des Abc des EU-Rechts berücksichtigt alle wesentlichen Entwicklungen der Rechtsordnung der EU bis ins Jahr 2023.

Abkürzungsverzeichnis

AEU-Vertrag Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AKP Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean
EAG Europäische Atomgemeinschaft (Euratom)
EFTA European Free Trade Association
EG Europäische Gemeinschaft
EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention
EP Europäisches Parlament
ESM Europäischer Stabilitätsmechanismus
EU Europäische Union
EuG Europäisches Gericht
EuGH Gerichtshof der Europäischen Union
EU-Vertrag Vertrag über die Europäische Union
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EZB Europäische Zentralbank
KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
NATO North Atlantic Treaty Organisation – Nordatlantikvertragsorganisation
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts

Zeittafel

26. Juni 1945: Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen in San Francisco

9. September 1946: Rede von Winston Churchill in Zürich über die Vorzüge der Vereinigten Staaten von Europa

17. März 1948: Unterzeichnung des Vertrags über die Gründung der Westeuropäischen Union in Brüssel

4. April 1949: Unterzeichnung des Nordatlantikvertrags zur Gründung der NATO in Washington

16. April 1949: Gründung der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Paris

5. Mai 1949: Unterzeichnung des Vertrags über die Gründung des Europarats in Straßburg

9. Mai 1950: Deklaration von Robert Schuman über die Schaffung der Montanunion als erster Etappe einer Europäischen Föderation

4. November 1950: Unterzeichnung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Rom

18. April 1951: Unterzeichnung des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) in Paris durch Belgien, Westdeutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande – Laufzeit: 50 Jahre

23. Juli 1952: Inkrafttreten des EGKS-Vertrags

1. Juni 1955: Außenministerkonferenz von Messina zur Vorbereitung des EWG-Vertrags

25. März 1957: Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) und zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG-Vertrag) in Rom durch Belgien, Westdeutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande (Römische Verträge)

1. Januar 1958: Inkrafttreten der Römischen Verträge

4. Januar 1960: Gründung der Europäischen Freihandelsassoziation in Stockholm durch Dänemark, Großbritannien, Österreich, Norwegen, Portugal, Schweden und die Schweiz

14. Dezember 1960: Unterzeichnung des Übereinkommens über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Paris

8. April 1965: Unterzeichnung des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Fusionsvertrag)

1. Juli 1967: Inkrafttreten des Fusionsvertrags

1. Januar 1973: Beitritt Dänemarks, Großbritanniens und Irlands zu den Europäischen Gemeinschaften

1. August 1975: Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki

18. Dezember 1978: Gründung des Europäischen Währungssystems

7.-10. Juni 1979: Erste Direktwahl des Europäischen Parlaments

1. Januar 1981: Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften

1. Januar 1985: Austritt Grönlands aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

14. Juni 1985: Schengener Abkommen zwischen Belgien, Westdeutschland, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden betreffend den schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen

1. Januar 1986: Beitritt Portugals und Spaniens zu den Europäischen Gemeinschaften

1. Juli 1987: Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte

3. Oktober 1990: Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und Eingliederung in die Europäischen Gemeinschaften

7. Februar 1992: Unterzeichnung des Vertrags über die Europäische Union in Maastricht (Unions-Vertrag)

2. Mai 1992: Unterzeichnung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) in Porto

1. Januar 1993: Inkrafttreten des EG-Binnenmarktes

1. November 1993: Inkrafttreten des Unions-Vertrags (Vertrag von Maastricht)

1. Januar 1994: Inkrafttreten des EWR-Abkommens

1. Januar 1995: Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens zur Europäischen Union

1. März 1995: Inkrafttreten des Schengener Durchführungsübereinkommens (weitere Mitglieder bis März 2001: Dänemark, Griechenland, Spanien, Italien, Österreich, Portugal, Finnland und Schweden)

16. Juli 1997: „Agenda 2000“ der Europäischen Kommission zur Erweiterung der EU

2. Oktober 1997: Unterzeichnung des Vertrags von Amsterdam

12. Dezember 1997: Beginn des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union durch den Europäischen Rat in Luxemburg

1. Oktober 1998: Inkrafttreten der Europol-Konvention (Polizeiliche Zusammenarbeit in der EU)

1. Januar 1999: Einführung der gemeinsamen europäischen Währung „Euro“

1. Mai 1999: Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam

24. März 2000: Verabschiedung der Lissabon-Strategie zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erneuerung der EU

8. Dezember 2000: Feierliche Proklamation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

26. Februar 2001: Unterzeichnung des Vertrags von Nizza

1. Januar 2002: Einführung der Euro-Banknoten und Euro-Münzen als Zahlungsmittel

28. Februar 2002: Errichtung von Eurojust (seit 2019 Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen)

1. Februar 2003: Inkrafttreten des Vertrags von Nizza

1. Mai 2004: Beitritt von Tschechien, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und Slowakei zur EU

29. Oktober 2004: Unterzeichnung des Vertrags über eine neue Verfassung für Europa

Mai/Juni 2005: Ablehnung des Vertrags über eine Verfassung für Europa in Referenden in Frankreich (54,7 % stimmen mit Nein) und den Niederlanden (61,7 % stimmen mit Nein)

1. Januar 2007: Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur EU

1. Januar 2007: Einführung des Euro in Slowenien

1. März 2007: Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte

12. Dezember 2007: Feierliche Proklamation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch das Europäische Parlament, den Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission in Straßburg

13. Dezember 2007: Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon

21. Dezember 2007: Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und die Slowakei treten dem Schengen-Raum bei

1. Januar 2008: Einführung des Euro in Zypern und auf Malta

12. Juni 2008: 1. Referendum in Irland über den Vertrag von Lissabon (53,4 % stimmen mit Nein)

12. Dezember 2008: Die Schweiz tritt dem Schengen-Raum bei

1. Januar 2009: Einführung des Euro in der Slowakei

2. Oktober 2009: 2. Referendum in Irland über den Vertrag von Lissabon (67,1 % stimmen mit Ja)

1. Dezember 2009: Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon

1. Dezember 2009: Herman Van Rompuy wird erster Präsident des Europäischen Rates; Baroness Catherine Ashton wird erste Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik

21. Juni 2010: Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes

1. Januar 2011: Einführung des Euro in Estland

1. Januar 2011: Europäische Finanzaufsichtsbehörde nimmt ihre Arbeit auf

25. März 2011: Euro-Plus-Paket zur wirtschaftspolitischen Koordinierung der Wirtschafts- und Währungsunion

19. Dezember 2011: Liechtenstein tritt dem Schengen-Raum bei

30. Januar 2012: 25 Mitgliedstaaten einigen sich auf einen Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion.

2. Februar 2012: Europäischer Stabilitätsmechanismus wird vertraglich besiegelt

1. Juli 2013: Beitritt Kroatiens zur EU

1. Januar 2014: Einführung des Euro in Lettland

18. September 2014: Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands: 55,3 % stimmen mit Nein, 44,7 % stimmen mit Ja

1. Januar 2015: Einführung des Euro in Litauen

12. März 2015: Island nimmt seinen Beitrittsantrag förmlich zurück

23. Juni 2016: Austrittsreferendum im Vereinigten Königreich (51,9 % stimmen für den Austritt)

30. Dezember 2016: Inkrafttreten des „Klimaschutzübereinkommens von Paris“ durch die EU nach Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten

29. März 2017: Notifizierung des Austrittsverlangens des Vereinigten Königreichs durch die britische Premierministerin Theresa May

31. Januar 2020: Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nach 47 Jahren Mitgliedschaft

9. Mai 2020: 70 Jahre Schuman-Erklärung

1. Januar 2021: Das Vereinigte Königreich verlässt den Binnenmarkt und die Zollunion der EU sowie sämtliche EU-Politiken und -Handelsabkommen nach Ablauf der Übergangszeit. An die Stelle tritt das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich

10. März 2021: Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung von EP, Rat und Kommission Zur Konferenz über die Zukunft Europas

28. Juni 2021: EU verabschiedet ihr erstes Klimagesetzbuch

1. Januar 2023: Einführung des Euro in Kroatien (20. Mitglied der Eurozone)

1. Januar 2023: Kroatien tritt dem Schengen-Raum bei

Von Paris nach Lissabon über Rom, Maastricht, Amsterdam und Nizza

Noch bis kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich unser staatliches und politisches Leben fast vollständig auf der Grundlage nationaler Verfassungen und Gesetze. Diese stellten in unseren demokratischen Staaten diejenigen Verhaltensregeln auf, die für die Bürger, die Parteien, aber auch für den Staat und seine Organe verbindlich waren. Erst der völlige Zusammenbruch Europas sowie der wirtschaftliche und politische Verfall des alten Kontinents schufen die Voraussetzungen für einen Neubeginn und gaben der Idee einer neuen europäischen Ordnung neuen Aufschwung.

In ihrer Gesamtheit bieten die europäischen Einigungsbemühungen der Nachkriegszeit ein verwirrendes Bild komplizierter und nur schwer überschaubarer Organisationen. So existieren nebeneinander und ohne rechte Verbindung zueinander die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), die NATO (North Atlantic Treaty Organisation = Nordatlantikvertragsorganisation/Nordatlantikpakt), der Europarat und die Europäische Union.

Diese Vielfalt europäischer Gebilde gewinnt erst dann eine Struktur, wenn man sich vergegenwärtigt, welche konkreten Zielsetzungen sich hinter diesen Organisationen verbergen. Sie lassen sich in drei große Gruppen einteilen:

Erste Gruppe: die europäisch-atlantischen Organisationen

Die europäisch-atlantischen Organisationen sind aus der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Verbundenheit der Vereinigten Staaten von Amerika mit Europa hervorgegangen. So war es kein Zufall, dass die erste europäische Organisation der Nachkriegszeit, die im Jahr 1948 gegründete OEEC (Organisation for European Economic Cooperation = Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit), auf eine Initiative der Vereinigten Staaten zurückgeht. Deren damaliger Außenminister George Marshall forderte 1947 die Staaten Europas auf, ihre Anstrengungen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu vereinen. Hierfür sagte er die Unterstützung der USA zu, die sich im „Marshallplan“ verwirklichte und die Grundlage für den schnellen Wiederaufbau Westeuropas bildete. Das Hauptanliegen der OEEC bestand zunächst in der Liberalisierung des Handels zwischen den Staaten. Als ergänzende Zielsetzung wurde 1960, dem Beitrittsjahr Kanadas und der Vereinigten Staaten, die Wirtschaftsförderung in der Dritten Welt durch Entwicklungshilfe festgeschrieben; aus der OEEC wurde die OECD, die heute über 38 Mitglieder verfügt.

Paul-Henri Spaak sitzt an einem Tisch und unterzeichnet den Vertrag. Hinter ihm stehen mehrere Delegierte, einer davon beugt sich über den Tisch, rechts und links von ihm sitzt jeweils ein Delegierter.

Der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak unterzeichnet den Vertrag über die Fusion der Exekutivorgane der drei Gemeinschaften (EGKS, EWG, Euratom), Brüssel, Belgien, 8. April 1965. Mit dem Vertrag wurden ein gemeinsamer Rat und eine gemeinsame Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingesetzt.

Der OEEC folgte 1949 als militärischer Pakt mit Kanada und den Vereinigten Staaten die NATO. Ziel der NATO ist die kollektive Verteidigung bzw. der kollektive Beistand. Sie wurde als Teil eines globalen Sicherheitsgürtels zur Eindämmung des sowjetischen Einflusses konzipiert, hat sich nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ im Jahr 1989 und dem darauf folgenden Auseinanderbrechen der Sowjetunion immer mehr zu einer Organisation zur Krisenbewältigung und Stabilitätsförderung gewandelt. Der NATO gehören 31 Staaten an, darunter 22 Mitgliedstaaten der EU (nicht eingeschlossen Irland, Zypern, Malta, Österreich und Schweden), Albanien, Island, Kanada, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, die Türkei, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich. Zur Stärkung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten wurde 1954 die Westeuropäische Union (WEU) gegründet. Die WEU markierte den Anfang der Entwicklung einer Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa. Ihre Rolle wurde jedoch nicht ausgebaut, und die meisten ihrer Kompetenzen wurden an andere internationale Institutionen, insbesondere die NATO, den Europarat und die EU, übertragen. Konsequenterweise wurde die WEU zum 30. Juni 2011 aufgelöst.

Zweite Gruppe: Europarat und Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Für die zweite Gruppe europäischer Organisationen ist kennzeichnend, dass sie ihrer Struktur nach so aufgebaut sind, dass möglichst vielen Staaten die Mitwirkung in ihnen ermöglicht wird. Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass diese Organisationen über die traditionelle zwischenstaatliche Zusammenarbeit nicht hinauskommen.

Robert Schuman steht in der Mitte eines imposanten Saals vor einem reich verzierten Kamin und spricht zu am Tisch sitzenden oder stehenden Delegierten.

Schuman-Erklärung am 9. Mai 1950 im Uhrensaal des Außenministeriums am Quai d’Orsay in Paris: Der französische Außenminister Robert Schuman schlägt vor, die europäische Kohle- und Stahlindustrie in einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zusammenzulegen. Auf diese Weise solle ein Krieg zwischen den beteiligten Staaten nicht nur undenkbar, sondern auch materiell unmöglich gemacht werden.

Zu diesen Organisationen gehört der am 5. Mai 1949 als politische Organisation gegründete Europarat, der heute über 46 Mitglieder verfügt, darunter alle gegenwärtigen Mitgliedstaaten der EU. Im Statut des Europarats gibt es weder einen Hinweis auf das Streben nach einer Föderation oder Union noch sieht es die Übertragung oder Zusammenlegung von Teilen der nationalen Souveränität vor. Die Entscheidungen werden im Europarat in allen wesentlichen Fragen nach dem Grundsatz der Einstimmigkeit getroffen. Jeder Staat kann demnach durch ein Veto das Zustandekommen von Beschlüssen verhindern. Damit bleibt der Europarat in seiner Konstruktion ein Organ internationaler Zusammenarbeit.

Im Rahmen des Europarats wurden zahlreiche Konventionen auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Kultur, der Sozialpolitik und des Rechts geschlossen. Die bedeutendste und zugleich auch bekannteste ist die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK = Europäische Menschenrechtskonvention) vom 4. November 1950, der inzwischen alle 46 Mitglieder des Europarats beigetreten sind. Mit ihr wurde für die Mitgliedstaaten nicht nur ein praktisch bedeutsamer Mindeststandard für die Wahrung der Menschenrechte geschaffen, sondern auch ein Rechtsschutzsystem verankert, das es den durch die Konvention in Straßburg eingerichteten Organen, der Europäischen Kommission für Menschenrechte und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, erlaubt, im Rahmen der Konvention Menschenrechtsverletzungen in den Mitgliedstaaten zu verurteilen.

Zu dieser Gruppe gehört weiterhin die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die im Jahr 1994 gegründet wurde und aus der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) hervorgegangen ist. Die OSZE, der gegenwärtig 57 Länder angehören, ist den Grundsätzen und Zielen verpflichtet, wie sie in der Helsinki-Akte von 1975 und der Pariser Charta von 1990 niedergelegt sind. Dazu gehört neben der Förderung vertrauensbildender Maßnahmen zwischen den europäischen Staaten auch die Schaffung eines „Sicherheitsnetzes“, das die Beilegung von Konflikten mit friedlichen Mitteln ermöglichen soll.

Dritte Gruppe: Europäische Union

Die dritte Gruppe der europäischen Organisationen bildet die Europäische Union (EU). Das gegenüber den herkömmlichen internationalen Staatenverbindungen grundlegend Neue der EU besteht darin, dass die Mitgliedstaaten zugunsten der EU auf Teile ihrer Souveränität verzichtet und die Union mit eigenen, von den Mitgliedstaaten unabhängigen Machtbefugnissen ausgestattet haben. In Ausübung dieser Befugnisse ist die EU in der Lage, europäische Rechtsakte zu erlassen, die in ihren Wirkungen den staatlichen Hoheitsakten gleichkommen.

Den Grundstein zur Bildung der EU legte der damalige französische Außenminister Robert Schuman mit seiner Erklärung vom 9. Mai 1950, in der er den von ihm und Jean Monnet entwickelten Plan vorstellte, die europäische Kohle- und Stahlindustrie in einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu vereinigen. Damit sollte gleichsam eine historische Initiative für ein „organisiertes und lebendiges Europa“ gesetzt werden, das für die „Zivilisation unerlässlich“ ist und ohne das der „Friede der Welt nicht gewahrt werden“ kann.

Der „Schuman-Plan“ wurde mit Abschluss des Gründungsvertrags der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS = Montanunion) durch die sechs Gründerstaaten (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande) am 18. April 1951 in Paris („Pariser Vertrag“) und seinem Inkrafttreten am 23. Juli 1952 schließlich Realität. Diese Gemeinschaft war auf 50 Jahre geschlossen und ist mit dem Auslaufen ihres Gründungsvertrags am 23. Juli 2002 in die Europäische Gemeinschaft „integriert“ worden. Im Anschluss daran wurden durch dieselben Staaten einige Jahre später mit den Verträgen von Rom vom 25. März 1957 („Römische Verträge“) die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG = Euratom) geschaffen, die mit dem Inkrafttreten der Verträge am 1. Januar 1958 ihre Tätigkeiten aufnahmen.

Die Gründung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht eröffnete eine neue Etappe auf dem Weg zur politischen Einigung Europas. Dieser Vertrag, der bereits am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde, aber erst wegen einiger Hindernisse im Ratifizierungsverfahren (Zustimmung der dänischen Bevölkerung erst in einem zweiten Referendum; Verfassungsklage in Deutschland gegen seine parlamentarische Zustimmung zum Vertrag) am 1. November 1993 in Kraft treten konnte, bezeichnet sich selbst als „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“. Er beinhaltet den Gründungsakt der Europäischen Union, ohne diese allerdings selbst zu vollenden. Die Europäische Union trat dabei nicht an die Stelle der Europäischen Gemeinschaften, sondern stellte diese zusammen mit neuen Politiken und Formen der Zusammenarbeit unter ein gemeinsames Dach. Dies führte bildlich gesprochen zu drei Säulen, auf denen die Europäische Union beruhte: Die erste Säule bildeten die Europäischen Gemeinschaften: EWG (umbenannt in EG), EGKS (bis 2002) und EAG. Die zweite Säule bestand in der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die dritte Säule betraf die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres.

Eine erste Weiterentwicklung der EU wurde mit den Verträgen von Amsterdam und Nizza erreicht, die am 1. Mai 1999 bzw. am 1. Februar 2003 in Kraft getreten sind. Der Zweck dieser Vertragsreformen war es, der EU ihre Handlungsfähigkeit auch in einer um eine Vielzahl neuer Mitgliedstaaten erweiterten Union zu erhalten. Die beiden Verträge führten deshalb in erster Linie zu institutionellen Reformen. Im Vergleich zu vorangegangenen Reformrunden blieb der politische Wille zur Vertiefung der europäischen Integration vergleichsweise schwach.

Die dadurch vielfach hervorgerufene Kritik gab Anstoß zur Einleitung einer Debatte über die Zukunft der EU und ihrer institutionellen Ausgestaltung. Diese mündete in die Annahme einer Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union durch die Staats- und Regierungschefs am 5. Dezember 2001 im belgischen Laeken. Darin verpflichtete sich die EU, demokratischer, transparenter und effizienter zu werden und den Weg zu einer Verfassung zu eröffnen. Als ein erster Schritt zur Umsetzung dieser Zielvorgabe wurde die Ausarbeitung einer Europäischen Verfassung in die Hände eines Konvents zur Zukunft Europas gelegt, dem der frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing vorstand. Der vom Konvent ausgearbeitete Entwurf des „Vertrags über eine Verfassung für Europa“ wurde dem Vorsitzenden des Europäischen Rates am 18. Juli 2003 offiziell überreicht und von den Staats- und Regierungschefs am 17. und 18. Juli 2004 in Brüssel mit verschiedenen Änderungen verabschiedet.

Mit dieser Verfassung sollte aus der bisherigen Europäischen Union und der bisherigen Europäischen Gemeinschaft eine neue, einzige Europäische Union werden, die auf einem einzigen Verfassungsvertrag beruhen sollte. Daneben sollte lediglich die Europäische Atomgemeinschaft als weitere eigenständige Gemeinschaft bestehen bleiben, die jedoch – wie bisher – eng mit der neuen Europäischen Union verzahnt sein sollte. Dieser Verfassungsansatz ist dann aber im Ratifizierungsprozess durch die Mitgliedstaaten gescheitert. Nach anfänglichen positiven Voten in 13 der damals noch 25 Mitgliedstaaten wurde der Verfassungsvertrag der EU in Referenden in Frankreich (54,7 % Neinstimmen bei 69,3 % Beteiligung) und den Niederlanden (61,7 % Neinstimmen bei 63 % Beteiligung) abgelehnt.

Nach Verstreichen einer Reflexionsphase von beinahe zwei Jahren gelang es erst in der ersten Hälfte des Jahres 2007, ein neues Reformpaket auf den Weg zu bringen. Dieses Reformpaket nimmt formell Abschied vom europäischen Verfassungskonzept, wonach alle bestehenden Verträge aufgehoben und durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung „Vertrag über eine Verfassung der EU“ ersetzt werden sollten. Stattdessen wurde ein Reformvertrag entworfen, der ganz in der Tradition der Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza grundlegende Änderungen an den bestehenden EU-Verträgen vornimmt, um die Handlungsfähigkeit der EU nach innen und außen zu erhöhen, die demokratische Legitimation zu stärken und ganz allgemein die Effizienz des Handelns der EU zu verbessern. Ebenfalls nach guter Tradition wurde dieser Reformvertrag nach dem Ort seiner Unterzeichnung Vertrag von Lissabon getauft. Die Ausarbeitung des Vertrags von Lissabon ging außerordentlich zügig voran. Das lag insbesondere daran, dass die Staats- und Regierungschefs selbst auf der Sitzung des Europäischen Rates in Brüssel am 21. und 22. Juni 2007 in den Schlussfolgerungen im Detail festgelegt haben, in welcher Weise und in welchem Umfang die für den Verfassungsvertrag ausgehandelten Neuerungen in die bestehenden Verträge eingearbeitet werden sollten. Dabei gingen sie ganz untypisch vor und beschränkten sich nicht, wie sonst üblich, auf allgemeine Vorgaben, die dann von einer Regierungskonferenz umgesetzt werden sollten, sondern entwarfen selbst die Struktur und den Inhalt der vorzunehmenden Änderungen, wobei häufig sogar der genaue Text einer Vorschrift vorgegeben wurde.

Besonders strittig dabei waren vor allem die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, die Fortentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die neue Rolle der nationalen Parlamente im Integrationsprozess, die Einbindung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in das Unionsrecht sowie mögliche Fortschritte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Die 2007 einberufene Regierungskonferenz hatte somit nur wenig eigenen Handlungsspielraum und war lediglich ermächtigt, die gewünschten Änderungen technisch umzusetzen. Die Arbeiten der Regierungskonferenz konnten so bereits am 18./19. Oktober 2007 beendet werden; sie wurden auf dem zur gleichen Zeit in Lissabon stattfindenden informellen Treffen des Europäischen Rates politisch abgesegnet.

Der Vertrag wurde schließlich am 13. Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs der damals noch 27 Mitgliedstaaten der EU (Kroatien ist der EU erst 2013 beigetreten) in Lissabon feierlich unterzeichnet. Allerdings gestaltete sich auch das Ratifizierungsverfahren dieses Vertrages äußerst schwierig. Zwar nahm der Vertrag von Lissabon, anders noch als der Verfassungsvertrag, die Ratifizierungshürden in Frankreich und den Niederlanden, jedoch scheiterte die Ratifizierung zunächst in Irland in einem ersten Referendum am 12. Juni 2008 (53,4 % Neinstimmen bei 53,1 % Beteiligung). Erst nach Abgabe einiger rechtlicher Zusicherungen über die (begrenzte) Tragweite des neuen Vertragswerks wurden die Bürger in Irland im Oktober 2009 in einem zweiten Referendum zum Vertrag von Lissabon befragt. Dieses Mal erhielt der Vertrag eine breite Zustimmung durch die irische Bevölkerung (67,1 % bei 59 % Beteiligung). Der erfolgreiche Ausgang des Referendums in Irland machte zudem auch den Weg der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon in Polen und Tschechien frei. In Polen hatte Präsident Kaczynski seine Unterschrift unter die Ratifizierungsurkunde von dem erfolgreichen Ausgang des irischen Referendums abhängig gemacht. Auch der tschechische Präsident Václav Klaus wollte zunächst das irische Referendum abwarten und machte schließlich die Ausfertigung der Ratifizierungsurkunde zusätzlich von der Garantie abhängig, dass die sogenannten „Benes-Dekrete“ aus dem Jahr 1945, mit denen Gebietsansprüche auf ehemalige deutsche Gebiete in Tschechien ausgeschlossen wurden, durch den Vertrag von Lissabon, insbesondere die damit in den EU-Vertrag eingeführte Grundrechtecharta, in keiner Weise berührt würden. Nachdem auch für diese Forderung eine Lösung gefunden wurde, unterzeichnete der tschechische Präsident am 3. November 2009 die Ratifizierungsurkunde. Damit konnte das Ratifizierungsverfahren erfolgreich abgeschlossen werden, sodass der Vertrag von Lissabon am 1. Dezember 2009 in Kraft treten konnte.

Durch den Vertrag von Lissabon wurden die Europäische Union und die Europäische Gemeinschaft zur einzigen Europäischen Union verschmolzen. Der Ausdruck „Gemeinschaft“ wurde durchgängig durch den Ausdruck „Union“ ersetzt. Die Europäische Union trat an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft und wurde deren Nachfolgerin. Das Unionsrecht wird aber weiterhin durch folgende drei Verträge geprägt:

Geltende EU-Verträge

Vertrag über die Europäische Union

Der Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag) ist in folgende sechs Titel untergliedert: (I) Gemeinsame Bestimmungen, (II) Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze, (III) Bestimmungen über die Organe, (IV) Bestimmungen über eine Verstärkte Zusammenarbeit, (V) Allgemeine Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union und besondere Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und (VI) Schlussbestimmungen.

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) ist aus dem Vertrag über die Errichtung der Europäischen Gemeinschaft hervorgegangen. Der AEU-Vertrag folgt im Wesentlichen dem Aufbau des EG-Vertrags. Die wesentlichen Umstellungen betreffen das auswärtige Handeln der EU und die Einführung neuer Kapitel, insbesondere zur Energiepolitik, polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, Raumfahrt oder zu Sport und Tourismus.

Vertrag ZUR GRÜNDUNG der Europäischen Atomgemeinschaft

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG-Vertrag) ist nur punktuell geändert worden. Die jeweiligen spezifischen Änderungen sind in Protokollen vorgenommen worden, die dem Vertrag von Lissabon beigefügt wurden.

Der EU-Vertrag und der AEU-Vertrag haben den gleichen rechtlichen Stellenwert und stehen nicht etwa in einem Über- oder Unterordnungsverhältnis. Diese ausdrückliche rechtliche Klarstellung ist nötig, da die Art der Regelungsdichte in beiden Verträgen und der neue Titel des früheren EG-Vertrags (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) den Eindruck erwecken, dass es sich beim EU-Vertrag um eine Art Grundgesetz oder Grundlagenvertrag handelt, während der AEU-Vertrag eher als Durchführungsvertrag konzipiert erscheint. EU-Vertrag und AEU-Vertrag haben auch keinen formellen Verfassungscharakter. Die in den Verträgen insgesamt verwendete Begrifflichkeit spiegelt diese Änderung gegenüber dem früheren Verfassungsprojekt wider:

 

Der Ausdruck „Verfassung“ wird nicht verwendet, der „Außenminister der Union“ wird „Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ genannt und die Bezeichnungen „Gesetz“ und „Rahmengesetz“ werden aufgegeben. Ebenso enthalten die geänderten Verträge keinen Artikel, in dem die Symbole der EU wie Flagge oder Hymne erwähnt werden. Der Vorrang des EU-Rechts wird nicht in einer ausdrücklichen Vertragsvorschrift niedergelegt, sondern ergibt sich wie bisher aus einer Erklärung, die auf die zu dieser Frage einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU verweist.

Mit dem Vertrag von Lissabon wird außerdem das „Drei-Säulen-Modell“ der EU aufgegeben. Allerdings bleiben die besonderen Verfahren im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Europäischen Verteidigung, in Kraft; dem Vertrag beigefügte Erklärungen der Regierungskonferenz unterstreichen den spezifischen Charakter und die besondere Verantwortung der Mitgliedstaaten für diesen Politikbereich.

Mitgliedschaft in der EU

Die EU verfügt nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs derzeit über 27 Mitgliedstaaten. Dazu gehören zunächst die sechs Gründerstaaten der EWG, d. h. Belgien, Deutschland (nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 erweitert um das Gebiet der früheren DDR), Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Am 1. Januar 1973 sind Dänemark (vermindert um Grönland, dessen Bevölkerung sich im Februar 1982 in einer Volksbefragung mit einer knappen Mehrheit gegen den Verbleib der Insel in der EG aussprach), Irland und das Vereinigte Königreich (das die EU am 31. Januar 2020 wieder verlassen hat) der Gemeinschaft beigetreten; in Norwegen wurde der ebenfalls geplante Beitritt durch eine Volksabstimmung im Oktober 1972 abgelehnt (53,5 % Neinstimmen).

Die sogenannte „Süderweiterung“ der EU wurde eingeleitet mit dem Beitritt Griechenlands zum 1. Januar 1981 und wurde schließlich mit dem Beitritt Spaniens und Portugals zum 1. Januar 1986 abgeschlossen. Der Süderweiterung folgte zum 1. Januar 1995 der Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens zur EU. In Norwegen scheiterte der Beitritt – wie bereits 22 Jahre zuvor – am knappen „Nein“ seiner Bevölkerung, die sich im Rahmen eines Referendums mit 52,4 % erneut gegen eine Mitgliedschaft Norwegens in der EU ausgesprochen hatte. Am 1. Mai 2004 traten der EU die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die ost- und mitteleuropäischen Staaten Tschechien, Ungarn, Polen, Slowenien und Slowakei sowie die zwei Mittelmeerinseln Zypern und Malta bei. Nur gut zwei Jahre später wurde mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum 1. Januar 2007 die Osterweiterung fortgesetzt.

Jüngstes Mitglied der EU wurde zum 1. Juli 2013 Kroatien. Die Unionsbevölkerung wuchs auf heute 447 Millionen. Diese historische Erweiterung der EU bildet das Herzstück eines langen Prozesses, der die Wiedervereinigung der über ein halbes Jahrhundert durch den Eisernen Vorhang und den Kalten Krieg getrennten europäischen Völker ermöglicht hat. Die Erweiterungen der EU stehen folglich vor allem für den Willen, Frieden, Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstand auf einem vereinten europäischen Kontinent herbeizuführen.

Die EU steht auch weiteren Staaten zum Beitritt offen, sofern diese die vom Europäischen Rat 1993 in Kopenhagen festgelegten Beitrittskriterien erfüllen:

  • Politische Kriterien: Stabilität der Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Garantie der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz der Minderheiten;
  • Wirtschaftliche Kriterien: die Existenz einer funktionierenden Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der EU standhält;
  • Rechtliche Kriterien: die Fähigkeit zur Übernahme der mit der Mitgliedschaft in der EU verbundenen Pflichten, einschließlich des Einverständnisses mit den Zielen der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion.

Das Verfahren des Beitritts hat drei Stufen, die von allen derzeitigen Mitgliedsländern der EU genehmigt werden müssen:

  1. Einem Land wird die Perspektive der Mitgliedschaft eröffnet.
  2. Ein Land erhält den offiziellen Status als Kandidatenland, sobald es die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt, was jedoch noch nicht heißt, dass offizielle Verhandlungen eingeleitet werden.
  3. Mit dem Kandidatenland werden formelle Beitrittsverhandlungen eingeleitet, in denen die Modalitäten und Verfahren zur Übernahme der jeweils geltenden EU-Rechtsvorschriften vereinbart werden.

Wenn die Verhandlungen und begleitenden Reformen zur Zufriedenheit beider Seiten abgeschlossen sind, werden die Ergebnisse und die Bedingungen für den Beitritt in einem Beitrittsvertrag niedergelegt. Diesem Beitrittsvertrag muss zunächst das Europäische Parlament mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder zustimmen. Danach muss der Rat zustimmen, und zwar mit Einstimmigkeit. Die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags obliegt dann den Staats- und Regierungschefs der EU und des Beitrittslandes. Jeder Beitrittsvertrag muss danach von den Mitgliedstaaten der EU und dem Beitrittsland nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen „ratifiziert“ werden. Mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden ist das Beitrittsverfahren abgeschlossen und der Beitrittsvertrag tritt in Kraft. Das Beitrittsland wird dann zum Mitgliedstaat.

Beitrittsverhandlungen laufen zurzeit mit der Türkei (seit 2005), Montenegro (seit 2012), Serbien (seit 2014) und Albanien und Nordmazedonien (seit 2022).

Die Türkei hat ihren Beitrittsantrag am 14. April 1987 gestellt. Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei haben jedoch eine noch weiter zurückreichende Geschichte. Schon 1963 wurde ein Assoziationsabkommen zwischen der EWG und der Türkei geschlossen, in dem auf eine Beitrittsperspektive Bezug genommen wird. 1995 wurde eine Zollunion gegründet, und im Dezember 1999 hat der Europäische Rat in Helsinki der Türkei offiziell den Status eines Beitrittskandidaten verliehen. Dies war Ausdruck der Überzeugung, dass dieses Land die Grundlagen für ein demokratisches System besitzt, auch wenn noch enormer Handlungsbedarf bei der Achtung der Menschenrechte und dem Schutz der Minderheiten besteht. Auf der Grundlage einer Empfehlung der Kommission gab der Europäische Rat schließlich im Dezember 2004 grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die Verhandlungen begannen im Oktober 2005, gestalten sich aber nach wie vor schwierig. Dies liegt zum einen an der immer noch schlechten Bilanz bei der Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit, der Freiheit der Medien und der Korruptionsbekämpfung; zum anderen können acht Kapitel erst für Verhandlungen geöffnet und die bereits verhandelten Kapitel erst dann vorläufig geschlossen werden, wenn die Türkei das dem Ankara-Assoziierungsabkommen beigefügte Zusatzprotokoll zu Zypern ratifiziert hat. Das Endziel dieser Verhandlungen ist der Beitritt. Allerdings besteht keine Garantie dafür, dass dieses Ziel auch erreicht wird.

Island hat am 17. Juli 2009 seinen Beitrittsantrag gestellt. Die Verhandlungen über den Beitritt wurden 2010 offiziell aufgenommen; sie kamen zunächst auch gut voran, sind aber nach dem Regierungswechsel zunächst ins Stocken geraten und schließlich vollständig eingestellt worden, nachdem Island am 12. März 2015 seinen Beitrittsantrag zurückgezogen hat.

Im Jahr 2022 hat die EU Bosnien und Herzegowina, der Republik Moldau und der Ukraine den Status eines Bewerberlandes zuerkannt. Die Perspektive eines zukünftigen Beitritts zur EU wurde darüber hinaus dem Kosovo1 sowie Georgien eröffnet.

Aber auch für den Austritt aus der EU wird vorgesorgt: Im EU-Vertrag wurde eine Austrittsklausel eingeführt (Artikel 50 EU-Vertrag), die es einem Mitgliedstaat erlaubt, die EU zu verlassen. Der Austritt wird dabei an keine Bedingung geknüpft, sondern es bedarf dazu lediglich einer Übereinkunft zwischen der EU und dem betreffenden Mitgliedstaat über die Modalitäten des Austritts, oder, falls diese Übereinkunft nicht zustande kommt, des Verstreichens von zwei Jahren nach der Notifizierung der Austrittsabsicht, um den Austritt auch ohne Übereinkommen wirksam werden zu lassen. Ein Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der EU gegen dessen erklärten Willen ist dagegen selbst bei schweren und andauernden Vertragsverstößen nicht vorgesehen.

Von der Möglichkeit des Austritts wurde schneller Gebrauch gemacht, als man jemals erwartet hätte. Am 23. Juni 2016 sprachen sich in einem Referendum zur Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU 51,9 % der Briten (bei einer Beteiligung von 72,2 %) gegen den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union aus, was am 29. März 2017 zur formellen Übersendung der Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs aus der EU und der Europäischen Atomgemeinschaft an den Europäischen Rat führte. Drei Jahre nach dem britischen Referendum und nach äußerst turbulenten Verhandlungen über das Austrittsabkommen wurde der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nach 47 Jahren der Zugehörigkeit zur EU zum 31. Januar 2020 endgültig besiegelt. Mit dem Ablauf der Übergangsfrist am 31. Dezember 2020 hat das Vereinigte Königreich die EU am 1. Januar 2021 vollständig verlassen und ist damit vor allem aus dem europäischen Binnenmarkt, der Zollunion, den EU-Politiken und EU-Handelsabkommen ausgeschieden. Die zukünftigen Beziehungen der EU zum Vereinigten Königreich als Drittstaat sind in dem bilateralen Handels- und Kooperationsabkommen niedergelegt, das zusammen mit dem Austrittsabkommen, mit dem die Grundlagen des Austritts geregelt wurden, und der Politischen Erklärung, die den Rahmen der Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vorzeichnete, das Kernstück des Austritts.

Aus dem Austrittsabkommen sind vor allem zwei Gesichtspunkte besonders hervorzuheben:

  • Das Problem der irischen Grenze

Nachdem der von der EU verlangte „Backstop“, der zur Vermeidung einer fühlbaren Grenze zwischen Nordirland und Irland praktisch das gesamte Vereinigte Königreich in eine Zollunion mit der EU gezwungen hätte, jede Einigung unmöglich zu machen drohte, wurde in letzter Minute eine für beide Seiten akzeptable Regelung gefunden. Ein Protokoll zum Austrittsabkommen stellt unmissverständlich klar, dass Nordirland Teil des Zollgebiets des Vereinigten Königreichs ist. Die Handelsabkommen, die das Vereinigte Königreich nach Ablauf der Übergangsfrist und dem Verlassen der Zollunion der EU schließen kann, gelten auch uneingeschränkt in Nordirland. Nordirland wird deshalb eine Grenze mit Irland und damit mit dem Binnenmarkt und der Zollunion der EU haben, was theoretisch auch Warenkontrollen an dieser Grenze verlangen würde. Dies widerspräche aber dem Friedensabkommen von Belfast aus dem Jahre 1998 (auch bekannt als Good Friday Agreement), das nach 30 Jahren Bürgerkrieg zwischen dem Vereinigten Königreich, der Republik Irland und Unionisten sowie Nationalisten in Nordirland geschlossen wurde. Deshalb wurde im Austrittsabkommen vereinbart, die Zollgrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ins Meer zwischen dem Vereinigten Königreich und Nordirland zu verlegen. Nordirland bleibt dabei allen relevanten Zoll- und Marktregelungen der EU unterworfen, insbesondere den Warenverkehrsregelungen, den Gesundheitsstandards, den Produktionsstandards, den Verkaufsmodalitäten für Agrarprodukte, den Mehrwert- und Verbrauchssteuerregeln sowie den Regelungen über die staatliche Beihilfenaufsicht. Die in Nordirland hergestellten Waren können so ohne jede Grenzkontrolle nach Irland (und von dort an jeden Ort der EU) verbracht werden. Alle anderen Waren und Produkte, die nach Nordirland eingeführt werden, werden von den britischen Zollbehörden in den Schiffs- oder Flughäfen kontrolliert. Dabei muss vor allem festgestellt werden, ob diese Waren und Produkte allein für einen der britischen Märkte bestimmt sind, oder ob sie das „Risiko“ in sich bergen, über Irland in das Marktgebiet der EU verbracht zu werden. Ein Gemeinsamer Ausschuss wird auf der Grundlage bestimmter Kriterien (Natur und Wert des Produkts, Verwendung zum Direktverbrauch oder zur weiteren Verarbeitung, Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs etc.) das „Risiko“ einzugrenzen versuchen und Ausnahmen vorsehen. Die zollrechtliche Behandlung richtet sich dann nach der Zuordnung zum jeweiligen Zollgebiet: Sofern die Ware für den Markt in Nordirland vorgesehen ist, finden die britischen Zollregeln vollumfänglich Anwendung; besteht hingegen das „Risiko“, dass sich diese Waren auf dem Binnenmarkt der EU wiederfinden, finden die zollrechtlichen Vorschrift der EU Anwendung. Nach der Übergangszeit kann das nordirische Parlament alle vier Jahre mit einfacher Mehrheit entscheiden, ob sie die Anwendung der europäischen Regeln beibehalten wollen. Bei einer negativen Entscheidung verlieren die europäischen Vorschriften nach zwei Jahren auch in Nordirland ihre Gültigkeit. In diesem Fall müsste während einer Frist von zwei Jahren eine andere Lösung gefunden werden, die eine physische Grenze zwischen Nordirland und Irland verhindert.

  • Gegenseitige Bürgerrechte

Vor dem Hintergrund, dass 3,2 Millionen Unionsbürger im Vereinigten Königreich ansässig sind und dass 1,2 Millionen britische Staatsangehörige in der EU leben, ist die Frage des gegenseitigen Schutzes der Bürgerrechte eine absolute Priorität. Nach dem Austrittsabkommen genießen Unionsbürger und britische Bürger, die ihr Recht auf Aufenthalt im jeweiligen Hoheitsgebiet vor dem Ende der Übergangszeit (31.12.2020) ausgeübt haben und danach weiter dort wohnen, auf Lebenszeit alle Rechte, die ihnen auch vor dem Austritt zugestanden haben; dies schließt ihre Familienangehörige mit ein. Sie können auch nach dem Ende der Übergangszeit weiter ihren Lebensschwerpunkt dort bewahren, arbeiten oder studieren. Ihre Ehepartner, Kindern oder Enkelkinder, die in einem anderen Staat leben, können jederzeit in das Hoheitsgebiet des Familienangehörigen übersiedeln. Die Berechtigten bewahren auch sämtliche Ansprüche auf Gesundheitsleistungen und sonstige Leistungen der sozialen Sicherheit. Die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen wird gewährleistet. Jedwede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist auch weiterhin verboten, und dies über den Übergangszeitraum hinaus. Sie genießen vollständige Gleichbehandlung, insbesondere im Hinblick auf gleiche Rechte und Chancen beim Zugang zur Beschäftigung und Ausbildung. Allerdings gelten diese Rechte nicht mehr automatisch. Vielmehr mussten etwa Unionsbürger bis zum Juni 2021 ihren Status als Aufenthaltsberechtigter im Vereinigten Königreich geltend machen. Bei Versäumung der Frist kann dieser Status nur bei Vorliegen guter Gründe für die verspätete Antragstellung erlangt werden.

Das Handels- und Kooperationsabkommen wurde am 30. Dezember 2020 unterzeichnet. Es wurde seit dem 1. Januar 2021 vorläufig angewandt und trat am 1. Mai 2021 endgültig in Kraft.

Das Handels- und Kooperationsabkommen begründet unter anderem eine umfassende Wirtschaftspartnerschaft. Diese beruht im Kern auf einem Freihandelsabkommen, das weder Zölle noch Quoten vorsieht und damit bedeutende Handelshemmnisse abwendet. Eine solche Partnerschaft braucht aber auch gerechte Rahmenbedingungen. Deshalb haben beide Seiten weitreichende Regelungen vereinbart, um fairen Wettbewerb zu garantieren. Dies betrifft den Bereich der staatlichen Beihilfen ebenso wie Standards im Verbraucherschutz, Arbeitnehmerschutz, Umwelt- und Klimabereich. Von einer echten Wirtschaftspartnerschaft könnte aber nicht die Rede sein, wenn die zukünftigen Beziehungen nicht auch über Handelsfragen hinausgingen. Die EU und das Vereinigte Königreich haben sich deshalb auch in vielen anderen Feldern über den Rahmen der künftigen Kooperation geeinigt: Hierbei geht es um Dienstleistungen, Berufsqualifikationen, öffentliche Beschaffung, Umwelt- und Energiefragen, Luft-, See- und Schienengüterverkehr sowie Regelungen zu Sozialversicherung oder Forschung und Entwicklung. Im Rahmen des Abkommens wird sich das Vereinigte Königreich auch in Zukunft an einer Reihe von EU-Programmen beteiligen. Um der engen Verflechtung und geografischen Nähe von EU und Vereinigtem Königreich Rechnung zu tragen, begründet das Abkommen darüber hinaus auch eine enge Sicherheitspartnerschaft. Diese ermöglicht die Kooperation in den Bereichen Justiz und Inneres. Konkret heißt das, dass beide Seiten weiterhin beispielsweise im Rahmen von Europol (der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung) eng bei der Verbrechensbekämpfung zusammenarbeiten und sich gemeinsam in der Bekämpfung von Geldwäsche, transnationalem Verbrechen und Terrorismus abstimmen. Zudem regelt das Abkommen den gegenseitigen Datenaustausch, so zum Beispiel von Fluggastdaten oder Strafregistereinträgen. Entgegen dem Wunsch der EU enthält das Abkommen keine Regelungen zur Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die EU und das Vereinigte Königreich bleiben wichtige Partner in NATO, OSZE oder den Vereinten Nationen.

Die Grundwerte der Europäischen Union

Artikel 2 EU-Vertrag (Werte der Union)

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

Artikel 3 EU-Vertrag (Ziele der Union)

  1. Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.
  2. Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist.
  3. Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.

    Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes.

    Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.

    Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.

  4. Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist.
  5. In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.

[...]

Das Fundament für den Aufbau eines geeinten Europas bilden elementare Wertvorstellungen, zu denen sich die Mitgliedstaaten in Artikel 2 EU-Vertrag bekannt haben und deren Verwirklichung den handelnden Organen der EU aufgegeben ist. Zu diesen Grundwerten gehören: die Achtung der Menschenwürde, Gleichheit, Freiheit und Solidarität. Die EU bekennt sich ausdrücklich zur Wahrung der allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit sowie zum Schutz der Menschenrechte.

Diese Werte bilden nicht nur die Richtschnur für Staaten, die der EU zukünftig beitreten wollen, sondern schwerwiegende und dauerhafte Verletzungen dieser Werte und Grundsätze durch einen Mitgliedstaat können nach Artikel 7 EU-Vertrag auch sanktioniert werden. Dazu ist zunächst die einstimmige Feststellung der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat nötig, dass eine schwerwiegende und andauernde Verletzung der Werte und Grundsätze der Union vorliegt. Diese Feststellung treffen die Staats- und Regierungschefs auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Der Rat der EU kann dann mit qualifizierter Mehrheit bestimmte Rechte, die sich aus dem EU-Vertrag und aus dem AEU-Vertrag für den betreffenden Mitgliedstaat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat, aussetzen. Die sich aus den Verträgen ergebenden Verpflichtungen bleiben hingegen für den betreffenden Mitgliedstaat weiterhin verbindlich. Auch die Auswirkungen auf die den Bürgern und den Unternehmen zustehenden Rechte und obliegenden Pflichten werden besonders berücksichtigt.

Die Europäische Union als Garant des Friedens

Kein Motiv für die europäische Einigung wird übertroffen von dem Verlangen nach Frieden (vgl. Artikel 3 EU-Vertrag). Zwei Weltkriege sind im letzten Jahrhundert in Europa zwischen Staaten ausgetragen worden, die jetzt Mitgliedstaaten der EU sind. Deshalb bedeutet Europapolitik auch zugleich Friedenspolitik. Mit der Errichtung der EU ist das Kernstück für eine europäische Friedensordnung geschaffen worden, das einen Krieg zwischen ihren Mitgliedsländern unmöglich macht. Über 70 Jahre Frieden in Europa beweisen das. Diese Friedensordnung wird umso stärker, je mehr europäische Staaten ihr beitreten. In diesem Sinne haben die letzten Erweiterungen der EU einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der europäischen Friedensordnung geleistet. 2012 wurde die EU für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Frieden in Europa ist aber keine Selbstverständlichkeit, wie gerade die weiterhin andauernde Krise zwischen der Ukraine und Russland belegt. Vielmehr gilt es, über die innerhalb der EU geschaffene Friedenszone hinaus friedensstiftend tätig zu werden. Verbesserte Möglichkeiten sollten sich dafür im Rahmen der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik bieten.

Einheit und Gleichheit als Leitmotive

Einheit ist eines der Leitmotive. Nur wenn die europäischen Staaten unter Wahrung ihrer Vielfalt gemeinsam auftreten und handeln, können wesentliche Probleme der Gegenwart gemeistert werden. Nach Ansicht vieler sind der Friede in Europa und in der Welt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftlicher Wohlstand und soziale Sicherung ohne europäische Integration nicht zu erhalten und für die Zukunft zu sichern. Klimawandel, Arbeitslosigkeit, unzureichendes Wachstum, Sicherheit der Energieversorgung und Umweltbelastungen sind längst keine nationalen Probleme mehr und können auch nicht national gelöst werden. Nur im Rahmen der EU kann eine stabile Wirtschaftsordnung errichtet, nur durch gemeinsame europäische Anstrengungen eine internationale Wirtschaftspolitik erreicht werden, welche die Leistungsfähigkeit der europäischen Wirtschaft verbessert und zugleich die Erreichung der Klimaziele und die Festigung des sozialen Rechtsstaats unterstützt. Ohne seine innere Geschlossenheit kann Europa seine politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit von der übrigen Welt nicht behaupten und seinen Einfluss in der Welt zurückgewinnen sowie die Teilhabe an der Weltpolitik nicht sichern.

Einheit kann nur bestehen, wo Gleichheit herrscht. Kein Unionsbürger darf wegen seiner Staatsangehörigkeit schlechtergestellt, d. h. „diskriminiert“, werden. Unterschiedliche Behandlungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung müssen bekämpft werden. Die Charta der Grundrechte bleibt bei diesen Merkmalen nicht stehen: Auch Diskriminierungen wegen der Hautfarbe, der genetischen Merkmale, der Sprache, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens oder der Geburt sind danach verboten. Alle Unionsbürger sind überdies vor dem Gesetz gleich. Für die Mitgliedstaaten bedeutet der Gleichheitsgrundsatz, dass keiner Vorrang vor dem anderen hat und naturgegebene Unterschiede, wie Größe, Bevölkerungszahl eines Landes sowie unterschiedliche Strukturen, nur innerhalb des Gleichheitsprinzips berücksichtigt werden können.

Die Grundfreiheiten

Frieden, Einheit und Gleichheit vermitteln zugleich Freiheit. Mit der Schaffung eines größeren Raumes durch die Verbindung von nunmehr 27 Staaten wird gleichzeitig die Bewegungsfreiheit über die nationalen Grenzen hinaus gewährt. Es sind dies vor allem: die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Freiheit der Niederlassung, die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs, die Freiheit des Warenverkehrs, die Freiheit des Kapitalverkehrs. Diese Grundfreiheiten garantieren dem Unternehmer seine freien Entscheidungen, dem Arbeitnehmer die freie Wahl seines Arbeitsplatzes und den Verbrauchern die freie Wahl zwischen den vielfältigsten Produkten. Der freie Wettbewerb erlaubt den Unternehmern, ihr Angebot an einen unvergleichlich größeren Kreis von Nachfragern zu richten. Der Arbeitnehmer sucht seinen Arbeitsplatz und wechselt ihn entsprechend seinen Vorstellungen und Interessen, und zwar innerhalb des gesamten Raumes der EU. Der Verbraucher kann aus einem durch den stärkeren Wettbewerb erheblich vergrößerten Warenangebot das Billigste und Beste auswählen.

Im Falle eines Beitritts zur EU werden allerdings häufig Übergangsregelungen insbesondere für die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie für die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit im Beitrittsvertrag vorgesehen, die es den bisherigen EU-Mitgliedstaaten erlauben, die Inanspruchnahme dieser Grundfreiheiten für Staatsangehörige der Beitrittsländer bis zu sieben Jahre auf der Grundlage des nationalen Rechts oder bestehender bilateraler Abkommen zu regeln.

Das Prinzip der Solidarität

Solidarität ist das notwendige Korrektiv der Freiheit; denn ein rücksichtsloser Gebrauch der Freiheit geht immer zulasten anderer. Deshalb muss eine Unionsordnung, will sie auf Dauer Bestand haben, immer auch die Solidarität ihrer Mitglieder als grundlegendes Prinzip anerkennen und die Vorteile, d. h. den Wohlstand, wie auch die Lasten gleichmäßig und gerecht auf alle Mitglieder verteilen.

Achtung der nationalen Identität

Die nationale Identität der Mitgliedstaaten wird geachtet. Die Mitgliedstaaten sollen nicht in der EU aufgehen, sondern sich mit ihren nationalen Eigenheiten in die EU einbringen. Gerade aus der Vielfalt der nationalen Eigenheiten und Identitäten schöpft die EU ihre geistig-moralische Kraft, die ihrerseits zum Wohle des gemeinsamen Ganzen eingesetzt wird.

Das Verlangen nach Sicherheit

Alle diese Grundwerte sind schließlich abhängig von der Sicherheit. Insbesondere seit den terroristischen Attentaten in den Vereinigten Staaten vom 11. September 2001 und den nach Zahl und Grausamkeit zunehmenden Terroranschlägen in Europa ist die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität auch in Europa wieder in den Vordergrund getreten. Die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz wird fortlaufend vertieft, der Schutz der gemeinsamen EU-Außengrenzen verstärkt.

Sicherheit im europäischen Kontext meint aber auch die soziale Sicherheit aller in der EU lebenden Bürger, die Sicherheit der Arbeitsplätze sowie die Sicherheit der unternehmerischen Vorkehrungen, die im Vertrauen auf den Bestand der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen getroffen werden. Die Organe der EU sind insoweit dazu aufgerufen, den Bürgern und Unternehmen ihre Zukunft berechenbar zu machen und den Verhältnissen, von denen sie abhängen, Bestand zu verleihen.

Die Grundrechte

Zu den Grundwerten und grundlegenden Wertvorstellungen, die der EU zugrunde liegen, gehören auch die individuellen Grundrechte der Unionsbürger. Die Geschichte Europas ist seit mehr als zwei Jahrhunderten durch fortwährende Bemühungen um eine Verstärkung des Grundrechtsschutzes gekennzeichnet. Von den Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte des 18. Jahrhunderts ausgehend, zählen die Grund- und Freiheitsrechte zum festen Bestandteil der Verfassungsordnungen der meisten zivilisierten Staaten. Dies gilt in besonderem Maße für die Mitgliedstaaten der EU, deren Rechtsordnungen auf der Wahrung des Rechts sowie auf der Achtung der Würde, Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen aufgebaut sind. Darüber hinaus gibt es zahlreiche internationale Abkommen über den Schutz der Menschenrechte, von denen für Europa der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – „EMRK“) eine herausragende Bedeutung zukommt.

Eine gemeinschaftliche Grundrechtsordnung hat sich erst auf Grundlage einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union herausgebildet, die allerdings relativ spät, nämlich im Jahr 1969, einsetzte. Zuvor hatte der Gerichtshof alle grundrechtlichen Einwendungen mit dem Hinweis verworfen, er habe sich nicht mit Problemen zu befassen, die dem nationalen Verfassungsrecht angehörten. Diese Vorstellung musste der Gerichtshof nicht zuletzt im Hinblick auf den von ihm begründeten Anspruch des Vorrangs des Unionsrechts vor nationalem Recht revidieren, da dieser Vorrang nur durchgesetzt werden kann, wenn das Unionsrecht in der Lage ist, aus eigener Kraft einen Grundrechtsschutz zu gewährleisten, der dem von den nationalen Verfassungen gewährten Schutz gleichwertig ist.

Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war das Urteil in der Rechtssache Stauder, wo es darum ging, dass ein Empfänger von Kriegsopferfürsorge es als Verletzung seiner Menschenwürde und des Gleichheitsgrundsatzes ansah, dass er bei der Registrierung zum Kauf von „Weihnachtsbutter“ seinen Namen angeben musste. Obwohl der Gerichtshof bereits durch eine Auslegung der Unionsrechtsvorschrift zu dem Ergebnis kam, dass die Angabe des Namens nicht erforderlich sei und sich damit die Prüfung einer Grundrechtsverletzung eigentlich erübrigt hatte, stellte er abschließend fest, dass auch die Beachtung der Grundrechte zu den allgemeinen Grundsätzen der Unionsrechtsordnung gehöre, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe. Damit hat der Gerichtshof erstmalig die Existenz einer eigenen Grundrechtsordnung in der EU anerkannt.

Die einzelnen Grundrechtsgewährleistungen entwickelte der Gerichtshof zunächst aus einigen Vertragsbestimmungen selbst. Dies gilt vor allem für die zahlreichen Diskriminierungsverbote, die jeweils besondere Aspekte des allgemeinen Gleichheitssatzes zum Ausdruck bringen. Zu nennen sind etwa das Verbot jeglicher Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Artikel 18 AEU-Vertrag), die Bekämpfung unterschiedlicher Behandlungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung (Artikel 10 AEU-Vertrag), die Gleichstellung von Waren bzw. Personen im Bereich der vier Grundfreiheiten (Warenverkehr, Artikel 34 AEU-Vertrag; Freizügigkeit, Artikel 45 AEU-Vertrag; freie Niederlassung, Artikel 49 AEU-Vertrag; freier Dienstleistungsverkehr, Artikel 57 AEU-Vertrag), die Freiheiten des Wettbewerbs (Artikel 101 ff. AEU-Vertrag) sowie die Lohngleichheit für Männer und Frauen (Artikel 157 AEU-Vertrag). Garantiert werden daneben ausdrücklich noch die Vereinigungsfreiheit (Artikel 169 AEU-Vertrag), das Petitionsrecht (Artikel 24 AEU-Vertrag) und der Schutz des Geschäfts- und Berufsgeheimnisses (Artikel 339 AEU-Vertrag).

Diese Ansätze eines unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes sind vom Gerichtshof stetig weiterentwickelt und um weitere Grundrechte ergänzt worden. Dies geschieht über die Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze, zu deren Konkretisierung sich der Gerichtshof zum einen der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und zum anderen auch der internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt sind, bedient. Letzteres gilt in erster Linie für die EMRK, die bei der inhaltlichen Ausformung der Unionsgrundrechte wesentliche Orientierungen bezüglich der Schutzanforderungen vorgibt. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof etwa das Eigentumsrecht, die Berufsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Meinungsfreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, den Schutz der Familie (etwa im Bereich des Nachzugsrechts für Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern), die Wirtschaftsfreiheit, die Religions- und Bekenntnisfreiheit sowie eine Reihe von Verfahrensgrundrechten wie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, den aus dem „common law“ bekannten Grundsatz der Wahrung der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs mit dem Anwalt (sog. „legal privilege“), das Verbot der Doppelbestrafung oder die Begründungspflicht für Unionsrechtsakte als durch die EU-Rechtsordnung gewährleistete Grundrechte anerkannt.

Nahaufnahme einer Lokomotive, rechts daneben auf dem Bahnsteig steht ein Bahnarbeiter in Sicherheitskleidung, der die Lokomotive inspiziert.

In der Rechtssache Eugen Schmidberger ging es um eine Protestversammlung auf der Brenner-Autobahn, die zu einer 30-stündigen völligen Blockade des Verkehrs auf dem Brenner führte.

Von besonderer Bedeutung ist das Gebot der Gleichbehandlung, das in Rechtsstreitigkeiten immer wieder herangezogen wird. In seiner allgemeinsten Definition besagt dieses Gebot, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre. Dank der Rechtsprechung des Gerichtshofs verfügt das Unionsrecht ebenfalls über einen erheblichen Fundus an grundrechtsverwandten rechtsstaatlichen Prinzipien. Überragende praktische Bedeutung kommt dabei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu. Er beinhaltet ein Gebot der Güter- und Interessenabwägung, das seinerseits die Aspekte der Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahme und des Übermaßverbotes umfasst. Zu den grundrechtsverwandten allgemeinen Rechtsprinzipien sind ferner die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts und des „due process“ zu zählen, wie z. B. der Grundsatz des Vertrauensschutzes, das Verbot der Rückwirkung belastender bzw. der Rücknahme oder des Widerrufs begünstigender Akte sowie der Grundsatz des „rechtlichen Gehörs“, das in Verwaltungsverfahren vor der Europäischen Kommission, aber auch in Verfahren vor dem Gerichtshof zum Tragen kommt. Einen besonderen Stellenwert nimmt auch die Forderung nach mehr Transparenz ein, wonach die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden sollen. Ein wesentliches Element dieser Transparenz ist, dass jedem Unionsbürger und jeder juristischen Person mit Sitz in einem Mitgliedstaat ein Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Rates der EU und der Europäischen Kommission zusteht. Außerdem sind sämtliche Zuwendungen aus dem EU-Haushalt an natürliche oder juristische Personen offenzulegen. Dazu werden Datenbanken angelegt, auf die jeder Unionsbürger freien Zugriff hat.

Bei aller Anerkennung für die Leistung des Gerichtshofs bei der Herausbildung ungeschriebener Grundrechte hatte dieses Verfahren zur Gewinnung „Europäischer Grundrechte“ einen gravierenden Nachteil: Der Gerichtshof blieb auf den jeweiligen Einzelfall beschränkt. Deshalb konnte er auch nicht für alle Bereiche, in denen es notwendig oder wünschenswert erscheint, aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Grundrechte entwickeln. Es war ihm auch nicht möglich, Umfang und Grenzen des Grundrechtsschutzes in der nötigen Allgemeinheit und Differenziertheit herauszuarbeiten. Infolgedessen konnten die EU-Organe nicht hinreichend genau abschätzen, ob sie Gefahr liefen, ein Grundrecht zu verletzen oder nicht. Auch ein betroffener Unionsbürger konnte nicht ohne Weiteres in jedem Fall beurteilen, ob eine Verletzung eines seiner Grundrechte vorlag.

Als Ausweg aus dieser Situation wurde lange Zeit der Beitritt der EU zur EMRK angesehen. In seinem Gutachten 2/94 hatte der Gerichtshof hierzu allerdings festgestellt, dass die EU beim damaligen Stand des Unionsrechts nicht über die Kompetenz verfüge, der Konvention beizutreten. Der Gerichtshof führte in diesem Zusammenhang aus, dass die Wahrung der Menschenrechte zwar eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der EU sei, der Beitritt zur EMRK jedoch eine wesentliche Änderung des gegenwärtigen Unionssystems zur Folge hätte, da er die Einbindung der EU in ein völkerrechtliches, andersartiges institutionelles System und die Übernahme sämtlicher Bestimmungen der EMRK in die Unionsrechtsordnung mit sich brächte. Eine solche Änderung des Systems des Schutzes der Menschenrechte in der EU, die grundlegende institutionelle Auswirkungen sowohl auf die EU als auch auf die Mitgliedstaaten hätte, sei nach Ansicht des Gerichtshofs von verfassungsrechtlicher Dimension und gehe daher ihrem Wesen nach selbst über die Grenzen der Vertragsabrundungskompetenz des Artikels 352 AEU-Vertrag hinaus. Dieser Mangel wurde mit dem Vertrag von Lissabon behoben. Der Beitritt der EU zur EMRK ist nunmehr in Artikel 6 Absatz 2 des EU-Vertrags ausdrücklich vorgesehen. Beitrittsverhandlungen wurden dann auch 2010 umgehend aufgenommen. Im Frühjahr 2013 wurde Einigung über den Entwurf eines Beitrittsvertrags erzielt. Die Kommission hat diesen Entwurf dem Gerichtshof der EU übersandt und ein Gutachten über dessen Vereinbarkeit mit dem EU-Recht angefordert. In seinem Gutachten 2/13 kommt der Gerichtshof der EU zu dem Schluss, dass der Entwurf der Übereinkunft über den Beitritt der EU zur EMRK in der geplanten Form nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei, da er in mehreren Punkten die Gefahr einer Beeinträchtigung der besonderen Merkmale und der Autonomie des EU-Rechts beinhaltet. Ein wichtiger Kritikpunkt in diesem Zusammenhang ist, dass sich der EuGH im Falle eines Beitritts zur EMRK den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterwerfen müsste und auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union der Menschenrechtsaufsicht des Gerichthofs für Menschenrechte unterstellt würde. Dies liefe nach Ansicht der Richter wesentlichen Strukturprinzipien der EU zuwider. Nach dieser Entscheidung bleibt zwar ein Beitritt der Europäischen Union zur EMRK weiterhin theoretisch möglich, allerdings bis auf Weiteres praktisch ausgeschlossen, da zuvor eine Reihe technischer Details im Beitrittsentwurf geändert werden müssen.

In der Rechtssache Eugen Schmidberger ging es um eine Protestversammlung auf der Brenner-Autobahn, die zu einer 30-stündigen völligen Blockade des Verkehrs auf dem Brenner führte. Die Transportfirma Schmidberger verlangte von der Republik Österreich, deren Behörden die Versammlung nicht untersagt hatten, Ersatz des ihr durch die Blockade entstandenen Schadens. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Nichtuntersagung der Versammlung eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit darstelle, die aber objektiv gerechtfertigt sei. Die Entscheidung habe der Achtung der Grundrechte der Demonstranten auf Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit gedient, die durch die österreichische Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet seien. Daher könne den österreichischen Behörden kein haftungsbegründender Rechtsverstoß vorgeworfen werden.

Unabhängig von einem Beitritt der EU zur EMRK hat der Vertrag von Lissabon einen weiteren entscheidenden Schritt zur Herausbildung einer Grundrechtsordnung für die EU getan, indem er den Grundrechtsschutz in der EU auf eine neue Grundlage gestellt hat. In einem neuen Grundrechtsartikel (Artikel 6 EU-Vertrag) wird das Handeln der EU-Organe und der Mitgliedstaaten, soweit sie Unionsrecht anwenden und durchführen, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unterworfen, die durch einen Verweis im Grundrechtsartikel auf EU-Ebene Rechtsverbindlichkeit erlangt. Diese Grundrechtecharta geht auf einen Entwurf zurück, den ein Konvent aus 16 Beauftragten der Staats- und Regierungschefs sowie des Präsidenten der Europäischen Kommission, 16 Mitgliedern des Europäischen Parlaments und 30 nationalen Parlamentariern (zwei aus jedem der damaligen 15 Mitgliedstaaten) unter Vorsitz von Prof. Dr. Roman Herzog erarbeitet hatte. Dieser Entwurf wurde von den Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates der EU und der Europäischen Kommission zum Auftakt des Europäischen Rates von Nizza am 7. Dezember 2000 feierlich als „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ proklamiert. Im Zuge der Beratungen über eine europäische Verfassung wurde die Grundrechtecharta überarbeitet und zum integralen Bestandteil des Verfassungsvertrags vom 29. Oktober 2004 gemacht. Nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags ist die Grundrechtecharta erneut als selbstständiger Rechtsakt von den Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates der EU und der Europäischen Kommission am 12. Dezember 2007 in Straßburg feierlich als „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ proklamiert worden. Auf diese Fassung der Charta verweist nunmehr der EU-Vertrag in verbindlicher Form. Damit erhält diese Grundrechtecharta Rechtsverbindlichkeit und legt zugleich den Geltungsbereich der Grundrechte im Unionsrecht fest. Dies gilt allerdings nicht für Polen, da sich dieser Mitgliedstaat dem Grundrechtsregime der Charta nicht unterwerfen wollte, weil er befürchtete, über die Geltung der in der Charta niedergelegten Grundrechte bestimmte nationale Positionen, insbesondere in Religions- und Glaubensfragen, aufgeben oder zumindest ändern zu müssen. Für Polen ergibt sich die Bindung an die Grundrechte deshalb nicht aus der Grundrechtecharta, sondern wie bisher aus der Grundrechte-Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU.

Die Methode der europäischen Einigung

Die europäische Einigung wird geprägt von zwei unterschiedlich angelegten Konzeptionen der Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Sie lassen sich durch die Begriffe Kooperation und Integration kennzeichnen. Daneben hat sich als weitere Methode die „Verstärkte Zusammenarbeit“ herausgebildet.

Die Kooperation der Staaten

Das Wesen der Kooperation besteht darin, dass die Nationalstaaten zwar über ihre nationalen Grenzen hinweg zur Zusammenarbeit mit anderen Staaten bereit sind, dies jedoch nur unter prinzipieller Aufrechterhaltung ihrer nationalstaatlichen Souveränität. Das auf einer Kooperation beruhende Einigungsbemühen richtet sich dementsprechend nicht auf die Schaffung eines neuen Gesamtstaates, sondern beschränkt sich auf die Verbindung souveräner Staaten zu einem Staatenbund, in dem die nationalstaatlichen Strukturen erhalten bleiben (Konföderation). Dem Prinzip der Kooperation entspricht die Arbeitsweise im Rahmen des Europarats und der OECD.

Das Konzept der Integration

Das Integrationskonzept durchbricht das traditionelle Nebeneinander von Nationalstaaten. Die überkommene Auffassung von der Unantastbarkeit und Unteilbarkeit der Souveränität der Staaten weicht der Überzeugung, dass die unvollkommene Ordnung des menschlichen und staatlichen Zusammenlebens, die eigene Unzulänglichkeit des nationalen Systems und die in der europäischen Geschichte zahlreichen Machtübergriffe eines Staates auf andere (sog. Hegemonie) nur überwunden werden können, wenn die einzelnen nationalen Souveränitäten zu einer gemeinsamen Souveränität zusammengelegt und auf höherer Ebene in einer übernationalen Gemeinschaft verschmolzen werden (Föderation).

Die EU ist eine Schöpfung dieses Integrationskonzepts, ohne dass es zu einer Verschmelzung der nationalen Souveränität gekommen wäre. Die Mitgliedstaaten waren nämlich nicht bereit, die nach dem Zweiten Weltkrieg erst wiedererlangte und gerade verfestigte Struktur ihres Nationalstaates zugunsten eines Europäischen Bundesstaates preiszugeben. Es musste also abermals ein Kompromiss gefunden werden, der – ohne einen Europäischen Bundesstaat errichten zu müssen – mehr als eine bloße Kooperation der Staaten gewährleistete. Die Lösung bestand in der schrittweisen Überbrückung des Gegensatzes zwischen Bewahrung nationalstaatlicher Eigenständigkeit und Europäischem Bundesstaat. Den Mitgliedstaaten wird nicht die vollständige Preisgabe ihrer Souveränität abverlangt, sondern lediglich die Aufgabe des Dogmas von ihrer Unteilbarkeit. Es ging also zunächst nur darum, festzustellen, auf welchen Sachgebieten die Mitgliedstaaten bereit waren, auf einen Teil ihrer Souveränität zugunsten einer ihnen allen übergeordneten Gemeinschaft freiwillig zu verzichten. Das Ergebnis dieser Bemühungen spiegeln die drei Gründungsverträge der EGKS, der E(W)G und der EAG wider.

In ihnen und den heutigen Unionsverträgen sind diejenigen Gebiete im Einzelnen aufgeführt, auf denen der EU Hoheitsrechte übertragen worden sind. Dabei wird der EU und ihren Organen keine generelle Befugnis zum Erlass der zur Verwirklichung der Vertragsziele erforderlichen Maßnahmen erteilt, sondern Art und Umfang der Befugnisse zum Tätigwerden ergeben sich aus den jeweiligen Vertragsvorschriften (Prinzip der begrenzten Ermächtigung). Auf diese Weise bleibt der Verzicht auf eigene Befugnisse für die Mitgliedstaaten überschaubar und kontrollierbar.

Die Verstärkte Zusammenarbeit

Mit dem Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit wird die Grundlage für die Umsetzung der Idee von der Integration mit verschiedenen Geschwindigkeiten geschaffen. Es soll auch kleineren Kreisen von Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben werden, auf einem bestimmten Gebiet, das in die Zuständigkeit der EU fällt, in der Integration fortzuschreiten, ohne dabei durch die zögernden oder ablehnenden Mitgliedstaaten gehindert zu werden.

Nachdem die Bedingungen und Verfahren für die Nutzung dieses Instruments ursprünglich (Vertrag von Amsterdam) noch sehr streng gehalten waren, wurden sie im Hinblick auf die Erweiterung der EU etwas offener gestaltet (Vertrag von Nizza). Der Vertrag von Lissabon bündelt die bisherigen Vorschriften zur Verstärkten Zusammenarbeit in Artikel 20 EU-Vertrag (Rahmenbedingungen) und in den Artikeln 326 bis 334 AEU-Vertrag (ergänzende Bedingungen, Beitritt, Verfahren, Abstimmungsregeln).

Die Regelungen für eine Verstärkte Zusammenarbeit können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Eine derartige Zusammenarbeit kann nur im Rahmen der bestehenden Kompetenzen der EU genutzt werden und muss der Verwirklichung der Ziele der EU dienen und den europäischen Integrationsprozess fördern (Artikel 20 EU-Vertrag). Sie ist deswegen nicht geeignet, die in der EU-Vertragsarchitektur angelegten Defizite der Wirtschafts- und Währungsunion abzubauen. Die Verstärkte Zusammenarbeit darf den Binnenmarkt und den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der EU nicht beeinträchtigen. Zudem darf sie zu keiner Behinderung, zu keiner Diskriminierung im Handel zwischen den Mitgliedstaaten sowie zu keiner Verzerrung des Wettbewerbs führen (Artikel 326 AEU-Vertrag). Die Zuständigkeiten, Rechte, Pflichten und Interessen der nicht an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten müssen beachtet werden (Artikel 327 AEU-Vertrag).
  • Die Verstärkte Zusammenarbeit muss allen Mitgliedstaaten offenstehen. Außerdem muss es den Mitgliedstaaten gestattet sein, sich jederzeit der Zusammenarbeit anzuschließen, vorausgesetzt, die betroffenen Mitgliedstaaten kommen den im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit gefassten Beschlüssen nach. Die Kommission und die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass sich eine möglichst große Zahl von Mitgliedstaaten an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligt (Artikel 328 AEU-Vertrag).
  • Eine Verstärkte Zusammenarbeit kann nur als letztes Mittel in Anspruch genommen werden, wenn der Rat zu dem Schluss gelangt ist, dass die mit dieser Verstärkten Zusammenarbeit angestrebten Ziele unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der Verträge nicht in einem vertretbaren Zeitraum verwirklicht werden können. Die Mindestschwelle für eine Verstärkte Zusammenarbeit beträgt neun Mitgliedstaaten (Artikel 20 Absatz 2 EU-Vertrag).
  • Die im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit angenommenen Rechtsakte sind nicht Teil des Besitzstandes der EU. Diese Rechtsakte haben nur in den Mitgliedstaaten, die sich an der Beschlussfassung beteiligen, unmittelbare Geltung (Artikel 20 Absatz 4 EU-Vertrag). Die Mitgliedstaaten, die sich nicht daran beteiligen, stehen deren Durchführung allerdings nicht im Wege.
  • Die sich aus einer Verstärkten Zusammenarbeit ergebenden Ausgaben werden mit Ausnahme der Verwaltungskosten von den beteiligten Mitgliedstaaten finanziert, sofern der Rat nicht nach Anhörung des Europäischen Parlaments durch einstimmigen Beschluss sämtlicher Mitglieder des Rates etwas anderes beschließt (Artikel 332 AEU-Vertrag).
  • Rat und Kommission müssen sicherstellen, dass die im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit durchgeführten Maßnahmen mit dem sonstigen politischen Handeln der EU im Einklang stehen (Artikel 334 AEU-Vertrag).

In der Praxis wird auf dieses Instrument immer häufiger zurückgegriffen: Erstmals in der Geschichte der EU bedienten sich die Mitgliedstaaten des Verfahrens der Verstärkten Zusammenarbeit, um eine Regelung zu treffen, die Ehepaaren unterschiedlicher Staatsangehörigkeit bei einer Scheidung die Wahl des anwendbaren Rechts überlässt. Nachdem ein entsprechender Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2006 nicht die erforderliche Einstimmigkeit im Rat fand, hat der Rat mit Beschluss vom 12. Juli 2010 die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit erteilt. Auf der Grundlage eines neuen Kommissionsvorschlags haben sich ursprünglich 14 Mitgliedstaaten (Belgien, Bulgarien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Lettland, Luxemburg, Ungarn, Malta, Österreich, Portugal, Rumänien und Slowenien) auf entsprechende Vorschriften für die Scheidung oder Trennung von Ehepartnern verschiedener Nationalität verständigt, dem sich später Litauen (2014), Griechenland (2015) und Estland (2018) angeschlossen haben. Das Ergebnis ist in der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des bei Scheidung und Trennung anwendbaren Rechts niedergelegt. Diese Verstärkte Zusammenarbeit wurde 2016 erweitert um die Verordnung (EU) 2016/1103 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands.

Ein weiterer Anwendungsfall betrifft den Patentschutz in Europa. Ohne Spanien und Kroatien und mit der nachträglichen Beteiligung Italiens haben sich insgesamt 25 EU-Mitgliedstaaten auf eine Verstärkte Zusammenarbeit zur Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes geeinigt. Die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über die Verstärkte Zusammenarbeit im Hinblick auf einen einheitlichen Patentschutz sowie die Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen traten am 20. Januar 2013 in Kraft. Die Verordnungen werden aber erst mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht Anwendung finden. Dazu ist die Ratifikation des Übereinkommens durch mindestens 13 Mitgliedstaaten erforderlich.

Schließlich ist auch die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) über die Verstärkte Zusammenarbeit herbeigeführt worden. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde der EU die Befugnis eingeräumt, durch Verordnung, die vom Rat einstimmig nach Zustimmung des EP beschlossen wird, ein solches Amt einzurichten (Art. 86 AEUV). Von dieser Kompetenz hat der Rat mit der Verordnung (EU) 2017/1939 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) letztendlich im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit Gebrauch gemacht, da die erforderliche Einstimmigkeit im Rat nicht zu erreichen war. 22 Mitgliedstaaten haben sich bisher dieser Verstärkten Zusammenarbeit angeschlossen.

Die „Verfassung“ der Europäischen Union

Jeder gesellschaftliche Verband hat eine Verfassung. Durch eine Verfassung wird die Struktur eines politischen Systems bestimmt, d. h., es werden die Glieder des Verbandes zueinander und zum Ganzen geordnet, die gemeinsamen Ziele bestimmt und jene Spielregeln festgelegt, nach denen die Entscheidungen verbindlich getroffen werden. Die „Verfassung“ der EU als eines Verbandes von Staaten, dem ganz bestimmte Aufgaben und Funktionen übertragen wurden, muss deshalb ebenfalls imstande sein, auf die gleichen Fragen zu antworten wie eine Staatsverfassung.

Die staatlichen Gemeinwesen werden beherrscht von zwei obersten Gestaltungsprinzipien: Recht („rule of law“) und Demokratie. Alles, was die Union bewirkt, muss deshalb, will sie den Grundforderungen nach Recht und Demokratie gerecht werden, sowohl rechtlich wie demokratisch legitimiert sein: Gründung, Aufbau, Zuständigkeiten, Funktionieren, Stellung der Mitgliedstaaten und ihrer Organe, Stellung des Bürgers.

Die „Verfassung“ der EU ist nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags vom 29. Oktober 2004 nach wie vor nicht wie die meisten Verfassungen ihrer Mitgliedstaaten in einer zusammenhängenden Verfassungsurkunde niedergelegt. Sie ergibt sich aus der Summe der Regeln und Grundwerte, an die sich die Verantwortlichen als verbindlich halten. Diese Normen stehen zum Teil in den Europäischen Verträgen, in den von den Unionsorganen gesetzten Rechtsakten oder in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU, zum Teil schlagen sie sich aber auch in Gewohnheiten nieder.

Die Rechtsnatur der Europäischen Union

Bei der Bestimmung der Rechtsnatur geht es um die allgemeine rechtliche Erfassung einer Organisation anhand ihrer charakteristischen Eigenschaften. Diese wurden bereits in zwei grundlegenden Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus den Jahren 1963 und 1964 im Hinblick auf die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft herausgearbeitet, haben aber nach wie vor Gültigkeit auch für die Europäische Union in ihrer heutigen Gestalt.

Die Rechtssache Van Gend & Loos

In diesem Rechtsstreit klagte das niederländische Transportunternehmen Van Gend & Loos vor einem niederländischen Gericht gegen die niederländische Zollverwaltung, die für die Einfuhr eines chemischen Erzeugnisses aus Deutschland einen gegenüber früheren Einfuhren erhöhten Zoll erhoben hatte. Das Unternehmen sah in dieser Praxis einen Verstoß gegen den früheren Artikel 12 EWG-Vertrag, der den Mitgliedstaaten die Einführung neuer und die Erhöhung bestehender Zölle im Gemeinsamen Markt verbot. Das niederländische Gericht setzte daraufhin das Verfahren aus und rief den Gerichtshof mit der Bitte an, die inhaltliche und rechtliche Tragweite der fraglichen Vorschrift des Gründungsvertrags der EWG zu klären.

Der Gerichtshof nahm diesen Rechtsstreit zum Anlass, einige grundlegende Feststellungen zur Rechtsnatur der EWG zu treffen. In seinem Urteil führte der Gerichtshof aus:

Das Ziel des EWG-Vertrags ist die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen Einzelnen unmittelbar betrifft; damit ist zugleich gesagt, dass der Vertrag mehr ist als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet. Diese Auffassung wird durch die Präambel des Vertrags bestätigt, die sich nicht nur an die Regierungen, sondern auch an die Völker richtet. Sie findet eine noch augenfälligere Bestätigung in der Schaffung von Organen, welchen Hoheitsrechte übertragen sind, deren Ausübung in gleicher Weise die Mitgliedstaaten wie die Staatsbürger berührt ... [Aus] alledem ist zu schließen, dass die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind.“

Die Rechtssache Costa/ENEL

Bereits ein Jahr später gab die Rechtssache Costa/ENEL dem Gerichtshof Gelegenheit, seine Analyse weiter zu vertiefen. Dieser Rechtssache lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 1962 verstaatlichte Italien die Elektrizitätserzeugung und -versorgung und übertrug die Betriebsanlagen der Elektrizitätsgesellschaften auf die Elektrizitätswerke ENEL. Herr Costa sah sich als Aktionär der von der Verstaatlichung betroffenen Aktiengesellschaft Edison Volta um seine Dividende gebracht und verweigerte daraufhin die Begleichung einer Stromrechnung in Höhe von 1926 ITL. Vor dem Friedensrichter in Mailand rechtfertigte Herr Costa sein Verhalten unter anderem damit, dass das Verstaatlichungsgesetz eine Reihe von Bestimmungen des EWG-Vertrags verletze. Um diese Einlassung des Herrn Costa beurteilen zu können, legte das Friedensgericht dem Gerichtshof verschiedene Fragen zur Auslegung des EWG-Vertrags vor. In seinem Urteil führte der Gerichtshof zum Rechtscharakter der EWG aus:

Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die […] in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Denn durch die Gründung einer Gemeinschaft für unbegrenzte Zeit, die mit eigenen Organen, mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, mit internationaler Handlungsfähigkeit und insbesondere mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist, haben die Mitgliedstaaten […] ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist.“

Seine Schlussfolgerungen aus diesen umfangreichen Ausführungen fasste der Gerichtshof wie folgt zusammen:

Aus alledem folgt, dass dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll. Die Staaten haben somit dadurch, dass sie nach Maßgabe der Bestimmungen des Vertrags Rechte und Pflichten, die bis dahin ihren inneren Rechtsordnungen unterworfen waren, der Regelung durch die Gemeinschaftsrechtsordnung vorbehalten haben, eine endgültige Beschränkung ihrer Hoheitsrechte bewirkt, die durch spätere einseitige, mit dem Gemeinschaftsbegriff unvereinbare Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden kann.“

Als Elemente, die in ihrer Gesamtheit die Besonderheit und Eigentümlichkeit der Rechtsnatur der EU ausmachen, bleiben nach diesen beiden Grundsatzurteilen des Gerichtshofs festzuhalten:

  • der institutionelle Aufbau, der gewährleistet, dass die Willensbildung in der EU auch von dem europäischen Gesamtinteresse, d. h. den in den Zielen niedergelegten Unionsinteressen, geprägt oder beeinflusst wird;
  • die erfolgte Übertragung von Zuständigkeiten auf die Unionsorgane, die weiter geht, als dies bei anderen internationalen Organisationen der Fall ist, und sich weit in üblicherweise den Staaten vorbehaltene Bereiche erstreckt;
  • die Errichtung einer eigenen Rechtsordnung, die von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unabhängig ist;
  • die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts, wonach die Bestimmungen des Unionsrechts ihre volle Wirksamkeit einheitlich in allen Mitgliedstaaten entfalten und sowohl die Mitgliedstaaten als auch deren Bürger berechtigen und verpflichten;
  • der Vorrang des Unionsrechts, wodurch gewährleistet ist, dass das Unionsrecht durch nationales Recht weder aufgehoben noch abgeändert werden kann und im Kollisionsfall dem nationalen Recht vorgeht.

Die EU erweist sich danach als ein eigenständiger Herrschaftsverband mit eigenen Hoheitsrechten und einer von den Mitgliedstaaten unabhängigen Rechtsordnung, der sowohl die Mitgliedstaaten als auch deren Angehörige in den der EU zugewiesenen Aufgabenbereichen unterworfen sind.

Die charakteristischen Eigenschaften der EU legen zugleich auch die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zu den völkerrechtlichen Organisationen herkömmlicher Art einerseits und zu bundesstaatsähnlichen Gebilden andererseits offen.

Die EU ist selbst noch kein fertiges Gebilde, sondern vielmehr ein „System im Werden“, dessen endgültiges Aussehen noch nicht vorhersehbar ist.

Mit den herkömmlichen völkerrechtlichen Organisationen hat die EU lediglich gemeinsam, dass auch sie durch völkerrechtliche Verträge ins Leben gerufen worden ist. Von diesen völkerrechtlichen Wurzeln hat sich die EU jedoch bereits weit entfernt. Die Gründungsakte der EU haben nämlich zur Errichtung einer selbstständigen mit eigenen Hoheitsrechten und Kompetenzen ausgestatteten Union geführt. Die Mitgliedstaaten haben zugunsten dieser Union auf Teile ihrer Hoheitsgewalt verzichtet und diese auf die EU zur gemeinsamen Wahrnehmung übertragen.

Diese Unterschiede der EU zu den herkömmlichen völkerrechtlichen Organisationen rücken sie in die Nähe eines staatlichen Gebildes. Vor allem der teilweise Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten zugunsten der EU wurde als Indiz dafür gewertet, dass die EU bereits bundesstaatsähnliche Strukturen aufweise. Diese Auffassung berücksichtigt jedoch nicht, dass die Organe der EU nur die zur Erreichung der in den Unionsverträgen niedergelegten Ziele und nur für bestimmte Materien die im Einzelnen festgelegten Befugnisse besitzen. Sie können deshalb ihre Ziele nicht wie die Staaten frei wählen und allen Anforderungen gerecht werden, denen sich heute ein moderner Staat stellen muss. Der EU fehlt sowohl die einen Staat kennzeichnende Allzuständigkeit als auch die Befugnis, neue Zuständigkeiten zu schaffen (sog. Kompetenz-Kompetenz).

Deshalb ist die EU weder eine „klassische“ internationale Organisation noch ein staatlicher Verband, sondern ein zwischen diesen traditionellen Modellen von Staatenverbindungen einzuordnender Herrschaftsverband. Im juristischen Sprachgebrauch hat sich zur Umschreibung dieser Sonderstellung der Begriff „supranationale Organisation“ eingebürgert.

Die Aufgaben der Europäischen Union

Der Katalog der Aufgaben, die der EU übertragen worden sind, ähnelt sehr stark dem einer staatlichen Verfassungsordnung. Dabei handelt es sich nicht, wie sonst bei internationalen Organisationen üblich, um genau begrenzte technische Aufgaben, sondern um Tätigkeitsbereiche, die in ihrer Gesamtheit existenzprägenden Charakter für Staaten besitzen.

Der Aufgabenkatalog der EU ist denkbar breit gefächert: Er umfasst wirtschaftliche, soziale und politische Aufgaben.

Wirtschaftliche Aufgaben

Im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Aufgaben steht die Errichtung eines gemeinsamen Marktes, der die „nationalen Märkte“ der Mitgliedstaaten in sich vereinigt und auf dem alle Waren und Dienstleistungen zu den gleichen Bedingungen wie auf einem Binnenmarkt angeboten und verkauft werden können und zu dem alle Unionsbürger gleichen und freien Zugang haben. Das Konzept der Schaffung eines gemeinsamen Marktes wurde mit dem vom damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, initiierten und von den Staats- und Regierungschefs genehmigten Programm zur Vollendung des Binnenmarktes bis 1992 im Wesentlichen verwirklicht. Den Unionsorganen ist es gelungen, den rechtlichen Rahmen für einen funktionierenden Binnenmarkt vorzugeben. Dieser Rahmen wurde zwischenzeitlich durch nationale Umsetzungsmaßnahmen weitestgehend ausgefüllt, sodass der Binnenmarkt bereits Realität geworden ist. Auch im täglichen Leben wird dieser Binnenmarkt sichtbar, insbesondere bei Reisen innerhalb der EU, die schon lange nicht mehr durch Personen- und Warenkontrollen an den nationalen Grenzen unterbrochen werden.

Sechs übereinander gestapelte Apfelkisten mit der Aufschrift „Europe Quality“.

Der Binnenmarkt mit seinen charakteristischen vier Freiheiten (vgl. Artikel 26 AEU-Vertrag) ist ein Kernelement des AEU-Vertrags: freier Warenverkehr (Artikel 34), freier Personenverkehr (Artikel 45 und 49), freier Dienstleistungsverkehr (Artikel 57) und freier Kapitalverkehr (Artikel 63).

Flankiert wird der Binnenmarkt von der Wirtschafts- und Währungsunion. Aufgabe der EU in der Wirtschaftspolitik ist es nicht, eine europäische Wirtschaftspolitik festzulegen und zu betreiben, sondern die nationalen Wirtschaftspolitiken so weit zu koordinieren, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten keine negativen Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts haben. Zu diesem Zweck wurde ein Stabilitäts- und Wachstumspakt beschlossen, der den Mitgliedstaaten im Einzelnen die Kriterien aufgibt, an denen sie ihre haushaltspolitischen Entscheidungen auszurichten haben. Geschieht dies nicht, kann die Europäische Kommission Verwarnungen aussprechen, und bei andauerndem übermäßigem Haushaltsdefizit kann der Rat der EU auch Sanktionen verhängen.

Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene in den Jahren 2010-2012 weiter verstärkt. Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene wurde durch einen dauerhaften Krisenmechanismus ergänzt, der vor allem folgende Elemente beinhaltet: Aufwertung der Rolle der Kommission, Einführung von neuen Korrekturautomatismen, Verankerung der wirtschaftspolitischen Koordinierung auf höchster politischer Ebene, eine im Europäischen Semester abgestimmte Koordinierung mit verstärkten Berichtspflichten der Mitgliedstaaten, Verstärkung der Rolle der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments sowie im nationalen Recht zu verankernde Selbstverpflichtungen.

Im Zentrum dieses neuen Krisenmechanismus steht das Europäische Semester. Das „Europäische Semester“ ist ein Zyklus, in dessen Verlauf die EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschafts- und Fiskalpolitik aufeinander abstimmen. Es erstreckt sich im Wesentlichen über die ersten sechs Monate eines Jahres – daher die Bezeichnung „Semester“. Während des Europäischen Semesters richten die Mitgliedstaaten ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik an den auf EU-Ebene vereinbarten Zielen und Regeln aus. Das Europäische Semester soll somit dazu beitragen, solide öffentliche Finanzen zu gewährleisten, das Wirtschaftswachstum zu fördern und übermäßige makroökonomische Ungleichgewichte in der EU zu verhindern.

Diese Grafik zeigt die verschiedenen Phasen des Europäischen Semesters und verdeutlicht die Zuständigkeiten und Aufgaben der EU-Organe in diesem Prozess.

Die Vorbereitungsphase im November und Dezember umfasst die Analyse der Lage und die Anknüpfung an das vorangegangene Jahr. In dieser Zeit führt die Europäische Kommission im Rahmen des Jahreswachstumsberichts eine Analyse der Haushalts- und Strukturpolitik durch, erarbeitet Empfehlungen für das Euro-Währungsgebiet und bewertet im Warnmechanismus-Bericht die makroökonomischen Ungleichgewichte. Phase 1 von Januar bis März umfasst politische Leitlinien auf EU-Ebene. Der Rat der Europäischen Union prüft den Jahreswachstumsbericht und nimmt Schlussfolgerungen an, während das Europäische Parlament eine Stellungnahme zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien abgibt. Anschließend gibt der Europäische Rat (Staats- und Regierungschefs) politische Orientierungen. Darüber hinaus werden im Warnmechanismus-Bericht Länder mit potenziellen makroökonomischen Ungleichgewichten genannt, die einer eingehenden Überprüfung bedürfen. In Phase 2 legen die Mitgliedstaaten von April bis Juli ihre spezifischen Ziele, Prioritäten und Pläne dar, die der Europäischen Kommission als Grundlage für die Ausarbeitung länderspezifischer Empfehlungen dienen. Der Rat der Europäischen Union einigt sich auf endgültige länderspezifische Empfehlungen, die anschließend vom Europäischen Rat gebilligt und vom Rat der Europäischen Union angenommen werden. Phase 3 betriff die Umsetzung. Die Mitgliedstaaten berücksichtigen die Empfehlungen bei der Beschlussfassung über den Staatshaushalt des Folgejahres. Ein erneuter Zyklus beginnt gegen Ende des Jahres mit der Vorlage des Jahreswachstumsberichts für das folgende Jahr, in dem die Kommission einen Überblick über die wirtschaftliche Lage gibt.

Ein erneuter Zyklus beginnt gegen Ende des Jahres mit der Vorlage des Jahreswachstumsberichts für das folgende Jahr, in dem die Kommission einen Überblick über die wirtschaftliche Lage gibt.

Quelle: https://www.consilium.europa.eu/de/policies/european-semester/

Aufgabe der EU in der Währungspolitik war und ist es, eine einheitliche Währung in der EU einzuführen und die Währungsfragen zentral zu steuern. Ein erster Teilerfolg ist in diesem Bereich bereits gelungen. Am 1. Januar 1999 wurde der Euro als einheitliche europäische Währung in den Mitgliedsländern, welche bereits die dafür aufgestellten Konvergenzkriterien (Inflationsrate: 1,5 %, Haushaltsdefizit = jährliche Neuverschuldung: 3 %, Staatsverschuldung: 60 %, langfristigen Zinssätze: 2 %) erfüllt hatten, eingeführt. Dabei handelte es sich um Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Finnland. Am 1. Januar 2002 wurden in diesen Ländern die nationalen Währungen durch Euro-Banknoten und Euro-Münzen ersetzt. Seitdem werden auch die alltäglichen Zahlungen und Geldgeschäfte nur noch in einer Währung durchgeführt, und dies ist der Euro. In der Folgezeit erfüllten immer mehr Mitgliedstaaten die Kriterien für die Einführung des Euro: Griechenland (1. Januar 2001), Slowenien (1. Januar 2007), Zypern (1. Januar 2008), Malta (1. Januar 2008), Slowakei (1. Januar 2009), Estland (1. Januar 2011), Lettland (1. Januar 2014), Litauen (1. Januar 2015) und zuletzt Kroatien (1. Januar 2023). Der sogenannte „Euroraum“, in dem der Euro als Währung gilt, umfasst damit gegenwärtig 20 Mitgliedstaaten.

Auch die verbleibenden Mitgliedstaaten sind grundsätzlich zur Übernahme des Euro als Landeswährung verpflichtet, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen. Eine Ausnahme gilt lediglich für Dänemark, das sich ein „Opting out“ vorbehalten hat, das es erlaubt, selbst zu entscheiden, ob und wann das Prüfverfahren für eine Teilnahme an der einheitlichen Währung eingeleitet wird. Einen Sonderfall stellt Schweden dar, das nicht über eine „Opting out“-Klausel verfügt. Der Beitritt zum Euro ist vielmehr davon abhängig, dass die Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) dem Rat der EU eine Teilnahme Schwedens empfehlen. Wird eine solche Empfehlung ausgesprochen und entspricht ihr der Rat, hat Schweden eigentlich keine Möglichkeit, sich der Teilnahme zu entziehen.

Allen Bedenken zum Trotz hat sich der Euro zu einer starken und international anerkannten Währung entwickelt, die zugleich ein festes Bindeglied zwischen den Mitgliedsländern des Euroraums darstellt. Hieran hat auch die im Jahr 2010 einsetzende staatliche Schuldenkrise nichts geändert. Ganz im Gegenteil: Die EU hat auf diese Krise mit der Einführung befristeter Rettungsschirme reagiert, die 2013 dauerhaft durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst wurden. Der ESM stellt als dauerhafter Krisenbewältigungsrahmen den Mitgliedstaaten des Euroraums externe Finanzhilfen bereit, für die eine effektive Darlehenskapazität von 500 Mrd. EUR zur Verfügung steht. Euro-Staaten können diesen finanziellen Beistand nur unter strengen Auflagen erhalten, die eine rigorose Konsolidierung der Staatsfinanzen zum Ziel haben und in einem von Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) in enger Zusammenarbeit mit der EZB ausgehandelten wirtschaftlichen Anpassungsprogramm zum Ausdruck kommen. Der ESM verschafft der EU die nötige Handlungsfähigkeit, um den Euro selbst in äußersten Stressszenarien verteidigen zu können. Sie sind klarer Ausdruck der Interessengemeinschaft und der Solidarität im Euroraum sowie der individuellen Verantwortung eines jeden Mitgliedstaats gegenüber den anderen.

Außer im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik fallen der EU Aufgaben auch in einer ganzen Reihe anderer wirtschaftlicher Politikfelder zu. Hierzu gehören vor allem die Klima- und Energiepolitik, die Landwirtschafts- und Fischereipolitik, die Verkehrspolitik, die Verbraucherpolitik, die Struktur- und Kohäsionspolitik, die Forschungs- und Entwicklungspolitik, die Raumfahrtpolitik, die Umweltpolitik, die Gesundheitspolitik, die Handelspolitik oder die Energiepolitik.

Soziale Aufgaben

In sozialpolitischer Hinsicht kommt der EU die Aufgabe zu, den Binnenmarkt auch in seiner sozialen Dimension zu gestalten und dafür Sorge zu tragen, dass die Vorteile der wirtschaftlichen Integration nicht allein den in der Wirtschaft Aktiven zufallen. Ein erster Anknüpfungspunkt hierfür ist etwa die Einführung eines Systems der sozialen Sicherheit für Wanderarbeitnehmer. Dieses System gewährleistet, dass keinem Arbeitnehmer, der in seinem Berufsleben in mehr als einem Mitgliedsland gearbeitet hat und folglich verschiedenen Sozialversicherungssystemen unterlag, hieraus Nachteile in seiner sozialen Absicherung (Altersrente, Invaliditätsrente, Gesundheitsleistungen, Familienleistungen, Arbeitslosenleistungen) erwachsen. Ein weiterer wichtiger Anknüpfungspunkt einer vordringlichen sozialpolitischen Aufgabe ist angesichts der nun schon über Jahre hinweg besorgniserregenden Arbeitslosigkeit in der EU die Entwicklung einer europäischen Beschäftigungsstrategie geworden. Die Mitgliedstaaten und die EU sind aufgefordert, eine Beschäftigungsstrategie zu entwickeln und vor allem die Qualifizierung, Ausbildung und Flexibilität der Arbeitnehmer zu fördern; daneben sind Arbeitsmärkte an die Erfordernisse des wirtschaftlichen Wandels anzupassen. Die Förderung der Beschäftigung wird als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse verstanden. Dies verlangt von den Mitgliedstaaten eine Abstimmung ihrer nationalen Tätigkeit im Rat der EU. Die EU soll zu einem hohen Beschäftigungsniveau dadurch beitragen, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und deren Maßnahmen unterstützt und erforderlichenfalls – unter Achtung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten – ergänzt.

Politische Aufgaben

Im eigentlich politischen Bereich ergeben sich Aufgaben für die EU im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Klimawandel, der Unionsbürgerschaft, der Politik für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sowie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Die EU bekämpft den Klimawandel durch eine ehrgeizige Politik innerhalb ihrer eigenen Grenzen und durch enge Zusammenarbeit mit internationalen Partnern. Der Klimaschutz steht im Mittelpunkt des europäischen Grünen Deals, eines ambitionierten Maßnahmenpakets, das von einer erheblichen Senkung der Treibhausgasemissionen über Investitionen in Spitzenforschung und Innovation bis hin zur Erhaltung der natürlichen Umwelt Europas reicht. Zu den ersten Klimaschutzinitiativen im Rahmen des Grünen Deals gehören:

  • das europäische Klimagesetz zur Verankerung des Ziels der Klimaneutralität bis 2050 im EU-Recht,
  • der europäische Klimapakt zur Einbindung der Bürgerinnen und Bürger sowie aller Bereiche der Gesellschaft in den Klimaschutz,
  • der Klimazielplan für 2030 zur Erhöhung des Reduktionsziels für die Netto-Treibhausgasemissionen auf mindestens 55 % bis 2030,
  • die neue EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel mit dem Ziel, Europa bis 2050 zu einer klimaresilienten und vollständig an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels angepassten Gesellschaft zu machen.

Mit der Unionsbürgerschaft wurden die Rechte und Interessen der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten innerhalb der EU weiter gestärkt. Sie genießen Freizügigkeit innerhalb der EU (Artikel 21 AEU-Vertrag), das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen (Artikel 22 AEU-Vertrag), diplomatischen und konsularischen Schutz in Drittländern durch alle Mitgliedstaaten (Artikel 23 AEU-Vertrag), das Petitionsrecht beim Europäischen Parlament (Artikel 24 AEU-Vertrag) sowie in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot das Recht, in jedem Mitgliedstaat so behandelt zu werden, wie dieser Mitgliedstaat seine eigenen Staatsangehörigen behandelt (Artikel 20 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 18 AEU-Vertrag).

Im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen geht es vor allem um die Wahrnehmung von Aufgaben durch die EU, die im gemeinsamen europäischen Interesse liegen. Dazu gehören insbesondere die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Menschenhandels sowie die Strafverfolgung. Der organisierten Kriminalität kann man nicht mehr allein auf nationaler Ebene wirksam begegnen, sondern dazu bedarf es eines gemeinsamen Vorgehens auf der Ebene der EU. Erste vielversprechende Maßnahmen sind bereits mit der Richtlinie zur Bekämpfung der illegalen Geldwäsche und der Schaffung des seit 1998 operativen europäischen Polizeiamtes „Europol“ (Artikel 88 AEU-Vertrag) ergriffen worden. Europol ist seit 2010 eine EU-Agentur und heißt jetzt „Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung“. Darüber hinaus geht es in diesem Bereich um die Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit bei Gerichtsverfahren und der Vollstreckung von Entscheidungen, der Erleichterung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten, der Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und der Strafen in den Bereichen der organisierten Kriminalität, des Terrorismus, des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern, des illegalen Drogen- und Waffenhandels, der Geldwäsche und Korruption (Artikel 83 AEU-Vertrag).

Einer der signifikantesten Fortschritte bei der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der EU ist die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft. Die EUStA ist vom Rat mit Zustimmung des Europäischen Parlaments mit der Verordnung (EU) 2017/1939 im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit, der sich 22 Mitgliedstaaten angeschlossen hatten, geschaffen worden. Drei Jahre nach Inkrafttreten der EUStA-Verordnung nahm die EUStA ihre Tätigkeit im Juni 2021 nach einer Entscheidung der Kommission auf der Grundlage eines Vorschlags des Europäischen Generalstaatsanwalts auf. Sitz der EUStA ist Luxemburg. Die EUStA gliedert sich in eine zentrale Ebene und in eine dezentrale Ebene. Die zentrale Ebene besteht aus der zentralen Dienststelle, die sich aus dem Kollegium, den Ständigen Kammern, dem Europäischen Generalstaatsanwalt, den Stellvertretern des Europäischen Generalstaatsanwalts, den Europäischen Staatsanwälten und dem Verwaltungsdirektor zusammensetzt. Die dezentrale Ebene besteht aus den Delegierten Europäischen Staatsanwälten, die in den Mitgliedstaaten angesiedelt sind. Die EUStA ist zuständig für die strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung sowie die Anklageerhebung in Bezug auf Personen, die als Täter oder Teilnehmer Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU begangen haben. Hierzu führt die EUStA Ermittlungen, ergreift Strafverfolgungsmaßnahmen und nimmt vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr, bis das Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Die EUStA gewährleistet, dass bei ihrer Tätigkeit die in der Charta der Grundrechte verankerten Rechte beachtet werden. Sie ist bei allen ihren Tätigkeiten an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gebunden. Die EUStA führt ihre Ermittlungen unparteiisch und ermittelt alle sachdienlichen Beweise, belastende wie entlastende.

Ein weiterer Fortschritt ist der seit Januar 2004 geltende Europäische Haftbefehl. Der Haftbefehl kann ausgestellt werden, sobald es um eine Straftat geht, für die eine Mindeststrafe von mehr als einem Jahr Gefängnis verhängt wird. Der Europäische Haftbefehl hat die früheren zeitaufwendigen Auslieferungsverfahren ersetzt.

Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik geht es insbesondere um die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen und der Unabhängigkeit der EU, die Stärkung der Sicherheit der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die Wahrung des Weltfriedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit, die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und der internationalen Zusammenarbeit, die Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie den Aufbau einer gemeinsamen Verteidigung.

Da die EU kein Staatsgebilde ist, kann die Verwirklichung dieser Aufgaben nur schrittweise erfolgen. Die Außenpolitik, und vor allem die Sicherheitspolitik, gehört traditionsgemäß zu denjenigen Bereichen, in denen die Mitgliedstaaten auf die Bewahrung ihrer Souveränität besonders achten. Gemeinsame Interessen auf diesem Gebiet sind auch deshalb nur schwer zu definieren, weil nur noch Frankreich in der EU über Atomwaffen verfügt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass nicht alle EU-Mitgliedstaaten dem Verteidigungsbündnis NATO angehören. Die Entscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden deshalb gegenwärtig noch überwiegend im Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit getroffen. Allerdings hat sich in der Zwischenzeit ein eigenständiges Handlungsinstrumentarium entwickelt, durch das die zwischenstaatliche Zusammenarbeit feste rechtliche Konturen erhalten hat.

Angesichts des sich wandelnden Sicherheitsumfelds wurde mit der Globalen Strategie für die Außen-und Sicherheitspolitik der EU ein Prozess der engeren Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung eingeleitet. Die EU-Mitgliedstaaten haben eine Ausweitung der Tätigkeit der Europäischen Union in diesem Bereich vereinbart und anerkannt, dass eine engere Koordinierung sowie mehr Investitionen in die Verteidigung und die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten eine wesentliche Voraussetzung sind, um dies zu erreichen. Dies ist das wichtigste Ziel der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) im Bereich Sicherheit und Verteidigung, die in Artikel 42 Absatz 6 und Artikel 46 des EU-Vertrags sowie im dazugehörigen Protokoll Nr. 10 vorgesehen ist. Durch die SSZ können die Mitgliedstaaten Herausforderungen im Bereich der Sicherheit wirksamer bewältigen und die weitere Integration und Stärkung der Verteidigungszusammenarbeit im EU-Rahmen besser vorantreiben. Der Rat hat am 11. Dezember 2017 den Beschluss zur Begründung der SSZ und die Liste ihrer Teilnehmer angenommen und somit einen historischen Schritt vollbracht. Insgesamt 25 Mitgliedstaaten haben ihre Teilnahme an der SSZ beschlossen: Belgien, Bulgarien, Tschechien, Deutschland, Estland, Irland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Kroatien, Italien, Zypern, Lettland, Litauen, Luxemburg, Ungarn, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, die Slowakei, Finnland und Schweden.

Die Befugnisse der Europäischen Union

Die Verträge zur Gründung der EU erteilen den Unionsorganen keine generelle Befugnis zum Erlass aller zur Verwirklichung der Vertragsziele erforderlichen Maßnahmen, sondern legen in den jeweiligen Kapiteln den Umfang der Befugnisse zum Tätigwerden im Einzelnen fest. Als Grundsatz gilt, dass die EU und ihre Organe nicht selbst über ihre rechtlichen Grundlagen und Zuständigkeiten entscheiden dürfen: Es gilt auch weiterhin der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Artikel 2 AEU-Vertrag). Dieser Weg ist von den Mitgliedstaaten deshalb gewählt worden, um den Verzicht auf eigene Befugnisse überschaubar und kontrollierbar zu machen.

Der materielle Umfang der Einzelermächtigungen ist, je nach Art der der EU übertragenen Aufgabenbereiche, unterschiedlich weit gefasst. Soweit Zuständigkeiten der EU nicht übertragen worden sind, verbleiben sie im ausschließlichen Verfügungsbereich der Mitgliedstaaten. Im EU-Vertrag wird ausdrücklich klargestellt, dass Fragen der „nationalen Sicherheit“ in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben.

Dies wirft natürlich die Frage nach der Abgrenzung der Zuständigkeiten der EU von denen der Mitgliedstaaten auf. Diese Abgrenzung wird anhand von drei Zuständigkeitskategorien vorgenommen:

  • Ausschließliche Zuständigkeit der EU (Artikel 3 AEU-Vertrag) in den Bereichen, in denen eine Vermutung dafür besteht, dass eine Maßnahme auf EU-Ebene wirksamer ist als eine unkoordinierte Maßnahme irgendeines Mitgliedstaates. Diese Bereiche sind genau abgegrenzt und erfassen die Zollunion, die Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts notwendigen Wettbewerbsregeln, die Währungspolitik der Euro-Staaten, die gemeinsame Handelspolitik und Teile der gemeinsamen Fischereipolitik. In diesen Politikbereichen kann allein die Europäische Union gesetzgeberisch tätig werden und rechtlich verbindliche Rechtsakte erlassen. Die Mitgliedstaaten dürfen nur dann tätig werden, wenn sie von der Europäischen Union hierzu ermächtigt werden oder um Rechtsakte der Europäischen Union durchzuführen (Artikel 2 Absatz 1 AEU-Vertrag).
  • Geteilte Zuständigkeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten (Artikel 4 AEU-Vertrag) in den Bereichen, in denen ein Tätigwerden der EU einen zusätzlichen Nutzen gegenüber einem Handeln der Mitgliedstaaten bringt. Eine solche geteilte Zuständigkeit ist vorgesehen für die Regelungen des Binnenmarktes, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt, die Landwirtschaft und Fischerei, die Umwelt, den Verkehr, die transeuropäischen Netze, die Energieversorgung, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, für gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, der Forschung und technologischen Entwicklung, der Raumfahrt, der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe. In allen diesen Bereichen besitzt die EU den ersten Zugriff auf die Wahrnehmung der Zuständigkeit, welche sich allerdings nur auf die durch den betreffenden Rechtsakt der Union geregelten Elemente und nicht auf den gesamten Politikbereich erstreckt. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit die EU ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben (Artikel 2 Absatz 2 AEU-Vertrag). Der letztgenannte Fall ist gegeben, wenn die betreffenden Organe der EU beschließen, einen Gesetzgebungsakt aufzuheben, insbesondere um den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu genügen. Der Rat der EU kann die Kommission auf Initiative eines oder mehrerer seiner Mitglieder auch auffordern, Vorschläge für die Aufhebung eines Rechtsakts zu unterbreiten.
  • Unterstützende Zuständigkeiten (Artikel 6 AEU-Vertrag): In Ausübung der unterstützenden Zuständigkeiten greift die EU ausschließlich zur Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten ein; eine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften in den der unterstützenden Zuständigkeit unterworfenen Bereichen darf die EU in keinem Fall vornehmen (Artikel 2 Absatz 5 AEU-Vertrag). Die Verantwortung für die rechtliche Gestaltung verbleibt somit bei den Mitgliedstaaten, die dabei über ein beträchtliches Maß an Aktionsfreiheit verfügen. Erfasst werden von dieser Zuständigkeitskategorie der Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit, die Industriepolitik, die Kultur, der Tourismus, die Bildung, die Jugend, der Sport und die Berufsausbildung, der Katastrophenschutz und die Verwaltungszusammenarbeit. In den Bereichen der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik erkennen die Mitgliedstaaten ausdrücklich an, dass ihre nationalen Maßnahmen innerhalb der EU koordiniert werden müssen.

Über diese speziellen Handlungsbefugnisse hinaus eröffnen die Unionsverträge den EU-Organen auch dann die Möglichkeit zum Tätigwerden, wenn dies zur Verwirklichung und für das Funktionieren des Binnenmarkts sowie zur Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs unerlässlich ist (vgl. Artikel 352 AEU-Vertrag – sog. Vertragsabrundungskompetenz oder Flexibilitätsklausel). Damit wird den Organen allerdings keine generelle Ermächtigung erteilt, die die Wahrnehmung von Aufgaben ermöglicht, die außerhalb der von den Verträgen vorgegebenen Ziele liegen. Auch ist es den Unionsorganen nicht möglich, unter Berufung auf diese Handlungsermächtigung ihre eigenen Kompetenzen auf Kosten der Mitgliedstaaten zu erweitern. In der Praxis sind die Möglichkeiten dieser Ermächtigung in früheren Zeiten sehr häufig genutzt worden, da sich der EU im Laufe der Zeit immer neue Aufgaben stellten, die man bei Abschluss der Gründungsverträge noch nicht vorhergesehen hatte und für die deshalb entsprechende Einzelermächtigungen in den Verträgen fehlten. Hinzuweisen ist vor allem auf die Bereiche des Umwelt- und Verbraucherschutzes oder die Errichtung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, der dazu beitragen soll, den Abstand zwischen den entwickelten und unterentwickelten Gebieten in der EU zu verringern. Für die genannten Bereiche sind inzwischen jedoch spezielle Ermächtigungen vorgesehen worden. Mit diesen ausdrücklichen Regelungen hat die praktische Bedeutung der Vertragsabrundungskompetenz erheblich abgenommen. Die Wahrnehmung dieser Kompetenz bedarf der Zustimmung durch das Europäische Parlament.

Schließlich bestehen weitere Zuständigkeiten zum Erlass solcher Maßnahmen, die zur wirksamen und sinnvollen Ausführung bereits ausdrücklich eingeräumter Befugnisse erforderlich sind (Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs). Besondere Bedeutung haben diese Zuständigkeiten für die Wahrnehmung von Außenbeziehungen erlangt. Danach kann die EU auch gegenüber Nichtmitgliedstaaten oder anderen internationalen Organisationen in Bereichen Verpflichtungen eingehen, die vom Aufgabenkatalog der EU erfasst werden. Ein anschauliches Beispiel liefert der Rechtsstreit Kramer u. a., mit dem sich der Gerichtshof zu befassen hatte. Dabei ging es um die Zuständigkeit der EU, zwecks Festsetzung von Fangquoten in der Seefischerei mit internationalen Seerechtsorganisationen zusammenzuarbeiten und gegebenenfalls entsprechende völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen. Der Gerichtshof leitete die dafür erforderliche auswärtige Kompetenz der EU mangels ausdrücklicher Regelung im Vertrag aus ihrer internen Zuständigkeit für die Fischereipolitik im Rahmen der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik ab.

Bei der Ausübung ihrer Kompetenzen unterliegt die EU dem von der katholischen Soziallehre entliehenen Subsidiaritätsprinzip, das durch seine Verankerung im EU-Vertrag (Artikel 5 Absatz 3 EU-Vertrag) in Verfassungsrang erhoben worden ist. Dieses Prinzip verfügt über zwei Seiten, eine positive und eine negative: Die positive, d. h. Kompetenz stimulierende Seite für die EU besagt, dass die EU handeln soll, wenn die angestrebten Ziele „besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können“; die negative, d. h. die Kompetenz abwehrende Seite bedeutet, dass die EU nicht tätig werden soll, wenn das Handeln der Mitgliedstaaten zur Zielverwirklichung ausreicht. Dies ist für die Bereiche der ausschließlichen Zuständigkeit der EU automatisch anzunehmen, sodass sich eine Subsidiaritätsprüfung in diesen Bereichen erübrigt. Für alle anderen Zuständigkeitsbereiche bedeutet dies in der Praxis hingegen, dass alle Unionsorgane, insbesondere aber die Kommission, nachweisen müssen, dass es einer unionsweiten Regelung und eines Unionshandelns überhaupt bedarf. Frei nach Montesquieu gilt hier: Wenn es nicht nötig ist, eine EU-Regelung zu treffen, ist es nötig, keine zu treffen. Wird der Regelungsbedarf auf Unionsebene bejaht, ist anschließend die Frage nach der Intensität und der Art der zu treffenden Unionsmaßnahme zu stellen. Die Antwort gibt hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Zusammenhang mit den Kompetenzregelungen in Artikel 5 Absatz 4 EU-Vertrag niedergelegt ist. Danach ist eingehend zu prüfen, ob ein Rechtsinstrument notwendig ist und ob nicht andere Aktionsmittel ausreichend wirksam wären. Dies bedeutet vor allem, dass Rahmenregelungen, Mindestvorschriften und Regeln zur gegenseitigen Anerkennung nationaler Vorschriften der Vorzug zu geben ist vor übermäßig detaillierten Rechtsvorschriften und harmonisierende Rechtsvorschriften, wenn möglich, vermieden werden sollten.

Diese Grafik enthält einen Überblick über die Zusammensetzung der wichtigsten Organe und Einrichtungen der EU, wie Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, Europäisches Parlament, Europäische Kommission, Europäischer Ausschuss der Regionen, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Gerichtshof der Europäischen Union, Europäischer Rechnungshof, Europäische Zentralbank und Europäische Investitionsbank.

Dem Europäischen Rat gehören die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten sowie der Präsident des Europäischen Rates und die Präsidentin der Kommission an. Der Rat der Europäischen Union umfasst 27 Minister, je einen pro Mitgliedstaat. Das Europäische Parlament setzt sich aus 705 Abgeordneten zusammen. Die Europäische Kommission hat 27 Mitglieder, wobei jeder Mitgliedstaat ein Mitglied ernennt. Der Europäische Ausschuss der Regionen umfasst 329 Mitglieder. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss besteht aus 326 Mitgliedern. Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst 27 Richter am Gerichtshof (je einen pro Mitgliedstaat) und 54 Richter am Gericht (je zwei pro Mitgliedstaat). Der Europäische Rechnungshof hat 27 Mitglieder, je eines pro Mitgliedstaat. Die Europäische Zentralbank setzt sich aus 19 Präsidenten zusammen, die die Zentralbanken der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vertreten. Der Rat der Gouverneure der Europäischen Investitionsbank umfasst 27 Mitglieder, je eines pro Mitgliedstaat.

Die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit kann jetzt auch durch die nationalen Parlamente kontrolliert werden. Dazu wurde ein Frühwarnsystem eingeführt, nach dem die nationalen Parlamente innerhalb von acht Wochen nach Übermittlung eines EU-Gesetzgebungsvorschlags eine begründete Stellungnahme abgeben können, in der dargelegt wird, warum der fragliche Gesetzgebungsvorschlag nicht mit den Anforderungen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Wird diese begründete Stellungnahme von mindestens einem Drittel der den nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen mitgetragen (wobei jedes nationale Parlament über zwei Stimmen verfügt, bei Kammersystemen je eine Stimme pro Kammer), muss der Gesetzgebungsvorschlag von seinem Urheber (in der Regel die Europäische Kommission) erneut überprüft werden. Der Vorschlag kann auf der Grundlage dieser Überprüfung aufrechterhalten, geändert oder zurückgezogen werden. Entscheidet sich die Europäische Kommission für die Beibehaltung des Entwurfs, so hat sie in einer begründeten Stellungnahme zu rechtfertigen, warum der Entwurf ihres Erachtens im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip steht. Diese begründete Stellungnahme wird zusammen mit den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente dem EU-Gesetzgeber zur Berücksichtigung im Gesetzgebungsverfahren übermittelt. Ist der EU-Gesetzgeber mit einer Mehrheit von 55 % der Mitglieder des Rates der EU oder einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Europäischen Parlament der Ansicht, dass der Vorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, wird der Gesetzgebungsvorschlag nicht weiter geprüft.

Die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union

Artikel 13 EU-Vertrag (Institutioneller Rahmen)

  1. Die Union verfügt über einen institutionellen Rahmen, der zum Zweck hat, ihren Werten Geltung zu verschaffen, ihre Ziele zu verfolgen, ihren Interessen, denen ihrer Bürgerinnen und Bürger und denen der Mitgliedstaaten zu dienen sowie die Kohärenz, Effizienz und Kontinuität ihrer Politik und ihrer Maßnahmen sicherzustellen.

    Die Organe der Union sind

    • das Europäische Parlament,
    • der Europäische Rat,
    • der Rat der EU,
    • die Europäische Kommission,
    • der Gerichtshof der Europäischen Union,
    • die Europäische Zentralbank,
    • der Rechnungshof.
  2. Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind. Die Organe arbeiten loyal zusammen.
  3. Die Bestimmungen über die Europäische Zentralbank und den Rechnungshof sowie die detaillierten Bestimmungen über die übrigen Organe sind im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthalten.
  4. Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission werden von einem Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie einem Ausschuss der Regionen unterstützt, die beratende Aufgaben wahrnehmen.

Eine weitere Frage, die sich im Zusammenhang mit der „Verfassung“ der EU stellt, ist die nach ihrer Organisation: Welches sind die Organe der EU? Da die EU Funktionen wahrnimmt, die sonst nur Staaten zustehen, drängt sich die Frage auf, ob es eine Regierung, ein Parlament, Verwaltungsbehörden und Gerichte gibt, wie sie uns aus den Mitgliedstaaten bekannt sind. Die Durchführung der der EU zugewiesenen Aufgaben und die Steuerung des Integrationsprozesses wurden bewusst nicht allein der Initiative und Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der internationalen Zusammenarbeit überlassen. Die EU verfügt vielmehr über ein institutionelles System, das sie in die Lage versetzt, der europäischen Einigung neue Impulse und Zielsetzungen zu geben sowie auf den in ihre Zuständigkeit fallenden Sachgebieten für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen verbindliches Recht zu setzen.

Die Hauptakteure im institutionellen System der EU sind die Organe der EU, nämlich das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat der EU, die Europäische Kommission, der Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank sowie der Rechnungshof. Als ergänzende Einrichtungen bestehen im institutionellen System der EU noch die Europäische Investitionsbank sowie der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Europäische Ausschuss der Regionen.

Organe

Europäisches Parlament (Artikel 14 EU-Vertrag)

Das Europäische Parlament vertritt die Bürgerinnen und Bürger der EU. Es ist aus der Gemeinsamen Versammlung der EGKS, der Versammlung der EWG und der Versammlung der EAG hervorgegangen, die durch das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften von 1957 (erster Fusions-Vertrag) zu einer „Versammlung“ vereinigt wurden. Die offizielle Umbenennung in „Europäisches Parlament“ erfolgte erst mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Union (Vertrag von Maastricht); allerdings wurde damit lediglich einer bereits allgemein gebräuchlichen Bezeichnung Rechnung getragen, die auf eine durch die Versammlung selbst im Jahr 1958 vorgenommene Namensänderung in „Europäisches Parlament“ zurückgeht.

Zusammensetzung und Wahl

Struktur des Europäischen Parlaments 2019-2024

  • PRÄSIDENT
  • 14 Vizepräsidenten
  • 5 Quästoren (beratend)

Präsident, Vizepräsidenten und Quästoren (Mitglieder des Europäischen Parlaments, die mit internen Verwaltungs- und Finanzaufgaben betraut sind) bilden das Präsidium des Europäischen Parlaments, das vom Europäischen Parlament für zweieinhalb Jahre gewählt wird. Daneben besteht eine Konferenz der Präsidenten, die aus dem Präsidenten des Parlaments und den Vorsitzenden der Fraktionen besteht. Sie ist für Fragen der internen Organisation des Europäischen Parlaments, der interinstitutionellen Beziehungen und für die Beziehungen zu Institutionen außerhalb der Europäischen Union zuständig.

Mitgliedstaat Anzahl an Sitzen
Deutschland 96
Frankreich 79
Italien 76
Spanien 59
Polen 52
Rumänien 33
Niederlande 29
Belgien 21
Tschechien 21
Griechenland 21
Ungarn 21
Portugal 21
Schweden 21
Österreich 19
Bulgarien 17
Dänemark 14
Slowakei 14
Finnland 14
Irland 13
Kroatien 12
Litauen 11
Lettland 8
Slowenien 8
Estland 7
Zypern 6
Luxemburg 6
Malta 6

Die Vertreter im Europäischen Parlament waren bis zum Jahr 1979 Mitglieder der nationalen Parlamente, aus deren Mitte sie ernannt und ins Europäische Parlament entsandt wurden. Die bereits in den Verträgen vorgesehene allgemeine und unmittelbare Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments durch die Bevölkerung der Mitgliedstaaten konnte nach vielen vergeblichen Initiativen erst 1979 verwirklicht werden. Die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments fand im Juni 1979 statt und wird seitdem entsprechend der Dauer einer „Legislaturperiode“ in Abständen von jeweils fünf Jahren durchgeführt. Ein unionsrechtliches Wahlsystem ist erst nach jahrzehntelangem Bemühen mit dem Akt zur Einführung allgemeiner, unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Jahr 1976 eingeführt und 2002 durch den sogenannten „Direktwahlakt“ grundlegend reformiert worden. Danach legt jeder Mitgliedstaat immer noch sein eigenes Wahlverfahren fest, wendet aber die gleichen grundlegenden demokratischen Regeln an:

  • allgemeine und unmittelbare Wahl,
  • Verhältniswahlrecht,
  • geheime und freie Wahl,
  • Mindestalter (für das aktive Wahlrecht beträgt es in allen Mitgliedsstaaten 18 Jahre, mit Ausnahme von Österreich und Malta, wo das Mindestwahlalter 16 Jahre beträgt, und Griechenland, wo das Mindestalter auf 17 Jahre festgelegt wurde),
  • erneuerbare Mandatsdauer von fünf Jahren,
  • Unvereinbarkeiten (die Abgeordneten des Europäischen Parlaments können nicht gleichzeitig Doppelämter ausüben, z. B. das Amt des Richters, des Staatsanwalts, des Ministers; sie unterliegen darüber hinaus den Gesetzen ihres Landes, welche die Häufung von Mandaten oder Ämtern zusätzlich einschränken können),
  • Wahldatum,
  • Gleichstellung von Mann und Frau.

In einigen Ländern besteht Wahlpflicht (Belgien, Luxemburg und Griechenland).

Im Jahr 2009 ist darüber hinaus ein einheitliches Abgeordneten-Statut in Kraft getreten, das die Bedingungen, unter denen die Abgeordneten arbeiten, transparenter macht und klare Regeln enthält. Es führt außerdem ein für alle Abgeordneten einheitliches Gehalt ein, das aus dem EU-Haushalt gezahlt wird.

Mit der Direktwahl hat das Europäische Parlament eine demokratische Legitimation erhalten und kann für sich in Anspruch nehmen, eine „Vertretung der Bürgerinnen und Bürger der EU“ zu sein. Die Existenz eines direkt gewählten Parlaments allein kann jedoch die Grundforderung einer demokratischen Verfassung, wonach alle Staatsgewalt vom Volk auszugehen hat, nicht erfüllen. Dazu gehören neben der Durchschaubarkeit des Entscheidungsprozesses und der Repräsentativität der Entscheidungsorgane auch die parlamentarische Kontrolle und Legitimität der am Entscheidungsprozess beteiligten Unionsorgane durch das Parlament. Auch hier sind in den letzten Jahren ganz erhebliche Fortschritte erzielt worden. So wurden nicht nur die Rechte des Europäischen Parlaments ständig erweitert, sondern mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Arbeitsweise der Europäischen Union insgesamt ausdrücklich auf die Einhaltung des Grundsatzes der repräsentativen Demokratie verpflichtet. Danach sind alle Unionsbürger im Europäischen Parlament unmittelbar vertreten und haben das Recht, aktiv am demokratischen Leben der EU teilzunehmen. Damit soll gewährleistet werden, dass die Entscheidungen auf EU-Ebene möglichst transparent und bürgernah getroffen werden. Die politischen Parteien auf EU-Ebene sollen zur Herausbildung eines europäischen Bewusstseins beitragen und den Willen der Unionsbürger artikulieren. Wenn man im Hinblick auf die gegenwärtige demokratische Ordnung der EU noch von einem Defizit sprechen will, dann nur insoweit, als das Europäische Parlament, anders als dies etwa im staatlichen Modell der parlamentarischen Demokratie der Fall ist, keine Regierung wählt, die dem Parlament gegenüber verantwortlich ist.

Artikel 10 EU-Vertrag (Repräsentative Demokratie)

  1. Die Arbeitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demokratie.
  2. Die Bürgerinnen und Bürger sind auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten.

    Die Mitgliedstaaten werden im Europäischen Rat von ihrem jeweiligen Staats- oder Regierungschef und im Rat von ihrer jeweiligen Regierung vertreten, die ihrerseits in demokratischer Weise gegenüber ihrem nationalen Parlament oder gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen müssen.

  3. Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und bürgernah wie möglich getroffen.
  4. Politische Parteien auf europäischer Ebene tragen zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union bei.

Dieses „Defizit“ erklärt sich allerdings aus dem einfachen Umstand, dass es eine Regierung im herkömmlichen Sinn in der EU nicht gibt. Vielmehr werden die regierungsähnlichen Funktionen, die in den Unionsverträgen vorgesehen sind, vom Rat der EU und der Europäischen Kommission in Arbeitsteilung wahrgenommen. Immerhin wurde dem Europäischen Parlament zuletzt durch den Vertrag von Lissabon weitreichende Befugnisse bei der Einsetzung der Europäischen Kommission zugestanden, die von der Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission durch das Europäische Parlament auf Vorschlag des Europäischen Rates bis hin zum Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments zur Europäischen Kommission in voller Besetzung reicht (sog. „Investiturrecht“). Über einen vergleichbaren Einfluss auf die Zusammensetzung des Rates der EU verfügt das Europäische Parlament hingegen nicht. Er unterliegt nur insoweit einer parlamentarischen Kontrolle, als jedes seiner Mitglieder als nationaler Minister der Kontrolle seines nationalen Parlaments unterworfen ist.

Erheblich gestärkt worden ist die Rolle des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsprozess der EU. Durch die Erhebung des Mitentscheidungsverfahrens zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU ist das Europäische Parlament neben dem Rat der EU quasi zum „Mitgesetzgeber“ geworden. Im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens ist es dem Europäischen Parlament möglich, in mehreren Lesungen Änderungen an den Rechtsetzungsakten zu formulieren und in gewissen Grenzen auch gegenüber dem Rat der EU erfolgreich durchzusetzen. Ohne Einigung zwischen Rat der EU und Europäischem Parlament kann ein Unionsrechtsakt nicht zustande kommen.

Traditionell sehr stark ist darüber hinaus die Stellung des Europäischen Parlaments im Haushaltsverfahren. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments noch dadurch erweitert, dass es den mehrjährigen Finanzplan genehmigen muss und über sämtliche Ausgaben mitentscheidet.

Das Parlament besitzt ein Zustimmungsrecht zu allen wichtigen internationalen Abkommen, die einen Bereich betreffen, welcher der Mitentscheidung unterliegt, sowie zu den Beitrittsverträgen, die mit neuen Mitgliedstaaten geschlossen werden und die die Bedingungen des Beitritts festlegen.

Auch die Kontrollfunktionen des Europäischen Parlaments sind im Laufe der Zeit erheblich ausgedehnt worden. Die Kontrollen bestehen vor allem darin, dass die Kommission dem Parlament Rede und Antwort stehen muss, ihre Haltung in öffentlichen Plenardebatten vertreten und dem Europäischen Parlament jährlich einen „Gesamtbericht über die Tätigkeit der Europäischen Union“ zur Diskussion vorlegen muss. Das Europäische Parlament kann der Europäischen Kommission mit einer Zweidrittelmehrheit das Misstrauen aussprechen und sie damit zum Rücktritt zwingen (Artikel 234 AEU-Vertrag). Bisher wurden im Europäischen Parlament mehrfach Misstrauensanträge eingebracht, jedoch hat bisher keiner die erforderliche Mehrheit erreicht2. Da sich auch der Rat der EU in der Unionspraxis den Fragen des Europäischen Parlaments stellt, verfügt das Europäische Parlament über die Möglichkeit einer direkten politischen Aussprache mit zwei wichtigen Verfassungsorganen der EU.

Diese politischen Kontrollmöglichkeiten des Europäischen Parlaments sind zwischenzeitlich noch um weitere Kontrollmechanismen ergänzt worden. Verstößen oder Missständen in der EU kann das Europäische Parlament auch in eigens dafür eingesetzten Untersuchungsausschüssen nachgehen. Ein solcher Ausschuss wurde etwa im Juni 2016 anlässlich der Enthüllungen über Offshore-Unternehmen und deren geheim gehaltene Eigentümer durch die sogenannten „Panama-Papers“ eingesetzt. Aufgabe war die Prüfung eventueller Verstöße gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. Ein weiterer, ebenfalls 2016 eingerichteter Untersuchungsausschuss beschäftigte sich mit dem Pkw-Abgasskandal. Im Juni 2020 schließlich hat das EP einen Untersuchungsausschuss zu den Tiertransporten in der EU eingesetzt, der Verstöße gegen die EU-Verordnung zum Transport lebender Tiere (Verordnung (EG) Nr. 1/2005) untersuchen soll. Darüber hinaus ist auch das Recht eines jeden Bürgers oder einer juristischen Person vertraglich abgesichert, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten, die von einem ständigen Petitionsausschuss bearbeitet werden. Schließlich hat das Parlament von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und einen Europäischen Bürgerbeauftragten (Ombudsmann) ernannt, der Beschwerden über Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Einrichtungen, mit Ausnahme des Gerichtshofs, entgegennimmt. Der Bürgerbeauftragte darf Untersuchungen durchführen und das betreffende Organ oder die betreffende Einrichtung befassen. Er legt dem Parlament einen Bericht über seine Tätigkeiten vor.

Sitz

Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg; dort hält es die zwölf monatlich stattfindenden Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung ab. Zusätzliche Plenartagungen finden in Brüssel statt, wo auch die Ausschüsse tagen. Das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments ist dagegen in Luxemburg untergebracht. Diese Festlegung des Europäischen Rates aus dem Jahr 1992 ist im Protokoll Nr. 6 zum Vertrag von Lissabon bestätigt worden. Das Ergebnis dieser Entscheidung ist, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie ein Teil seiner Beamten und Angestellten zwischen Straßburg, Brüssel und Luxemburg pendeln müssen; eine sehr kostspielige „Angelegenheit“.

Europäischer Rat (Artikel 15 EU-Vertrag)

Im Europäischen Rat kommen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie die Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mindestens zweimal pro Halbjahr in Brüssel zusammen.

Zusammensetzung und Aufgaben

Zusammensetzung des Europäischen Rates

  • Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten
  • Präsident des Europäischen Rates
  • Präsident der Europäischen Kommission
  • Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik

AUFGABEN

Festlegung der allgemeinen politischen Ziele und Prioritäten

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates geschaffen. Der Präsident des Europäischen Rates hat, anders als die Präsidentschaft, kein nationales, sondern ein europäisches Mandat, das über zweieinhalb Jahre läuft und in Vollzeit ausgeübt wird. Zum Präsidenten soll eine herausragende Persönlichkeit bestellt werden; dies geschieht durch Wahl mit qualifizierter Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Rates, wobei eine einmalige Wiederwahl möglich ist. Seine Aufgabe besteht in der Vor- und Nachbereitung der Sitzungen des Europäischen Rates; außerdem repräsentiert er die EU auf den internationalen Gipfeltreffen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik.

Der Europäische Rat wird nicht gesetzgeberisch tätig. Seine Funktion besteht darin, die allgemeinen politischen Leitlinien für das Handeln der EU festzulegen. Dies erfolgt in der Form von sogenannten „Schlussfolgerungen“, die im Konsens angenommen werden und politische Grundsatzentscheidungen oder die Formulierung von Richtlinien und Aufträgen für die Arbeit des Rates der EU oder der Europäischen Kommission beinhalten. Derartige Anstöße sind vom Europäischen Rat etwa für die Wirtschafts- und Währungsunion, das Europäische Währungssystem, die Direktwahlen des Europäischen Parlaments sowie für sozialpolitische Aktivitäten und in Beitrittsfragen ausgegangen.

Rat der Europäischen Union (Artikel 16 EU-Vertrag)
Zusammensetzung und Vorsitz

Im Rat der EU sind die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten. Alle 27 Mitgliedstaaten entsenden einen Vertreter, und zwar regelmäßig, aber nicht zwingend, die für die vorgesehenen Themen zuständigen Fachminister bzw. Staatssekretäre. Wichtig ist, dass die die jeweilige Regierung vertretende Person befugt sein muss, für die Regierung des jeweiligen Mitgliedstaats verbindlich zu handeln. Die verschiedenen Möglichkeiten der Vertretung einer Regierung eines Mitgliedstaates machen bereits deutlich, dass es keine ständigen Ratsmitglieder gibt; vielmehr tagt der Rat in zehn verschiedenen personellen wie fachlichen Zusammensetzungen.

Die zehn Zusammensetzungen des Rates der EU

Je ein Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten auf Ministerebene, die in unterschiedlicher Zusammensetzung je nach Sachgebiet im Rat zusammenkommen

Unter dem Vorsitz des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik:

  • Auswärtige Angelegenheiten

Unter dem Vorsitz des Mitgliedstaats, der die Ratspräsidentschaft ausübt:

  • Allgemeine Angelegenheiten
  • Wirtschaft und Finanzen
  • Justiz und Inneres
  • Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
  • Wettbewerbsfähigkeit
  • Verkehr, Telekommunikation und Energie
  • Landwirtschaft und Fischerei
  • Umwelt
  • Bildung, Jugend, Kultur und Sport

Der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ gestaltet das auswärtige Handeln der EU entsprechend den strategischen Vorgaben des Europäischen Rates und sorgt für die Kohärenz des Handelns der EU. Der „Rat für allgemeine Angelegenheiten“ sorgt für die Kohärenz der Arbeiten des Rates in seinen verschiedenen Zusammensetzungen und bereitet zusammen mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission die Tagungen des Europäischen Rates vor. Der Vorsitz im Rat wird, mit Ausnahme des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“, der vom Hohen Vertreter der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik geleitet wird, von den Mitgliedstaaten nacheinander für jeweils sechs Monate wahrgenommen. Die Reihenfolge wird vom Rat einstimmig beschlossen. Der Wechsel im Vorsitz findet jeweils am 1. Januar und am 1. Juli eines Jahres statt (2020: Kroatien, Deutschland; 2021: Portugal, Slowenien; 2022: Frankreich, Tschechien; 2023: Schweden, Spanien). Angesichts des relativ häufigen Wechsels im Vorsitz wird auf der Grundlage eines Arbeitsprogramms vorgegangen, das unter jeweils drei aufeinander folgenden Präsidentschaften abgestimmt wird und somit über einen Zeitraum von 18 Monaten gültig ist (sog. „Team-Präsidentschaft“). Dem Vorsitz im Rat kommt vor allem die Aufgabe zu, die Arbeiten im Rat und in den diesem zuarbeitenden Ausschüssen federführend zu gestalten. Daneben kommt dem Ratsvorsitz auch politische Bedeutung insoweit zu, als der dem Rat der EU vorstehende Mitgliedstaat in der Weltöffentlichkeit aufgewertet wird und deshalb vor allem auch kleinere Mitgliedstaaten die Gelegenheit erhalten, sich in dieser Rolle gegenüber den „Großen“ politisch ins Bild zu setzen und in der Europapolitik zu profilieren.

Die Arbeiten des Rates werden von einer Vielzahl von Vorbereitungsgremien (Ausschüsse und Arbeitsgruppen) vorbereitet, die sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzen. Das wichtigste unter diesen Vorbereitungsgremien ist der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten („AStV I und II“), der in der Regel mindestens einmal wöchentlich zusammentritt.

Der Rat wird von einem Generalsekretariat unterstützt, das einem vom Rat ernannten Generalsekretär untersteht.

Der Rat hat seinen Sitz in Brüssel.

Aufgaben

Der Rat der EU hat fünf zentrale Aufgaben:

  • Die vordringlichste Aufgabe des Rates der EU ist die Rechtsetzung, die er im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens zusammen mit dem Europäischen Parlament wahrnimmt.
  • Dem Rat kommt daneben die Aufgabe zu, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten aufeinander abzustimmen.
  • Er entwickelt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU entsprechend den Vorgaben des Europäischen Rates.
  • Der Rat ist das zuständige Organ für den Abschluss von Abkommen zwischen der EU einerseits und Drittstaaten oder internationalen Organisation andererseits.
  • Er stellt auf der Grundlage eines Entwurfs der Europäischen Kommission den Haushaltsplan auf, der danach noch der Genehmigung durch das Europäische Parlament bedarf. Er ist es auch, der dem Europäischen Parlament die Entlastung der Kommission im Hinblick auf die Durchführung des Haushaltsplans empfiehlt.

Darüber hinaus ernennt der Rat die Mitglieder des Europäischen Rechnungshofes, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Europäischen Ausschusses der Regionen.

Beratungen und Beschlussfassung im Rat

In den Beratungen des Rates vollzieht sich der Ausgleich zwischen den Einzelinteressen der Mitgliedstaaten und dem Unionsinteresse. Auch wenn im Rat vor allem die Interessen der Mitgliedstaaten zur Geltung gebracht werden, so sind die Ratsmitglieder doch zugleich den Zielen und Notwendigkeiten der EU im Ganzen verpflichtet. Der Rat ist ein Unionsorgan und keine Regierungskonferenz. Deshalb ist auch in den Beratungen des Rates nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Mitgliedstaaten zu suchen, sondern nach dem optimalen Ausgleich zwischen dem Unionsinteresse und den Interessen einzelner Mitgliedstaaten.

Der Rat berät und beschließt nur auf der Grundlage von Schriftstücken und Entwürfen, die in den 24 Amtssprachen (Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch) vorliegen. Bei Dringlichkeit kann einstimmig von der Anwendung dieser Sprachenregelung abgewichen werden. Dies gilt auch für Änderungsvorschläge, die noch während der Ratssitzungen eingebracht und diskutiert werden.

Für die Abstimmungen im Rat sehen die EU-Verträge grundsätzlich die Mehrheitsregel vor: Als Grundregel gilt dabei die qualifizierte Mehrheit (Artikel 16 Absatz 3 EU-Vertrag). Nur in einigen Bereichen (insbesondere in Verfahrensfragen) ist eine einfache Mehrheit ausreichend, wobei jedes Ratsmitglied eine Stimme hat (die einfache Mehrheit bei 27 Mitgliedstaaten liegt bei 14 Stimmen).

Nach dem System der doppelten Mehrheit ist die qualifizierte Mehrheit erreicht, wenn mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der Bevölkerung der EU repräsentieren, den Vorschlag der Kommission unterstützen (Artikel 16 Absatz 4 EU-Vertrag)3.

Um zu verhindern, dass wenige bevölkerungsreiche Mitgliedstaaten die Annahme einer Entscheidung verhindern können, ist vorgesehen, dass eine Sperrminorität aus mindestens vier Mitgliedstaaten bestehen muss, die mindestens 35 % der EU-Bevölkerung repräsentieren. Vervollständigt wird das System durch einen ergänzenden Mechanismus: Für den Fall, dass eine Sperrminorität nicht zustande kommt, kann das Entscheidungsverfahren ausgesetzt werden. Der Rat der EU geht in diesem Fall nicht zur Abstimmung über, sondern setzt die Verhandlungen während eines „angemessenen Zeitraums“ fort, falls Mitglieder des Rates, die mindestens 75 % der Bevölkerung oder mindestens 75 % der Anzahl der Mitgliedstaaten vertreten, die für die Bildung einer Sperrminorität erforderlich sind, dies verlangen.

Für Beschlüsse in besonders sensiblen Politikbereichen ist in den Verträgen Einstimmigkeit vorgesehen. Stimmenthaltungen hindern jedoch das Zustande­kommen eines Beschlusses nicht. Einstimmigkeit gilt etwa noch für den Bereich der Steuern, für Regelungen betreffend die soziale Sicherheit und den sozialen Schutz der Arbeitnehmer, die Feststellung der Verletzung der Grundwerte der Union durch einen Mitgliedstaat sowie für Beschlüsse zur Festlegung der Grundsätze und Durchführung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder bestimmte Beschlüsse im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.

Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (Artikel 18 EU-Vertrag)

Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht, wie im Verfassungsprojekt geplant, zum Außenminister der EU geworden; gleichwohl ist seine Stellung im Institutionengefüge erheblich gestärkt und erweitert worden. Der Hohe Vertreter ist sowohl im Rat der EU, wo er den Vorsitz des Rates für auswärtige Angelegenheiten innehat, als auch in der Kommission, wo er als Vizepräsident für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist, verwurzelt. Der Hohe Vertreter wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit und mit Zustimmung des Präsidenten der Europäischen Kommission ernannt. Er wird unterstützt von einem 2011 neu geschaffenen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), der durch Zusammenlegung der Rats- und der Kommissionsdienststellen für Außenpolitik und Einbeziehung von Diplomaten der nationalen diplomatischen Dienste gebildet wurde.

Europäische Kommission (Artikel 17 EU-Vertrag)

Zusammensetzung

27 Mitglieder, davon

  • Präsident
  • 3 Exekutiv-Vizepräsidenten
  • Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, zugleich Vizepräsident
  • 4 weitere Vizepräsidenten
  • 18 Kommissare

AUFGABEN

  • Initiative zur Unionsgesetzgebung
  • Kontrolle über Einhaltung und richtige Anwendung des Unionsrechts
  • Verwaltung und Durchführung der Unionsvorschriften
  • Vertretung der EU in internationalen Organisationen
Ursula von der Leyen steht am Rednerpult, lächelnd und mit einer einladenden Geste an das Publikum.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hält vor dem Europäischen Parlament ihre Rede zur Lage der Union. Straßburg, Frankreich, 15. September 2021.

Zusammensetzung

Die Europäische Kommission besteht aus 27 Mitgliedern, einem Mitglied je Mitgliedstaat, d. h., gegenwärtig sind in der Kommission 27 Kommissare/Kommissarinnen (mit unterschiedlichen Funktionen) tätig (Artikel 17 Absatz 4 EU-Vertrag). Die in Artikel 17 Absatz 5 EU-Vertrag vorgesehene Verkleinerung der Kommission auf zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten ab dem 1. November 2014 wurde aufgrund eines Beschlusses des Europäischen Rates nicht aktiviert.

Die Kommission wird von einem Präsidenten geführt, der innerhalb des Kollegiums eine starke Stellung einnimmt. Er ist nicht mehr lediglich „primus inter pares“, sondern seine Stellung ist insoweit herausgehoben, als er die Leitlinien festlegt, nach denen die Kommission ihre Aufgaben ausübt, und auch über die interne Organisation der Kommission beschließt (Artikel 17 Absatz 6 Buchstaben a und b EU-Vertrag). Der Präsident verfügt damit über eine Richtlinienkompetenz und Organisationsgewalt. Mit diesen Kompetenzen ausgestattet, ist es Sache des Präsidenten, sicherzustellen, dass das Handeln der Kommission kohärent und effizient ist und dem Grundsatz der Kollegialität, das insbesondere in der Beschlussfassung als Kollegium zum Ausdruck kommt (Artikel 250 Absatz 1 AEU-Vertrag), gerecht wird. Er strukturiert und verteilt die Zuständigkeitsbereiche der Kommission unter ihren Mitgliedern, wobei die Zuständigkeitsverteilung im Laufe der Amtszeit auch geändert werden kann (Artikel 248 AEU-Vertrag). Der Präsident ernennt die Vizepräsidenten und die weiteren Vizepräsidenten mit Ausnahme des Hohen Vertreters der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, der bereits aufgrund dieses Amtes zugleich auch Vizepräsident in der Kommission ist. Darüber hinaus wird ausdrücklich vorgesehen, dass ein Mitglied der Kommission zurücktreten muss, wenn der Präsident es dazu auffordert (Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 EU-Vertrag). Schließlich zeigt sich die herausgehobene Stellung des Präsidenten in seinem Anhörungsrecht bei der Auswahl der anderen Kommissionsmitglieder und seiner Zugehörigkeit zum Europäischen Rat. Seit Dezember 2019 wird die Europäischen Kommission erstmalig von einer Präsidentin, Ursula von der Leyen, geführt.

Unter der Führung eines Vizepräsidenten bestehen sechs Teams von Kommissaren, die ungeachtet des Kollegialprinzips die Arbeiten in den politischen Top-Prioritäten überwachen und voranbringen sollen:

  • Europäischer Grüner Deal, unter der Verantwortung von Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans
  • Ein Europa für das digitale Zeitalter, unter der Verantwortung von Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager
  • Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen, unter der Verantwortung von Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis
  • Ein starkes Europa in der Welt, unter der Verantwortung vom Hohen Repräsentanten für die Außenpolitik Josep Borrell Fontelles
  • Förderung unserer europäischen Lebensweise, unter der Verantwortung von Vizepräsident Margaritis Schinas
  • Neuer Schwung für die Demokratie in Europa, unter der Verantwortung von Vizepräsidentin Věra Jourová

Der Präsident und die Mitglieder der Kommission werden für eine Amtszeit von fünf Jahren ernannt. Dabei kommt das Investiturverfahren zur Anwendung. Dieses Verfahren wurde in Artikel 17 Absatz 7 EU-Vertrag mit dem Vertrag von Lissabon neu geregelt. Es handelt sich um ein mehrstufiges Verfahren. Zunächst erfolgt die Benennung des Präsidenten; anschließend werden die Persönlichkeiten ausgewählt, die zu Mitgliedern der Kommission ernannt werden sollen; in einem dritten Schritt werden der Präsident der Kommission, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik sowie die übrigen Mitglieder der Kommission offiziell ernannt.

Der Präsident der Kommission wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen vorgeschlagen. Bei der Auswahl des Kandidaten für das Amt des Präsidenten ist das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament zu berücksichtigen. In dieser neuen Voraussetzung ist eine stärkere Politisierung der Kommission angelegt. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass den Fraktionen im Europäischen Parlament, die die jeweilige Mehrheit stellen, erhebliches Gewicht bei der Nominierung des Präsidenten zukommt.

Nach der Wahl des Präsidenten nimmt der Europäische Rat die nach den Vorschlägen der einzelnen Mitgliedstaaten erstellte Liste der anderen Persönlichkeiten „im Konsens“ (Artikel 15 Absatz 4 EU-Vertrag) an, die er als Mitglieder der Kommission zu ernennen beabsichtigt. Dabei sollen Persönlichkeiten aufgrund ihrer allgemeinen Befähigung und ihres Einsatzes für Europa ausgewählt werden, die zudem volle Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten. Für die Benennung des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik ist die qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat ausreichend (Artikel 18 Absatz 1 EU-Vertrag). Zwischen dem Europäischen Rat und dem gewählten Präsidenten der Kommission ist Einvernehmen hinsichtlich der Kandidaten herzustellen. Für die Benennung des Hohen Vertreters wird sogar explizit die Zustimmung des designierten Kommissionspräsidenten gefordert. Gegen ein Veto des gewählten Präsidenten der Kommission kann keine Benennung der übrigen Mitglieder der Kommission erfolgen.

Im Anschluss an die Wahl des Präsidenten und der Benennung des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und der übrigen Mitglieder der Kommission stellt sich das Kollegium dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments. Allerdings müssen sich die designierten Mitglieder der Kommission zunächst in einem „Hearing“ Fragen der Parlamentarier stellen, die regelmäßig Sachthemen im Hinblick auf die avisierte Ressortzuständigkeit sowie persönliche Grundeinstellungen zur Zukunft der EU betreffen. Nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, für die eine einfache Mehrheit ausreicht, werden der Präsident und die übrigen Mitglieder der Kommission mit qualifizierter Mehrheit vom Europäischen Rat ernannt. Die Kommission nimmt mit der Ernennung ihrer Mitglieder ihre Tätigkeit auf.

Der Sitz der Europäischen Kommission ist Brüssel.

Aufgaben

Die Kommission ist zunächst der Motor der Politik der EU. Bei ihr beginnt jede Unionsaktion, denn sie ist es, die dem Rat der EU Vorschläge für eine Unionsregelung zu unterbreiten hat (sog. „Initiativrecht“ der Kommission). Dabei stehen die Aktivitäten der Kommission nicht in ihrem Belieben, sondern sie ist verpflichtet, tätig zu werden, wenn das Unionsinteresse es gebietet; auch haben das Parlament (Artikel 225 AEU-Vertrag), der Rat (Artikel 241 AEU-Vertrag) und auch eine Gruppe von Unionsbürgern (Artikel 11 Absatz 4 EU-Vertrag) im Rahmen einer Bürgerinitiative die Möglichkeit, die Kommission aufzufordern, einen Vorschlag auszuarbeiten. Originäre Rechtsetzungsbefugnisse sind der Kommission nur punktuell eingeräumt worden (z. B. im Bereich des EU-Haushalts, der Strukturfonds, der Beseitigung von Steuerdiskriminierungen oder der Beihilfen und Schutzklauseln). Wesentlich umfangreicher sind dagegen die der Kommission vom Europäischen Parlament und vom Rat zur Durchführung der von ihnen getroffenen Maßnahmen übertragenen Rechtsetzungsbefugnisse (vgl. Artikel 290 AEU-Vertrag).

Die Kommission ist ferner Hüterin der Verträge und daher des Unionsrechts. Sie kontrolliert die Anwendung und Durchführung des primären und des sekundären Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten. Verletzungen des Unionsrechts werden von ihr im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens (vgl. Artikel 258 AEU-Vertrag) verfolgt und notfalls vor den Gerichtshof gebracht. Auch Verstöße von natürlichen und juristischen Personen gegen Unionsrecht, insbesondere des Wettbewerbsrechts, werden von der Kommission aufgegriffen und nicht zuletzt durch Verhängung empfindlicher Sanktionen geahndet. Der Kampf gegen den Missbrauch von Unionsregelungen ist in den letzten Jahren zu einem Schwerpunkt der Kommissionstätigkeiten gemacht worden.

Eng mit der Hüterrolle ist die Aufgabe verbunden, als Vertreterin der Unionsinteressen aufzutreten. Die Kommission darf grundsätzlich keine anderen Interessen als die der Union verfolgen. Sie muss sich stets darum bemühen, bei den häufig schwierigen Verhandlungen im Rat das Unionsinteresse zur Geltung zu bringen und Kompromisse zu finden, die diesem Interesse Rechnung tragen. Dabei fällt ihr gleichzeitig die Rolle eines Vermittlers zwischen den Mitgliedstaaten zu, zu der sie kraft ihrer Neutralität in besonderem Maße geeignet und berufen ist.

Schließlich ist die Kommission – wenn auch in begrenztem Umfang – Exekutivorgan. Dies gilt vor allem für den Bereich des Wettbewerbsrechts, wo die Kommission die Tätigkeiten einer ganz normalen Verwaltungsbehörde wahrnimmt. Sie prüft Sachverhalte, erteilt Genehmigungen oder Verbote und trifft gegebenenfalls Sanktionsentscheidungen. Ähnlich weitreichend sind die Verwaltungsbefugnisse der Kommission noch im Bereich der Strukturfonds der Union und der Haushaltsführung. In der Regel jedoch sind es die Mitgliedstaaten selbst, die für die Ausführung der Unionsregelungen im Einzelfall zu sorgen haben. Diese von den Unionsverträgen gewählte Lösung hat den Vorteil, dass den Bürgern die ihnen immer noch „fremde“ Wirklichkeit der europäischen Ordnung unter der Autorität und im vertrauten Gewande der nationalen Ordnung nahegebracht wird.

Verwaltungsstruktur der Europäischen Kommission

  • Kommission (27 Mitglieder)

GENERALDIREKTIONEN UND DIENSTSTELLEN

  • Generalsekretariat
  • Juristischer Dienst
  • Generaldirektion Kommunikation
  • IDEA – Inspire, Debate, Engage and Accelerate Action
  • Generaldirektion Haushalt
  • Generaldirektion Humanressourcen und Sicherheit
  • Generaldirektion Informatik
  • Interner Auditdienst
  • Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung
  • Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen
  • Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU
  • Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum
  • Generaldirektion Wettbewerb
  • Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration
  • Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung
  • Generaldirektion Mobilität und Verkehr
  • Generaldirektion Energie
  • Generaldirektion Umwelt
  • Generaldirektion Klimapolitik
  • Generaldirektion Forschung und Innovation
  • Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien
  • Gemeinsame Forschungsstelle
  • Generaldirektion Maritime Angelegenheiten und Fischerei
  • Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion
  • Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung
  • Generaldirektion Unterstützung von Strukturreformen
  • Generaldirektion Steuern und Zollunion
  • Generaldirektion Bildung, Jugend, Sport und Kultur
  • Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
  • Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen
  • Generaldirektion Migration und Inneres
  • Generaldirektion Justiz und Verbraucher
  • Generaldirektion Handel
  • Generaldirektion Nachbarschaftspolitik und Erweiterungs­verhandlungen
  • Generaldirektion für internationale Partnerschaften
  • Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (ECHO)
  • Eurostat
  • Generaldirektion Dolmetschen
  • Generaldirektion Übersetzung
  • Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union
  • Dienst für außenpolitische Instrumente
  • Amt für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche
  • Amt für Gebäude, Anlagen und Logistik – Brüssel
  • Amt für Gebäude, Anlagen und Logistik – Luxemburg
  • Amt für Personalauswahl der Europäischen Gemeinschaften

SONSTIGE DIENSTSTELLEN

  • Datenschutzbeauftragter
  • Bibliothek der Europäischen Kommission
  • Europäische Verwaltungsakademie
  • Historisches Archiv
  • Taskforce „Aufbau und Resilienz“
  • Sprecherdienst
Gerichtshof der Europäischen Union (Artikel 19 EU-Vertrag)

Jede Ordnung kann nur von dauerhaftem Bestand sein, wenn ihre Regeln von einer unabhängigen Gewalt überwacht werden. Hinzu kommt bei einer Union von Staaten die Gefahr, dass die gemeinsamen Regeln – werden sie der Kontrolle der nationalen Gerichte überantwortet – von Staat zu Staat unterschiedlich ausgelegt und angewendet werden. Die einheitliche Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten wäre auf diese Weise infrage gestellt. Diese Gründe führten bereits 1952 bei der Gründung der ersten Gemeinschaft (EGKS) zur Einsetzung eines Gerichtshofs, der 1957 dann auch zum Rechtsprechungsorgan für die beiden anderen Gemeinschaften (E[W]G und EAG) wurde und heute das Rechtsprechungsorgan der EU ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seinen Sitz in Luxemburg.

Die Aufgaben der Rechtsprechung werden auf zwei Ebenen wahrgenommen durch

Zur Entlastung des Gerichtshofs und zur Verbesserung des Rechtsschutzes in der EU hatte der Rat der EU dem Gericht 2004 das Fachgericht für dienstrechtliche Streitsachen beigeordnet (vgl. Artikel 257 AEU-Vertrag). 2015 beschloss der Unionsgesetzgeber jedoch, die Zahl der Richter am Gericht schrittweise zu erhöhen (auf 54 Richter in 2020) und die Zuständigkeiten des Gerichts für den öffentlichen Dienst auf das Gericht zu übertragen. Im Gegenzug wurde das Gericht für den öffentlichen Dienst zum 1. September 2016 aufgelöst.

Zusammensetzung des Gerichtshofs

27 Richter

und

11 Generalanwälte

einvernehmlich auf sechs Jahre von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt

VERFAHRENSARTEN

Der Gerichtshof besitzt die höchste richterliche Gewalt in allen Fragen des Unionsrechts. Seine generelle Aufgabe wird dahin gehend umschrieben, dass er „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträgesichert.

Diese allgemeine Aufgabenumschreibung umfasst drei grundlegende Bereiche:

  • Kontrolle der Anwendung des Unionsrechts sowohl im Hinblick auf das Verhalten der Organe der EU bei der Durchführung der Vertragsvorschriften als auch im Hinblick auf die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten und die Einzelnen,
  • Auslegung des Unionsrechts und
  • Fortbildung des Unionsrechts.

Diese Aufgaben nimmt der Gerichtshof sowohl im Rahmen einer rechtsberatenden als auch im Rahmen einer rechtsprechenden Funktion wahr. Rechtsberatung betreibt er in Form der Erstellung verbindlicher Gutachten zu Übereinkommen, die die Union mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen abschließen will. Ungleich gewichtiger ist jedoch seine Funktion als rechtsprechendes Organ. Im Rahmen dieser Funktion nimmt der Gerichtshof Aufgaben wahr, die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf verschiedene Gerichtszweige verteilt sind: So entscheidet der Gerichtshof als Verfassungsgericht bei Streitigkeiten zwischen den Unionsorganen und bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Unionsgesetzgebung, als Verwaltungsgericht bei der Überprüfung der von der Europäischen Kommission oder indirekt von den Behörden der Mitgliedstaaten (auf der Grundlage von Unionsrecht) gesetzten Verwaltungsakte, als Arbeits- und Sozialgericht bei Fragen betreffend die Freizügigkeit und soziale Sicherheit der Arbeitnehmer sowie die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Arbeitsleben, als Finanzgericht bei Fragen betreffend die Gültigkeit und Auslegung der Bestimmungen der Richtlinien im Steuer- oder Zollrecht sowie als Zivilgericht bei Schadensersatzklagen, bei der Auslegung der Regelungen über die Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

Gericht

Die Anzahl der Verfahren beim Gerichtshof ist im Laufe der Zeit stetig angewachsen. Sie wird weiter zunehmen, wenn man bedenkt, welches Konfliktpotenzial mit den zahlreichen zur Verwirklichung des Binnenmarktes verabschiedeten und in nationales Recht umgesetzten Richtlinien geschaffen worden ist. Weitere Zweifelsfragen, die letztendlich vom Gerichtshof beantwortet werden müssen, sind bereits heute im Zusammenhang mit dem Vertrag über die Europäische Union vorgezeichnet. Zur Entlastung des Gerichtshofs wurde deshalb bereits 1988 ein weiteres Gericht eingerichtet.

ZUSAMMENSETZUNG DES GERICHT

54 Richter

wobei jeder Mitgliedstaat zwei Richter stellt, einvernehmlich auf sechs Jahre von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt

VERFAHRENSARTEN

  • Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen natürlicher und juristischer Personen wegen rechtswidriger oder unterlassener Unionsrechtsakte; Klagen der Mitgliedstaaten gegen den Rat und/oder die Kommission in den Bereichen Beihilfen, Antidumping und Durchführungsbefugnisse (Artikel 263 und 265 AEU-Vertrag)
  • Schadensersatzklagen wegen vertraglicher und außervertraglicher Haftung (Artikel 268 und 340 Absätze 1 und 2 AEU-Vertrag)

Das Gericht ist kein neues EU-Organ, sondern dem Organ „Gerichtshof der EU“ eingegliedert. Gleichwohl ist es eigenständig und auch organisatorisch vom Gerichtshof getrennt. Es verfügt über eine eigene Kanzlei und eine eigene Verfahrensordnung. Zur Unterscheidung werden die Rechtssachen des Gerichts mit einem „T“ (= Tribunal) gekennzeichnet (z. B. T-1/20), während die Rechtssachen des Gerichtshofs mit einem „C“ (= Cour) versehen sind (z. B. C-1/20).

Ursprünglich nur für einen begrenzten Kreis von Klagen zuständig, besitzt das Gericht nunmehr folgende Zuständigkeiten:

  • Im ersten Rechtszug, d. h. unter der Rechtskontrolle durch den Gerichtshof, ist das Gericht zuständig für Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen natürlicher und juristischer Personen gegen ein Unionsorgan, Klagen der Mitgliedstaaten gegen den Rat und/oder die Kommission in den Bereichen Beihilfen, Antidumping und Durchführungsbefugnisse, Entscheidungen aufgrund einer Schiedsklausel, die in einem von der EU oder für ihre Rechnung abgeschlossenen Vertrag enthalten ist, sowie für Schadensersatzklagen, die gegen die EU gerichtet sind.
  • Außerdem ist vorgesehen, dass dem Gericht in bestimmten Sachgebieten auch die Zuständigkeit für Vorabentscheidungsverfahren übertragen werden kann; bisher ist von dieser Möglichkeit aber noch kein Gebrauch gemacht worden.
Europäische Zentralbank (Artikel 129 und 130 AEU-Vertrag)

Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main. steht im Zentrum der Wirtschafts- und Währungsunion. Sie steuert die Geldmenge der europäischen Währung „Euro“ und ist für die Stabilität dieser Währung verantwortlich (Artikel 128 AEU-Vertrag).

Damit die EZB diese Aufgabe wahrnehmen kann, wird ihre Unabhängigkeit durch zahlreiche Bestimmungen garantiert. Weder die EZB noch die Zentralbank eines Mitgliedstaates dürfen bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse, Aufgaben und Pflichten Weisungen von Unionsorganen, von Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen entgegennehmen. Die Organe der EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten enthalten sich jeden Versuchs der Einflussnahme (Artikel 130 AEU-Vertrag).

Unter dem Dach des Europäischen Zentralbanksystems (EZBS) sind die EZB und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten zusammengeschlossen (Artikel 129 AEU-Vertrag). Das EZBS soll die Geldpolitik der Union festlegen und ausführen; es allein hat das Recht, die Ausgabe von Banknoten und Münzen in der Union zu genehmigen. Das EZBS soll außerdem die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten verwalten und dafür Sorge tragen, dass die Zahlungssysteme in der Union reibungslos funktionieren (Artikel 127 Absatz 2 AEU-Vertrag).

Rechnungshof (Artikel 285 und 286 AEU-Vertrag)

Der Europäische Rechnungshof wurde am 22. Juli 1975 eingerichtet und hat seine Arbeit im Oktober 1977 in Luxemburg aufgenommen. Er ist inzwischen in den Rang eines Organs der Union aufgestiegen (Artikel 13 EU-Vertrag). Er besteht entsprechend der gegenwärtigen Anzahl an Mitgliedstaaten aus 27 Mitgliedern. Die Ernennung erfolgt für jeweils sechs Jahre durch den Rat der EU, der eine gemäß den Vorschlägen der Mitgliedstaaten erstellte Liste von Mitgliedern nach Anhörung des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit annimmt (Artikel 286 Absatz 2 AEU-Vertrag). Die Mitglieder des Rechnungshofes wählen aus ihrer Mitte den Präsidenten des Rechnungshofs für die Dauer von drei Jahren; eine Wiederwahl ist möglich.

Der Rechnungshof hat die Aufgabe, die Rechtmäßigkeit und Ordnungsgemäßheit der Einnahmen und Ausgaben der EU zu prüfen; außerdem überzeugt er sich von der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung. Die eigentliche Waffe des Rechnungshofes ist die Öffentlichkeitswirkung. Die Ergebnisse seiner Kontrolltätigkeit werden nach Abschluss eines jeden Haushaltsjahres in einem Jahresbericht zusammengestellt, der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und auf diese Weise der europäischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Darüber hinaus kann er jederzeit in Sonderberichten zu bestimmten Gegenständen Stellung nehmen, die ebenfalls im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden.

Beratende Einrichtungen

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (Artikel 301 AEU-Vertrag)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sorgt dafür, dass die verschiedenen Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, insbesondere Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Landwirte, Verkehrsunternehmer, Kaufleute, Handwerker, die freien Berufe und die Leiter von kleinen und mittleren Unternehmen institutionell in der EU vertreten sind. Auch den Verbrauchern, den Umweltschützern und dem Verbandswesen wird durch den Ausschuss Geltung verschafft.

Der Ausschuss besteht aus höchstens 350 Mitgliedern (gegenwärtig sind es 326), die aus den repräsentativsten einzelstaatlichen Organisationen stammen. Ihre Ernennung erfolgt für fünf Jahre durch den Rat der EU, der eine gemäß den Vorschlägen der einzelnen Mitgliedstaaten erstellte Liste annimmt.

Die Verteilung unter den Ländern hat folgendes Aussehen:
Deutschland, Frankreich, Italien 24
Spanien, Polen 21
Rumänien 15
Belgien, Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Ungarn, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden 12
Dänemark, Irland, Kroatien, Litauen, Slowakei, Finnland 9
Lettland, Slowenien 7
Estland 6
Zypern, Luxemburg, Malta 5

Die Berater sind in drei Gruppen unterteilt (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Vertreter der Zivilgesellschaft). Die Ausarbeitung der im Plenum zu verabschiedenden Stellungnahmen obliegt den „Fachgruppen“. Überdies arbeitet der Ausschuss eng mit den parlamentarischen Ausschüssen und Fachgruppen des Europäischen Parlaments zusammen.

Der Ausschuss muss in bestimmten Fällen im Gesetzgebungsverfahren angehört werden. Außerdem gibt er aus eigener Initiative Stellungnahmen ab. Die Stellungnahmen des Ausschusses verkörpern eine Synthese von mitunter recht stark voneinander abweichenden Ausgangspositionen. Sie sind für die Europäische Kommission und den Rat der EU deshalb äußerst nützlich, weil Letztere auf diese Weise erfahren, welche Anpassungen die von einem Vorschlag unmittelbar betroffenen Kreise wünschen.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat seinen Sitz in Brüssel.

Europäischer Ausschuss der Regionen (Artikel 305 AEU-Vertrag)

Als weiteres Konsultationsorgan ist durch den Vertrag über die Gründung der EU (Vertrag von Maastricht) neben dem bereits bestehenden Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss der „Europäische Ausschuss der Regionen“ geschaffen worden. Dieser Ausschuss ist ebenso wenig wie der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ein Organ der EU im eigentlichen Sinne, da er nur beratende Aufgaben wahrnimmt. Ihm obliegt es nicht – wie den Organen der EU (Parlament, Europäischer Rat, Rat, Kommission, Gerichtshof, EZB, Rechnungshof) –, die der Union zugewiesenen Aufgaben in rechtlich verbindlicher Weise durchzuführen.

Der Europäische Ausschuss der Regionen besteht, wie der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, aus höchstens 350 Mitgliedern (gegenwärtig sind es 329). Dabei handelt es sich um Vertreter der regionalen und lokalen Autoritäten der Mitgliedstaaten, die ein aus Wahlen hervorgegangenes Mandat ihrer Gebietskörperschaft innehaben oder gegenüber einer gewählten Versammlung politisch verantwortlich sein müssen.

Die Verteilung unter den Ländern hat folgendes Aussehen:
Deutschland, Frankreich, Italien 24
Spanien, Polen 21
Rumänien 15
Belgien, Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Ungarn, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden 12
Dänemark, Irland, Kroatien, Litauen, Slowakei, Finnland 9
Estland, Lettland, Slowenien 7
Zypern, Luxemburg 6
Malta 5

Seine Anhörung durch Rat oder die Kommission ist in einigen Fällen verbindlich vorgeschrieben („obligatorische Anhörung“), und zwar insbesondere in den Bereichen Bildung, Kultur, Gesundheitswesen, Ausbau der transeuropäischen Netze, Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, Beschäftigungspolitik und Sozialgesetzgebung. Darüber hinaus wird der Ausschuss der Regionen vom Rat regelmäßig auch ohne rechtliche Verpflichtung zu den verschiedensten Gesetzgebungsvorhaben konsultiert („fakultative Anhörung“).

Auch der Europäische Ausschuss der Regionen hat seinen Sitz in Brüssel.

Europäische Investitionsbank (Artikel 308 AEU-Vertrag)

Als Finanzierungsinstitut für eine „ausgewogene und reibungslose Entwicklung“ der EU steht der Union die Europäische Investitionsbank mit Sitz in Luxemburg zur Verfügung. Sie soll in allen Wirtschaftszweigen Darlehen und Bürgschaften gewähren, insbesondere zur Erschließung unterentwickelter Gebiete, zur Modernisierung oder Umstellung von Unternehmen oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie für Vorhaben, die im gemeinsamen Interesse mehrerer Mitgliedstaaten liegen.

Die Rechtsordnung der Europäischen Union

Die soeben beschriebene „Verfassung“ der EU, insbesondere ihre Grundwerte, bleiben zunächst noch sehr abstrakt und bedürfen der weiteren Konkretisierung durch Unionsrecht. Deshalb ist die EU auch in zweifacher Hinsicht ein Phänomen des Rechts: Sie ist eine Schöpfung des Rechts und sie ist eine Union durch das Recht.

Die Europäische Union als eine Schöpfung des Rechts und eine Union durch das Recht

Das entscheidend Neue, was die EU gegenüber früheren Versuchen auszeichnet, Europa zu einigen, ist, dass nicht Gewalt oder Unterwerfung als Mittel eingesetzt werden, sondern die Kraft des Rechts. Denn nur eine auf freier Entscheidung beruhende Einheit hat Aussicht auf Bestand – eine Einheit, die sich auf die fundamentalen Wertvorstellungen wie Freiheit und Gleichheit gründet und durch das Recht bewahrt und verwirklicht wird. Auf dieser Einsicht beruhen die Gründungsverträge als Schöpfungsakte der Europäischen Union.

Die EU ist aber nicht nur eine Schöpfung des Rechts, sondern verfolgt ihre Ziele auch allein mit den Mitteln des Rechts. Sie ist eine Union durch das Recht. Nicht die Stärke der Macht regelt das wirtschaftliche und soziale Zusammenleben der Völker der Mitgliedstaaten, sondern das Recht der Union. Das Unionsrecht ist die Basis des institutionellen Systems. Es legt die Verfahren für die Beschlussfassung der Unionsorgane fest und regelt deren Verhältnis untereinander. Es stellt den Organen in den Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, in denen Rechtsakte mit verbindlicher Wirkung für die Mitgliedstaaten und für ihre Bürger erlassen werden können. Damit wird auch der Einzelne zum Träger der Union. Ihre Rechtsordnung beeinflusst sein tägliches Leben in immer stärker werdendem Maße unmittelbar. Sie verleiht ihm Rechte und erlegt ihm Pflichten auf, sodass er als Staatsbürger und als Unionsbürger Rechtsordnungen verschiedener Abstufung unterworfen ist, so wie das aus den bundesstaatlichen Verfassungen bekannt ist. Wie jede Rechtsordnung stellt auch die Rechtsordnung der EU ein geschlossenes Rechtsschutzsystem für die Auseinandersetzungen über das Unionsrecht und für seine Durchsetzung zur Verfügung. Das Unionsrecht bestimmt auch das Verhältnis zwischen der EU und den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten müssen alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die Pflichten zu erfüllen, die sich aus den Verträgen oder aus Handlungen der Unionsorgane ergeben. Ihnen obliegt es, das Wirken der EU zu erleichtern und alles zu unterlassen, was die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden könnte. Die Mitgliedstaaten haften gegenüber den Unionsbürgern für alle Schäden, die durch Verletzungen des Unionsrechts verursacht worden sind.

Die Rechtsquellen des Unionsrechts

Der Begriff „Rechtsquelle“ hat eine zweifache Bedeutung: In seiner ursprünglichen Wortbedeutung umschreibt er den Entstehungsgrund des Rechts, d. h. die Motivation zur Schaffung des Rechts. In diesem Sinne wäre Rechtsquelle des Unionsrechts der Wille, den Frieden zu bewahren und ein besseres Europa im Wege wirtschaftlicher Verflechtung zu schaffen – beides Momente, denen die EU ihre Existenz zu verdanken hat. Im juristischen Sprachgebrauch wird unter dem Begriff „Rechtsquelle“ dagegen die Herkunft und Verankerung des Rechts verstanden.

Die Gründungsverträge der Europäischen Union als primäres Unionsrecht

Als erste Rechtsquelle sind die Gründungsverträge der EU, einschließlich der ihnen beigefügten Anhänge, Anlagen und Protokolle sowie deren spätere Ergänzungen und Änderungen zu nennen. Diese Gründungsverträge sowie die dazu ergangenen Ergänzungen und Änderungen in Gestalt vor allem der Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon sowie der verschiedenen Beitrittsverträge enthalten die grundlegenden Rechtssätze über die Zielsetzungen, über die Organisation und über die Funktionsweise der EU sowie Teile des Wirtschaftsrechts. Das gilt auch für die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon den Verträgen rechtlich gleichrangig ist (Artikel 6 Absatz 1 EU-Vertrag). Sie geben damit die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der EU vor, die von den dazu eigens mit legislativen und administrativen Befugnissen ausgestatteten Unionsorganen im Unionsinteresse auszufüllen sind. Als unmittelbar von den Mitgliedstaaten selbst geschaffenes Recht werden diese Rechtssätze im juristischen Sprachgebrauch als primäres Unionsrecht bezeichnet.

Diese Grafik zeigt die Rechtsquellen des EU-Rechts, wie Primär- und Sekundärrecht, Völkerrechtsabkommen der EU, allgemeine Rechtsgrundsätze und Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten.

Das EU-Recht hat folgende Rechtsquellen: 1. Primärrecht wie EU-Verträge, Charta der Grundrechte und allgemeine (Verfassungs-) Rechtsgrundsätze 2. Völkerrechtsabkommen der EU 3. Sekundärrecht wie Rechtsakte mit Gesetzescharakter (Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse), Rechtsakte ohne Gesetzescharakter (einfache Rechtsakte, delegierte Rechtsakte, Durchführungsrechtsakte), unverbindliche Rechtsakte (Empfehlungen und Stellungnahmen) und Handlungen, die keine Rechtsakte sind (interinstitutionelle Vereinbarungen, Entschließungen, Erklärungen und Aktionsprogramme) 4. Allgemeine Rechtsgrundsätze 5. Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten, wie völkerrechtliche Übereinkommen und Beschlüsse der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten.

Die Rechtsakte der Europäischen Union als sekundäres Unionsrecht

Das in Ausübung der den Unionsorganen übertragenen Befugnisse geschaffene Recht nennt man sekundäres Unionsrecht, die zweite wichtige Rechtsquelle der EU.

Es besteht aus Rechtsakten mit Gesetzescharakter („Gesetzgebungsakte“), Rechtsakten ohne Gesetzescharakter (einfache Rechtsakte, delegierte Rechtsakte, Durchführungsrechtsakte), unverbindlichen Rechtsakten (Stellungnahmen, Empfehlungen) sowie sonstigen Handlungen, die keine Rechtsakte sind (z. B. Interinstitutionelle Vereinbarungen, Entschließungen, Mitteilungen, Aktionsprogrammen). Als „Gesetzgebungsakte“ gelten dabei solche Rechtsakte, die im ordentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sind (Artikel 289 AEU-Vertrag). Die „delegierten Rechtsakte“ (Artikel 290 AEU-Vertrag) sind Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, aber mit allgemeiner und verbindlicher Geltung, mit denen Änderungen oder Ergänzungen bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften eines Gesetzgebungsakts vorgenommen werden können. Dies geschieht durch die Kommission, die hierzu in einem Gesetzgebungsakt ausdrücklich ermächtigt werden muss. Für den Fall, dass für die Durchführung verbindlicher Rechtsakte der EU einheitliche Bedingungen festgelegt werden müssen, geschieht dies durch entsprechende Durchführungsrechtsakte, die in der Regel von der Kommission, ausnahmsweise auch durch den Rat der EU erlassen werden (Artikel 291 AEU-Vertrag). In Form von unverbindlichen Rechtsakten können die Unionsorgane Empfehlungen und Stellungnahmen abgeben. Schließlich gibt es eine ganze Reihe von „Handlungen, die keine Rechtsakte sind“, die es den Unionsorganen ermöglichen, unverbindliche Äußerungen und Verlautbarungen abzugeben, oder die das Innenleben der EU oder ihrer Organe regeln, wie dies etwa der Fall ist bei den einvernehmlichen Regelungen oder interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen den Organen oder bei den Geschäftsordnungen der Organe.

Die Rechtsakte mit und ohne Gesetzgebungscharakter können ganz unterschiedliche Formen annehmen. Die wichtigsten Handlungsformen sind in einem Katalog aufgezählt und definiert (Artikel 288 AEU-Vertrag). Er enthält als verbindliche Rechtshandlungsformen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse. Als unverbindliche Rechtshandlungsformen enthält dieser Katalog Empfehlungen und Stellungnahmen. Dieser Katalog ist aber keineswegs abschließend. Vielmehr gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Handlungsformen, die nicht in den Katalog eingeordnet werden können. Dazu gehören etwa Entschließungen, Erklärungen, Aktionsprogramme oder Weiß- und Grünbücher. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Handlungsformen hinsichtlich des Verfahrens ihres Erlasses, ihrer Rechtswirkungen und des Kreises ihrer Adressaten sind erheblich; auf diese Unterschiede wird deshalb später in einem gesonderten, dem „Handlungsinstrumentarium der Europäischen Union“ gewidmeten Kapitel eingegangen.

VERBINDLICHE RECHTSAKTE

  • Verordnungen
  • Richtlinien
  • Beschlüsse

GESETZGEBUNGSAKTE

= Rechtsakte, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden

EINFACHE RECHTSAKTE

= Rechtsakte, die nicht im Gesetzgebungsverfahren erlassen werden

DELEGIERTE RECHTSAKTE

Art. 290 AEUV

DURCHFüHRUNGSRECHTSAKTE

Art. 291 AEUV

UNVERBINDLICHE RECHTSAKTE

  • Empfehlungen
  • Stellungnahmen

SONSTIGE HANDLUNGSFORMEN, DIE KEINE RECHTSAKTE SIND

  • Entschließungen
  • Erklärungen
  • Mitteilungen der Kommission
  • Aktionsprogramme
  • Weißbücher
  • Grünbücher

Die Schaffung des sekundären Unionsrechts erfolgt allmählich und fortschreitend. Durch seinen Erlass wird das primäre Unionsrecht, das durch die Unionsverträge gebildet wird, mit Leben erfüllt und die europäische Rechtsordnung im Laufe der Zeit verwirklicht und vervollständigt.

Völkerrechtliche Abkommen der Europäischen Union

Diese dritte Rechtsquelle hängt mit der Rolle der EU auf internationaler Ebene zusammen. Als einer der Anziehungspunkte in der Welt kann Europa sich nicht darauf beschränken, nur seine eigenen inneren Angelegenheiten in die Hand zu nehmen, sondern muss sich vor allem auch um seine wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen zu anderen Ländern in der Welt bemühen. Zu diesem Zweck schließt die EU mit den „Nichtmitgliedstaaten“ der EU (sog. Drittländern) und anderen internationalen Organisationen völkerrechtliche Abkommen, von denen folgende Abkommen besondere Erwähnung verdienen:

Assoziierungsabkommen

Die Assoziierung geht über die Regelung rein handelspolitischer Fragen weit hinaus und ist auf eine enge wirtschaftliche Kooperation mit weitreichender finanzieller Unterstützung des Vertragspartners durch die EU ausgerichtet (Artikel 217 AEU-Vertrag). Zu unterscheiden sind drei Formen von Assoziierungsabkommen:

Abkommen zur Aufrechterhaltung der besonderen Bindungen einiger Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu Drittländern

Anlass für die Schaffung des Instruments der Assoziierung waren insbesondere die außereuropäischen Länder und Gebiete, die mit Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich als deren ehemalige Kolonien besonders enge Wirtschaftsbeziehungen unterhielten. Da die Einführung eines gemeinsamen Außenzolls in der EU den Handelsaustausch mit diesen Gebieten erheblich gestört hätte, waren Sonderregelungen notwendig. Ziel der Assoziierung dieser Länder und Hoheitsgebiete ist deshalb die Förderung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und die Herstellung enger Wirtschaftsbeziehungen zwischen ihnen und der gesamten Union (Artikel 198 AEU-Vertrag). So bestehen eine ganze Reihe von Präferenzregelungen, die die Einfuhren von Waren aus diesen Ländern und Hoheitsgebieten zu einem ermäßigten oder gar keinen Zollsatz ermöglichen. Die finanzielle und technische Hilfe der EU wird über den Europäischen Entwicklungsfonds abgewickelt. Das in der Praxis mit Abstand wichtigste Übereinkommen ist das EU-AKP-Partnerschaftsabkommen, das die EU mit 70 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks verbindet. Dieses Abkommen wird zurzeit in regional gegliederte Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen überführt, das den AKP-Staaten schrittweise freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt gewährt.

Abkommen zur Vorbereitung eines möglichen Beitritts zur Europäischen Union und zur Bildung einer Zollunion

Daneben wird die Assoziierung auch zur Vorbereitung eines möglichen Beitritts eines Landes zur EU eingesetzt. Sie ist gleichsam eine Vorstufe des Beitritts, auf der eine Annäherung der wirtschaftlichen Bedingungen eines Beitrittskandidaten an die EU angestrebt wird. Diese Strategie wird gegenwärtig für die Länder des westlichen Balkans (Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Serbien) verfolgt. Hier wird der Beitrittsprozess flankiert durch den erweiterten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP), der den übergreifenden Rahmen für die Heranführung der westlichen Balkanländer an die EU bis hin zu einem künftigen Beitritt bildet. Der SAP verfolgt drei Ziele: 1. Stabilisierung und schnellen Wechsel zu einer funktionierenden Marktwirtschaft, 2. Förderung von regionaler Kooperation und 3. Aussicht auf eine Mitgliedschaft in der EU. Der SAP basiert auf einer fortschreitenden Partnerschaft, bei der die EU Handelszugeständnisse, wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung sowie eine vertragliche Bindung in Gestalt von Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen anbietet. Jedes Land muss konkrete Fortschritte im Rahmen des SAP machen, um den Anforderungen einer eventuellen Mitgliedschaft zu genügen. In jährlichen Berichten wird der Fortschritt der westlichen Balkanländer in Richtung einer möglichen EU-Mitgliedschaft bewertet.

Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)

Das Abkommen über den EWR erschließt den übrig gebliebenen EFTA-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen) den EU-Binnenmarkt und stellt durch die Übernahmeverpflichtung von beinahe zwei Dritteln des Unionsrechts eine sichere Grundlage für einen möglichen späteren Beitritt dieser Länder zur EU dar. Innerhalb des EWR soll auf der Grundlage des Bestandes an primärem und sekundärem Unionsrecht („unionsrechtlicher Besitzstand“) der freie Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr verwirklicht, eine einheitliche Wettbewerbs- und Beihilfenordnung statuiert sowie die Zusammenarbeit im Bereich der horizontalen und flankierenden Politiken (z. B. Umweltschutz, Forschung und Entwicklung, Bildung) vertieft werden.

Zwei Menschen in Winterkleidung gehen eine verschneite Straße mit bunten Häusern entlang, im Hintergrund das Meer und schneebedeckte Berge.

Norwegen (hier ein Blick auf Spitzbergen) gehört zum Europäischen Wirtschaftsraum, der außerdem Island und Liechtenstein sowie die 27 Mitgliedstaaten der EU umfasst. Im Europäischen Wirtschaftsraum gelten die vier Freiheiten des Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs.

Kooperationsabkommen

Nicht so weit wie die Assoziierungsabkommen gehen die Kooperationsabkommen, die allein auf eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit gerichtet sind. Solche Abkommen verbinden die EU u. a. mit den Maghreb-Staaten (Algerien, Marokko und Tunesien), den Maschrik-Staaten (Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien) und mit Israel.

Handelsabkommen

Schließlich gibt es eine Vielzahl von Handelsabkommen, die mit einzelnen Drittstaaten, Gruppen von Drittstaaten oder im Rahmen internationaler Handelsorganisationen auf zoll- und handelspolitischem Gebiet abgeschlossen werden. Die wichtigsten internationalen Handelsabkommen sind das Übereinkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation – WTO) und die in seinem Rahmen abgeschlossenen multilateralen Handelsabkommen, von denen als die wichtigsten zu nennen sind: das „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT 1994), der „Antidumping- und Subventionskodex“, das „Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ (GATS), das Übereinkommen über handelspolitische Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) sowie die „Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten“. Daneben haben in immer stärkerem Maße bilaterale Freihandelsabkommen gegenüber den multilateralen Abkommen an Boden gewonnen. Aufgrund der enormen Schwierigkeiten, etwa im Rahmen der WTO, multilaterale Liberalisierungsabkommen zu schließen, haben sich alle großen Handelsnationen, darunter auch die EU, dem Abschluss bilateraler Freihandelsabkommen zugewendet. Jüngste Beispiele sind der erfolgreiche Abschluss der Handelsverhandlungen mit Kanada, Chile, Japan, Mexiko, Singapur, Südkorea, Vietnam, den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) und Neuseeland sowie der Abschluss eines Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und der Organisation afrikanischer, karibischer und pazifischer Staaten (OAKPS, früher AKP-Staaten). Verhandlungen laufen gegenwärtig vor allem mit mit Australien, Indien und Indonesien.

Ungeschriebene Rechtsquellen

Den bisher aufgeführten Rechtsquellen der Union ist gemeinsam, dass es sich dabei um geschriebenes Unionsrecht handelt. Wie jede andere Rechtsordnung auch kann die Rechtsordnung der EU aber nicht ausschließlich aus geschriebenen Normen bestehen, weil jede Rechtsordnung Lücken aufweist, die durch ungeschriebenes Recht auszufüllen sind.

Allgemeine Rechtsgrundsätze

Ungeschriebene Quellen des Unionsrechts sind zunächst die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Dabei handelt es sich um Normen, die die elementaren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit zum Ausdruck bringen, denen jede Rechtsordnung verpflichtet ist. Das geschriebene Unionsrecht, das im Wesentlichen nur wirtschaftliche und soziale Sachverhalte regelt, kann diese Verpflichtung nur zum Teil erfüllen, sodass die allgemeinen Rechtsgrundsätze eine der wichtigsten Rechtsquellen der Union darstellen. Durch sie können die vorhandenen Lücken geschlossen oder das bestehende Recht durch Auslegung im Sinne des Gerechtigkeitsprinzips fortentwickelt werden.

Die Verwirklichung der Rechtsgrundsätze erfolgt durch die Rechtsanwendung, insbesondere durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der ihm übertragenen Aufgabe, „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags zu sichern“. Bezugspunkte für die Ermittlung der allgemeinen Rechtsgrundsätze sind vornehmlich die gemeinsamen Rechtsgrundsätze der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Sie liefern das Anschauungsmaterial, aus dem die für die Lösung eines Problems notwendige Rechtsregel auf EU-Ebene entwickelt wird.

Zu diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören etwa neben den Verfassungsgrundsätzen der Eigenständigkeit, der unmittelbaren Anwendbarkeit und des Vorrangs des Unionsrechts auch die Gewährleistung der Grundrechte (jedenfalls für Polen, das aufgrund eines „Opting out“ nicht der Charta der Grundrechte unterliegt), der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (der inzwischen aber eine positiv-rechtliche Regelung in Artikel 5 Absatz 4 EU-Vertrag erfahren hat), der Vertrauensschutzgrundsatz, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs oder der Grundsatz der Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts.

Gewohnheitsrecht

Zum ungeschriebenen Unionsrecht zählt daneben auch das Gewohnheitsrecht. Darunter versteht man durch Übung und Rechtsüberzeugung entstandenes Recht, das primäres oder sekundäres Recht ergänzt oder ändert. Die Möglichkeit der Existenz solchen Unionsgewohnheitsrechts wird grundsätzlich anerkannt. Die tatsächliche Herausbildung von Gewohnheitsrecht unterliegt auf der Ebene des Unionsrechts allerdings wesentlichen Grenzen. Eine erste Grenze ergibt sich aus der Existenz eines speziellen Verfahrens zur Vertragsänderung (Artikel 48 EU-Vertrag). Dadurch wird zwar die Herausbildung von Gewohnheitsrecht nicht schlechthin ausgeschlossen, jedoch verschärft diese Tatsache die Anforderungen, die an den Nachweis einer lang andauernden Übung und einer entsprechenden Rechtsüberzeugung zu stellen sind. Eine weitere Grenze ergibt sich für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht durch die Unionsorgane aus dem Umstand, dass jedes Organhandeln seinen Geltungsgrund ausschließlich in den Unionsverträgen findet, nicht jedoch aufgrund ihres tatsächlichen Verhaltens und eines entsprechenden Rechtsbindungswillens. Daraus folgt, dass Gewohnheitsrecht im Range von Vertragsrecht in keinem Fall von den Unionsorganen, sondern allenfalls von den Mitgliedstaaten unter den soeben beschriebenen verschärften Bedingungen ausgehen kann. Verfahren und Rechtsüberzeugungen der Unionsorgane können allerdings im Rahmen der Auslegung der von diesen Organen geschaffenen Rechtssätze herangezogen werden, wodurch unter Umständen die rechtliche und tatsächliche Tragweite des betreffenden Rechtsaktes geändert wird. Allerdings sind auch hierbei die durch das primäre Unionsrecht vorgegebenen Voraussetzungen und Grenzen zu beachten.

Absprachen und Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EU

Als letzte Rechtsquelle der EU sind die Absprachen zwischen den Mitgliedstaaten zu nennen. Diese werden zum einen getroffen, wenn es um die Regelung von Fragen geht, die zwar in einem engen Zusammenhang zur Tätigkeit der EU stehen, für die den Unionsorganen aber keine Kompetenz übertragen worden ist (Beispiel: der Vertrag von 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, „Fiskalpakt“, der ohne Tschechien geschlossen wurde). Zum anderen existieren echte völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten, mit denen insbesondere die territoriale Beschränktheit nationaler Regelungen überwunden und einheitliches Recht auf Ebene der Union geschaffen werden soll. Dies ist vor allem von Bedeutung im Bereich des internationalen Privatrechts (Beispiel: Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (1980)).

Das Handlungsinstrumentarium der Europäischen Union

Die Verwirklichung der Ziele, die von der EU verfolgt werden, verlangt aufseiten der EU Handlungen ihrer Organe, die es ermöglichen, die unterschiedlichen und ungleichen wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt ökologischen Bedingungen in den Mitgliedsländern auszugleichen. Das EU-Recht muss daher ein Instrumentarium von Rechtshandlungen bereitstellen, wie es auch von den Organen der Staaten zur Erfüllung nationaler Aufgaben benötigt wird und zur Verfügung steht.

Die an sich naheliegende Verwendung des überlieferten Handlungsinstrumentariums der Mitgliedstaaten kam jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil die Staaten national unterschiedliche Handlungsformen verwenden und die Übernahme eines Modells eines einzelnen Mitgliedstaates den Bedürfnissen und Interessen der EU kaum entsprechen konnte. Schon bei der Gründung der EWG sah man sich deshalb der schwierigen Aufgabe gegenüber, ein auf die Strukturen und Aufgaben der Gemeinschaft ausgerichtetes Handlungsinstrumentarium zu „entwickeln“. Dabei stellte sich vor allem die Frage, welcher Art diese Rechtshandlungen sein und welche Wirkung sie haben sollten. Hierbei war zu bedenken, dass die Organe einerseits imstande sein sollten, in wirksamer Weise, d. h., ohne auf den guten Willen der Mitgliedstaaten angewiesen zu sein, die unterschiedlichen und ungleichen wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt ökologischen Bedingungen in den Mitgliedstaaten auszugleichen, damit allen Bürgern der Union die bestmöglichen Lebensbedingungen geschaffen werden konnten. Andererseits sollte aber in die nationalen Rechtsordnungen nicht mehr eingegriffen werden als nötig. Das gesamte Rechtshandlungs- und Rechtsetzungssystem der EU ist daher von dem Grundsatz geprägt, dass dort, wo eine auch in den Einzelheiten für alle Mitgliedstaaten gemeinsame Regelung erforderlich ist, die Ersetzung nationaler Regelungen durch Unionsakte erfolgen muss, dass aber dort, wo diese Notwendigkeit nicht besteht, auf die bestehenden Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gebührend Rücksicht genommen werden sollte.

Vor diesem Hintergrund wurde ein Handlungsinstrumentarium entwickelt, das den Unionsorganen die Einwirkung auf die nationalen Rechtsordnungen in unterschiedlichem Ausmaß ermöglicht. Die schärfste Form ist dabei die Verdrängung nationaler Regelungen durch Unionsnormen. Es folgen die Unionsnormen, mit denen die Unionsorgane nur indirekt auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einwirken. Weiterhin besteht die Möglichkeit, zur Regelung eines konkreten Einzelfalls Maßnahmen gegenüber einem namentlich bezeichneten oder bestimmbaren Adressaten zu treffen. Schließlich sind auch solche Rechtshandlungen vorgesehen, die keine verbindlichen Anordnungen gegenüber den Mitgliedstaaten oder den Unionsbürgern enthalten.

Betrachtet man die Rechtshandlungen unter dem Gesichtspunkt, an wen sie sich richten und welche Wirkungen sie in den Mitgliedstaaten entfalten, lässt sich das System der Rechtshandlungen der EU ausgehend von Artikel 288 AEU-Vertrag wie folgt darstellen:

In dieser Grafik werden die Rechtshandlungen der EU auf der Grundlage von Artikel 288 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, wie Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen, dargestellt.

Das System der Rechtshandlungen der EU auf der Grundlage von Artikel 288 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union lässt sich wie folgt aufschlüsseln: Rechtsvorschriften: Sie gelten für alle Mitgliedstaaten sowie für alle natürlichen und juristischen Personen und sind unmittelbar anwendbar und in allen Teilen verbindlich. Richtlinien: Sie gelten für alle oder bestimmte Mitgliedstaaten und sind hinsichtlich des vorgegebenen Ergebnisses verbindlich und nur unter besonderen Voraussetzungen unmittelbar anwendbar. Beschlüsse (Typ 1): Sie richten sich an alle oder bestimmte Mitgliedstaaten oder an bestimmte natürliche oder juristische Personen und sind unmittelbar anwendbar und in allen Teilen verbindlich. Beschlüsse (Typ 2): Sie sind nicht an spezielle Adressaten gerichtet und in allen Teilen verbindlich. Empfehlungen: Sie richten sich an alle oder bestimmte Mitgliedstaaten, andere EU-Organe oder Einzelpersonen und sind nicht verbindlich. Stellungnahmen: Sie richten sich an alle oder bestimmte Mitgliedstaaten, andere EU-Organe oder einen unbestimmten Adressatenkreis und sind nicht verbindlich.

Die Verordnungen als „Unionsgesetze“

Die Rechtsakte, mit denen die Unionsorgane am tiefsten in die nationalen Rechtsordnungen eingreifen können, sind die Verordnungen. Zwei im internationalen Recht durchaus ungewöhnliche Eigenschaften zeichnen sie aus:

  • ihr Unionscharakter, das heißt ihre Eigenart, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen in der ganzen Union gleiches Recht zu setzen und in allen Mitgliedstaaten einheitlich und vollständig zu gelten. So ist es den Mitgliedstaaten etwa verwehrt, die Bestimmungen einer Verordnung unvollständig anzuwenden oder unter ihnen eine Auswahl zu treffen, um auf diese Weise Regelungen, denen sich ein Mitgliedstaat im Beschlussverfahren bereits widersetzt hat oder die gewissen nationalen Interessen zuwiderlaufen, auszuschalten. Auch ist es dem Mitgliedstaat nicht möglich, sich der Verbindlichkeit der Verordnungsbestimmungen unter Hinweis auf Regelungen und Übungen des innerstaatlichen Rechts zu entziehen;
  • ihre unmittelbare Anwendbarkeit, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass Verordnungen ohne einen besonderen staatlichen Anwendungsbefehl gleiches Recht setzen und den Unionsbürgern unmittelbare Rechte verleihen oder Pflichten auferlegen. Die Mitgliedstaaten, einschließlich ihrer Organe, Gerichte und Behörden, sowie alle Personen, die vom persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfasst werden, sind unmittelbar an das Unionsrecht gebunden und haben es ebenso zu beachten wie nationales Recht.

Die Ähnlichkeiten dieser Rechtsakte mit den Gesetzen des nationalen Rechts sind unübersehbar. Soweit sie gemeinsam vom Europäischen Parlament und dem Rat erlassen werden (im sog. ordentlichen Gesetzgebungsverfahren – dazu mehr im Kapitel „Das Rechtsetzungsverfahren in der EU“), führen sie deshalb die Bezeichnung „Gesetzgebungsakte“. Verordnungen, die nur vom Rat der EU oder von der Europäischen Kommission erlassen werden, fehlt diese parlamentarische Mitverantwortung, sodass sie – zumindest formell gesehen – nicht alle Wesensmerkmale eines Gesetzes aufweisen.

Die Richtlinien

Die Richtlinie ist neben der Verordnung das wichtigste Handlungsinstrument der EU. Sie versucht, die Verbindung herzustellen zwischen dem Streben nach der notwendigen Einheitlichkeit des Unionsrechts einerseits und der Wahrung der Vielfalt nationaler Eigenarten andererseits. Vorrangiges Ziel der Richtlinie ist deshalb nicht – wie bei der Verordnung – die Rechtsvereinheitlichung, sondern die Rechtsangleichung. Mithilfe der Rechtsangleichung sollen Widersprüche zwischen den nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt oder Unterschiede schrittweise abgebaut werden, damit in den Mitgliedstaaten materiell möglichst gleiche Bedingungen gelten. Die Richtlinie erweist sich damit als eines der grundlegenden Instrumente bei der Verwirklichung des Binnenmarktes.

Die Richtlinie ist für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt ihnen aber die Wahl der Form und der Mittel, um die unionsweit festgelegten Ziele im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsordnung zu verwirklichen. Diese Einbindung der Mitgliedstaaten spiegelt die Absicht wider, den Eingriffen in das innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsgefüge eine mildere Form zu geben. So wird den Mitgliedstaaten ermöglicht, bei der Verwirklichung der unionsrechtlichen Zielvorgaben nationalen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Dies geschieht in der Weise, dass die Regelungen einer Richtlinie nicht automatisch an die Stelle der nationalen Rechtsvorschriften treten; die Mitgliedstaaten werden stattdessen verpflichtet, ihr nationales Recht an die Unionbestimmungen anzupassen. Dies bedingt in aller Regel ein zweistufiges Verfahren der Rechtsetzung:

Auf der ersten Stufe wird das durch die Richtlinie angestrebte Ergebnis auf EU-Ebene für die jeweiligen Adressaten, d. h. mehrere oder alle Mitgliedstaaten, verbindlich festgelegt, das von diesen innerhalb einer festgesetzten Frist verwirklicht werden muss. Die Unionsorgane können dieses Ergebnis durch derart detaillierte Regelungen vorbestimmen, dass den Mitgliedstaaten kein Spielraum für eine eigene sachliche Gestaltung verbleibt. Von dieser Möglichkeit wird vor allem im Bereich der technischen Normen sowie im Umweltschutz Gebrauch gemacht.

Zwei Kunden in einem Haushaltsgerätemarkt, die das alte und das neue EU-Energielabel vergleichen. Das neue Label enthält einen QR-Code, aktualisierte Piktogramme und eine überarbeitete Energieeffizienzskala von A bis G, während das alte Label von A+++ bis D reicht.

Die Richtlinie 2012/27/EU vom 25. Oktober 2012 (Energieeffizienz-Richtlinie) umfasst ein Bündel verbindlicher Maßnahmen, die dazu beitragen, dass die EU ihr Ziel einer um 20 % verbesserten Energieeffizienz bis 2020 erreicht. Die EU-Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die Richtlinie bis zum 5. Juni 2014 in nationales Recht umzusetzen.

Auf der zweiten, nationalen Stufe erfolgt die inhaltliche Verwirklichung des auf EU-Ebene vorgeschriebenen Ergebnisses im Recht der Mitgliedstaaten. Auch wenn die Mitgliedstaaten bei der Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung grundsätzlich frei sind, erfolgt die Beurteilung, ob die jeweiligen Regelungen auch EU-rechtskonform umgesetzt worden sind, nach EU-Kriterien. Als Grundsatz gilt, dass durch die Umsetzung ein Rechtszustand geschaffen werden muss, der die Rechte und Pflichten aus den Vorschriften einer Richtlinie hinreichend klar und bestimmt erkennen lässt und so dem Unionsbürger die Möglichkeit gibt, sie vor den nationalen Gerichten geltend zu machen oder sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Dazu bedarf es in aller Regel des Erlasses verbindlicher nationaler Rechtsakte oder aber der Aufhebung oder Abänderung bestehender Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Eine bloße Verwaltungsübung genügt nicht, da diese von der Verwaltung naturgemäß beliebig geändert werden kann und sie auch nur unzureichende Publizität genießt.

Die Richtlinie begründet regelmäßig keine unmittelbaren Rechte und Pflichten für und gegen die Unionsbürger; sie wendet sich ausdrücklich nur an die Mitgliedstaaten. Die Unionsbürger werden dagegen erst durch die Ausführungsakte der Richtlinie durch die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten berechtigt oder verpflichtet. Dies ist für die Unionsbürger so lange ohne Bedeutung, wie die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen aus den Unionsrechtsakten nachkommen. Nachteile ergeben sich für die Unionsbürger allerdings dann, wenn die Verwirklichung des in der Richtlinie vorgesehenen Ziels für sie vorteilhaft wäre, die notwendigen staatlichen Ausführungsakte jedoch entweder gar nicht oder nur fehlerhaft erlassen werden. Um diese Nachteile weitgehend auszuschließen, hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Unionsbürger unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbar auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen und die ihnen danach zustehenden Rechte in Anspruch nehmen und gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten durchsetzen können. Die Voraussetzungen dieser Direktwirkung umschreibt der Gerichtshof wie folgt:

  • Die Bestimmungen der Richtlinie müssen die Rechte der Unionsbürger/Unternehmen hinreichend klar und präzise festlegen,
  • die Inanspruchnahme des Rechts darf an keine Bedingung oder Auflage geknüpft sein,
  • dem nationalen Gesetzgeber darf bei der inhaltlichen Gestaltung des Rechts kein Ermessensspielraum eingeräumt sein, und
  • die Frist für die Umsetzung der Richtlinie muss abgelaufen sein.

Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Direktwirkung von Richtlinien beruht im Wesentlichen auf der Überlegung, dass ein Mitgliedstaat widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich handelt, wenn er sein Recht anwendet, obwohl er es entsprechend den Vorgaben aus den Richtlinienbestimmungen hätte anpassen müssen. Dieser unzulässigen Rechtsausübung durch einen Mitgliedstaat wird durch die Anerkennung der Direktwirkung einer Richtlinienbestimmung insofern entgegengewirkt, als damit verhindert wird, dass der betreffende Mitgliedstaat aus seiner Missachtung des Unionsrechts irgendeinen Vorteil zieht. In diesem Sinne kommt der Direktwirkung von Richtlinien Sanktionscharakter zu. Bei dieser Einordnung ist es zudem konsequent, wenn der Gerichtshof die unmittelbare Wirkung von Richtlinien bisher nur im Verhältnis des Einzelnen zum Mitgliedstaat anerkannt hat und dies auch nur, soweit sich die Direktwirkung zugunsten der Unionsbürger, nicht aber zu ihren Lasten auswirkt, d. h. nur in den Fällen, in denen das Unionsrecht eine für den Unionsbürger günstigere Regelung bereithält als das nicht angepasste nationale Recht (sog. „vertikale Direktwirkung“).

Die Direktwirkung von Richtlinien im Verhältnis der Einzelnen untereinander (sog. „horizontale Direktwirkung“) hat der Gerichtshof demgegenüber abgelehnt. Der Sanktionscharakter der Direktwirkung führt den Gerichtshof zu der Feststellung, dass diese Wirkung nicht auch unter Privaten eingreifen kann, da diese nicht für die Versäumnisse des Mitgliedstaates verantwortlich gemacht werden können. Vielmehr können sie sich auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stützen. Die Unionsbürger müssen darauf vertrauen können, dass ihnen die Wirkungen einer Richtlinie nur nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsmaßnahmen entgegengehalten werden können. Allerdings hat der Gerichtshof einen primärrechtlichen Grundsatz entwickelt, nach dem der Inhalt einer Richtlinie, soweit er eine Konkretisierung des allgemeinen Diskriminierungsverbots vornimmt, auch auf Privatrechtsverhältnisse Anwendung findet. Die Konstruktion des Gerichtshof geht dabei über das Diskriminierungsverbot, das in seiner Konkretisierung durch die jeweilige Richtlinie, die staatlichen Stellen und hier insbesondere die staatlichen Gerichte verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem EU-Recht ergibt, sicherzustellen und die volle Wirksamkeit des EU-Rechts zu gewährleisten, indem es erforderlichenfalls jede diesem Verbot entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt. Aufgrund des Vorrangs des EU-Rechts setzt sich folglich das Diskriminierungsverbot in seiner Ausgestaltung durch die jeweilige Richtlinie gegenüber entgegenstehendem nationalem Recht durch. Damit stellt der Gerichtshof zwar seine Rechtsprechung zur fehlenden horizontalen Wirkung der Richtlinien nicht infrage, kommt aber de facto in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot in allen Fällen, in denen eine Richtlinie das Diskriminierungsverbot konkretisiert, zu demselben Ergebnis. Eine solche Konkretisierung hat der Gerichtshof bisher anerkannt für Richtlinien, die die klassischen Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Geschlechts oder auch des Alters zum Gegenstand hatten. Entsprechendes dürfte aber für alle Richtlinien gelten, die zur Bekämpfung der in Artikel 19 AEU-Vertrag aufgeführten Diskriminierungsgründe erlassen werden.

Die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie setzt nicht notwendigerweise voraus, dass eine Richtlinienbestimmung dem Einzelnen Rechte verleiht. Vielmehr entfalten Richtlinienbestimmungen eine unmittelbare Wirkung auch insoweit, als sie objektiv-rechtliche Wirkung entfalten. Zur Anerkennung dieser Wirkung gelten dieselben Voraussetzungen wie für die Anerkennung einer Direktwirkung mit der einzigen Besonderheit, dass anstelle eines klar und präzise umrissenen Rechts des Unionsbürgers/Unternehmens eine klar und präzise umrissene Verpflichtung der Mitgliedstaaten festgelegt ist. Ist dies der Fall, sind alle Organe, also Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichte der Mitgliedstaaten, an die Richtlinie gebunden und haben diese von Amts wegen als vorrangiges Unionsrecht zu beachten und anzuwenden. Konkret folgt hieraus etwa auch die Verpflichtung, das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen („richtlinienkonforme Auslegung“) oder der fraglichen Richtlinienbestimmung den Anwendungsvorrang vor entgegenstehendem nationalem Recht einzuräumen. Außerdem entfalten Richtlinien gegenüber den Mitgliedstaaten gewisse Sperrwirkungen, noch bevor die Umsetzungsfrist abgelaufen ist. Im Hinblick auf die Zielverbindlichkeit einer Richtlinie und unter Anwendung des Grundsatzes der Unionstreue (Artikel 4 EU-Vertrag) haben die Mitgliedstaaten schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Erreichung des mit der Richtlinie angestrebten Ziels ernstlich gefährden würden.

Schließlich hat der Gerichtshof in den Urteilen Francovich und Bonifaci aus dem Jahr 1991 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Ersatz derjenigen Schäden anerkannt, die durch die fehlende oder nicht ordnungsgemäße Umsetzung verursacht werden. In diesen Fällen ging es um die Frage der Haftung des italienischen Staates für die nicht fristgemäße Umsetzung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Die Richtlinie betrifft die Sicherung der Ansprüche der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt während eines Zeitraums vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bzw. der Kündigung aus diesem Grund. Zu diesem Zweck waren Garantieeinrichtungen zu bilden, die dem Zugriff anderer Gläubiger des Arbeitgebers nicht unterliegen dürfen und deren Mittel von den Arbeitgebern und/oder von der öffentlichen Hand aufzubringen sind. Der Gerichtshof stand hier vor dem Problem, dass diese Richtlinie zwar darauf abzielte, den Arbeitnehmern ein subjektives Recht auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts aus den Mitteln der zu schaffenden Garantieeinrichtung einzuräumen, diesem Recht aber die unmittelbare Anwendbarkeit, d. h. seine Geltendmachung auch vor den nationalen Gerichten, versagt bleiben musste, weil es infolge fehlender Umsetzung dieser Richtlinie an der Schaffung der Garantieeinrichtung und damit an der Bestimmung des Schuldners für die zu leistenden Zahlungen des Konkursausfallgeldes fehlte. Für diesen Fall hat der Gerichtshof in seinem Urteil entschieden, dass sich der italienische Staat dadurch, dass er aufgrund der fehlenden Umsetzung der Richtlinie den Arbeitnehmern das ihnen durch die Richtlinie eingeräumte Recht vorenthalten hat, gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern schadensersatzpflichtig gemacht hat. Die Ersatzpflicht, obwohl im Unionsrecht nicht ausdrücklich vorgesehen, ist nach Auffassung des Gerichtshofs untrennbarer Bestandteil der Rechtsordnung der EU, da deren volle Wirksamkeit beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert wäre, wenn die Unionsbürger nicht die Möglichkeit hätten, für den Fall eine Entschädigung zu erlangen, dass ihre Rechte durch EU-rechtswidriges Handeln der Mitgliedstaaten verletzt werden.4

Beschlüsse

Mit den „Beschlüssen“ wurde mit dem Vertrag von Lissabon eine neue Rechtshandlungsform in den Katalog der Rechtshandlungen aufgenommen. Zwei Kategorien von Beschlüssen sind zu unterscheiden: Beschlüsse, die an bestimmte Adressaten gerichtet sind, und allgemeine Beschlüsse, die keinen bestimmten Adressaten haben (vgl. Artikel 288 Absatz 4 AEU-Vertrag). Während die an bestimmte Adressaten gerichteten Beschlüsse die früheren „Entscheidungen“ zur Regelung von Einzelfällen ablösen, umfassen die allgemeinen Beschlüsse, die keinen bestimmten Adressaten haben, eine Vielzahl von Regelungstypen, denen gemeinsam ist, dass sie keine Einzelfallregelung bezwecken. Diese einheitliche Bezeichnung zweier ganz unterschiedlicher Rechtshandlungsformen ist zu bedauern, da wegen der unvermeidbaren Abgrenzungsprobleme eine große Rechtsunsicherheit entsteht. Es wäre besser gewesen, den Begriff der zuvor gebräuchlichen „Entscheidung“ für Maßnahmen zur Regelung von Einzelfällen mit Rechtswirkung nach außen beizubehalten und zusätzlich für die anderen verbindlichen Rechtshandlungen den Begriff des „Beschlusses“ einzuführen.

Beschlüsse, die an bestimmte Adressaten gerichtet sind, bilden den typischen Rechtsakt, mit dem die EU-Organe (insbesondere Rat und Kommission) ihre Exekutivfunktion wahrnehmen. Ein solcher Beschluss kann von einem Mitgliedstaat, einem Unternehmen oder einem Unionsbürger ein Handeln oder Unterlassen verlangen, ihnen Rechte einräumen oder Pflichten auferlegen. Dies entspricht genau der Situation in den nationalen Rechtsordnungen. Auch hier werden durch die nationalen Verwaltungen die Folgen, die sich aus der Anwendung etwa eines Gesetzes auf einen Einzelfall ergeben, gegenüber den Bürgern durch den Erlass eines Verwaltungsaktes verbindlich festgelegt.

Die Strukturmerkmale dieser Form des Beschlusses lassen sich wie folgt umschreiben:

  • Der Beschluss hat individuelle Geltung, wodurch er sich von der Verordnung unterscheidet. Die Adressaten eines Beschlusses müssen individuell bezeichnet sein und werden auch nur individuell gebunden. Dafür genügt es, dass der betroffene Personenkreis im Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses bestimmbar ist und künftig nicht mehr erweitert werden kann. Abzustellen ist dabei vor allem auf den Inhalt des Beschlusses, der geeignet sein muss, in individueller und unmittelbarer Weise auf die Lage der Rechtsunterworfenen einzuwirken. In diesem Sinne können auch Dritte von einem Beschluss individuell betroffen sein, sofern sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt werden und daher in ähnlicher Weise wie der Adressat selbst individualisierbar werden.
  • Der Beschluss ist in allen seinen Teilen verbindlich, wodurch er sich von den Richtlinien unterscheidet, die nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind.
  • Der Beschluss bindet seinen Adressaten unmittelbar. Ein an einen Mitgliedstaat gerichteter Beschluss kann darüber hinaus unter den gleichen Voraussetzungen wie eine Richtlinie unmittelbare Wirkung auch für die Unionsbürger erzeugen.

Allgemeine Beschlüsse, die keinen bestimmten Adressaten haben, sind in allen ihren Teilen verbindlich, allerdings wird nicht deutlich, für wen die Verbindlichkeit eintritt. Dies kann letztlich erst über den Inhalt des jeweiligen Beschlusses festgestellt werden. Folgende Regelungstypen lassen sich bei den allgemeinen Beschlüssen unterscheiden:

  • Beschlüsse zur Änderung von Vertragsvorschriften: Diese Beschlüsse gelten abstrakt-generell, d. h., sie binden alle EU-Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen sowie die Mitgliedstaaten. Zu nennen sind etwa Beschlüsse zur Vereinfachung der Annahmeverfahren (Artikel 81 Absatz 3, Artikel 192 Absatz 2 Buchstabe c AEU-Vertrag) oder zur Erleichterung der Mehrheitsanforderungen (Artikel 312 Absatz 2, Artikel 333 Absatz 1 AEU-Vertrag).
  • Beschlüsse zur Konkretisierung des Vertragsrechts: Diese Beschlüsse entfalten Bindungswirkung für die EU insgesamt oder für die betroffenen EU-Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen im Fall eines Beschlusses über deren Zusammensetzung; sie haben keine Außenwirkung für die Einzelnen.
  • Beschlüsse zum Erlass von Intra- und Inter-Organrecht: Diese Beschlüsse binden die betroffenen und beteiligten EU-Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen. Beispiele sind die Geschäftsordnungen der EU-Organe (Intra-Organrecht) sowie die interinstitutionellen Vereinbarungen, die zwischen den EU-Organen getroffen werden (Inter-Organrecht).
  • Beschlüsse im Rahmen der Organisationsgewalt: Diese Beschlüsse (z. B. Ernennungen, Vergütung) binden die jeweiligen Funktionsträger oder Organmitglieder.
  • Beschlüsse zur Politikgestaltung: Diese Beschlüsse treten in Konkurrenz mit den Verordnungen und Richtlinien, zielen aber nicht auf eine rechtsverbindliche Außenwirkung für die Einzelnen. Grundsätzlich beschränkt sich die Bindungswirkung auf die am Erlass beteiligten Organe, insbesondere wenn es um Orientierungen oder Leitlinien zukünftiger Politik geht. Nur ausnahmsweise haben sie abstrakt-generelle Rechtswirkungen oder finanzielle Auswirkungen.
  • Beschlüsse im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik: Diese Beschlüsse haben rechtliche Bindungswirkung für die EU. Gegenüber den Mitgliedstaaten wird die Bindungswirkung durch spezielle Vorschriften (z. B. Artikel 28 Absätze 2 und 5; Artikel 31 Absatz 1 EU-Vertrag) begrenzt. Sie unterliegen nicht der Rechtsprechungshoheit des Gerichtshofs.

Empfehlungen und Stellungnahmen

Eine letzte Kategorie von Rechtshandlungen, die in den Unionsverträgen ausdrücklich vorgesehen ist, sind die Empfehlungen und Stellungnahmen. Sie ermöglichen es den Unionsorganen, sich gegenüber den Mitgliedstaaten und in einigen Fällen auch gegenüber den Unionsbürgern unverbindlich zu äußern, d. h., ohne damit für den Adressaten rechtliche Verpflichtungen zu begründen.

In den Empfehlungen wird den Adressaten ein bestimmtes Verhalten nahegelegt, ohne diese jedoch rechtlich zu verpflichten. So kann etwa die Europäische Kommission in den Fällen, in denen der Erlass oder die Änderung einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift in einem Mitgliedstaat die Wettbewerbsbedingungen auf dem europäischen Binnenmarkt verfälschen, dem betreffenden Staat die zur Vermeidung dieser Verzerrung geeigneten Maßnahmen empfehlen (vgl. Artikel 117 Absatz 1 Satz 2 AEU-Vertrag).

Stellungnahmen werden dagegen von den Unionsorganen abgegeben, wenn es um die Beurteilung einer gegenwärtigen Lage oder bestimmter Vorgänge in der Union oder in den Mitgliedstaaten geht. Zum Teil dienen sie aber auch der Vorbereitung späterer verbindlicher Rechtsakte oder sind Voraussetzung eines Prozesses vor dem Gerichtshof (vgl. Artikel 258 und 259 AEU-Vertrag).

Die wesentliche Bedeutung von Empfehlungen und Stellungnahmen liegt vor allem im politischen und moralischen Bereich. Die Verfasser der Verträge sind bei der Aufnahme dieser Rechtshandlungen von der Erwartung ausgegangen, dass die Betroffenen bereits aufgrund der Autorität der Unionsorgane und ihrer umfassenden, über die nationalen Verhältnisse hinausreichenden Übersicht und Sachkenntnis einem ihnen erteilten Rat freiwillig nachkommen würden oder die aus einer Beurteilung einer bestimmten Situation notwendigen Konsequenzen ziehen würden. Allerdings können Empfehlungen und Stellungnahmen indirekt rechtliche Wirkungen entfalten, wenn sie nämlich die Voraussetzungen für spätere verbindliche Rechtsakte schaffen oder das betreffende Unionsorgan sich selbst bindet, wodurch unter Umständen ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden kann.

Entschließungen, Erklärungen und Aktionsprogramme

Neben den in den Unionsverträgen aufgeführten Rechtshandlungen verbleiben den Unionsorganen weitere vielfältige Handlungsformen, um der Rechtsordnung der EU Form und Gestalt zu geben. Von Bedeutung in der Unionspraxis sind vor allem die Entschließungen, Erklärungen und Aktionsprogramme.

Entschließungen: Urheber von Entschließungen sind das Europäische Parlament, der Europäische Rat sowie der Rat. In den Entschließungen werden die gemeinsamen Auffassungen und Absichten im Hinblick auf die Gesamtentwicklung der Integration sowie über konkrete Aufgaben innerhalb und außerhalb der EU zum Ausdruck gebracht. Die den Innenbereich der EU betreffenden Entschließungen hatten etwa zum Gegenstand Grundsatzfragen der politischen Union, die Regionalpolitik, die Energiepolitik sowie die Wirtschafts- und Währungsunion, insbesondere die Errichtung des Europäischen Währungssystems. Diesen Entschließungen kommt vor allem politische Bedeutung als Orientierungshilfe für die künftige Arbeit des Rates der EU zu. Als gemeinsame politische Willensäußerungen erleichtern diese Entschließungen die Konsensfindung im Rat ganz entscheidend. Darüber hinaus gewährleisten sie ein Mindestmaß an Konkordanz zwischen der EU-weiten und der mitgliedstaatlichen Entscheidungsebene. Dieser Funktion muss auch eine rechtliche Bewertung Rechnung tragen, d. h., das Instrument der Entschließungen muss flexibel bleiben und darf nicht zu stark durch rechtliche Vorgaben und Bindungen belastet werden.

Erklärungen: Bei den Erklärungen sind zwei Erscheinungsformen zu unterscheiden: Soweit sich die Erklärungen auf die weitere Entwicklung der Union beziehen, wie etwa die Erklärungen zur EU, zur Demokratie oder zu den Grundrechten, entsprechen sie ihrer Bedeutung nach im Wesentlichen den Entschließungen. Auf sie wird vor allem dann zurückgegriffen, wenn eine breite Öffentlichkeit oder ein bestimmter Adressatenkreis angesprochen werden soll. Daneben werden Erklärungen auch im Zusammenhang mit der Beschlussfassung im Rat der EU abgegeben. Es handelt sich dabei um Erklärungen, in denen die Ratsmitglieder gemeinsam oder einseitig ihre Auffassung über die Auslegung der gefassten Ratsbeschlüsse zum Ausdruck bringen. Derartige auslegende Erklärungen sind ständige Übung im Rat der EU und stellen ein unerlässliches Mittel dar, Kompromisse im Rat zu erreichen. Die rechtliche Bedeutung dieser Erklärungen ist nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu beurteilen. Danach ist für die Auslegung einer Bestimmung grundsätzlich auch der Wille ihres Urhebers maßgeblich. Allerdings kann dies nur insoweit gelten, als die auslegenden Erklärungen die notwendige Publizität besitzen, da etwa sekundäres Unionsrecht, das dem Einzelnen unmittelbare Rechte einräumt, nicht aufgrund unveröffentlichter Nebenabreden eingeschränkt werden kann.

Aktionsprogramme: Diese Programme werden vom Rat der EU sowie der Europäischen Kommission aus eigener Initiative oder auf Anregung des Europäischen Rates erstellt und dienen der Konkretisierung der in den Unionsverträgen niedergelegten Gesetzgebungsprogramme und allgemeinen Zielvorstellungen. Soweit diese Programme in den Verträgen ausdrücklich vorgesehen sind, binden sie die Unionsorgane an den Planungsinhalt. Andere Programme werden hingegen in der Praxis lediglich als Orientierungshilfen verstanden, denen keine rechtlich verbindliche Wirkung zukommt. Sie bringen jedoch die Absicht der Unionsorgane zum Ausdruck, entsprechend ihrem Inhalt zu handeln.

In der Unionspraxis von erheblicher Bedeutung sind daneben die „Weißbücher“ und „Grünbücher“. Die von der Kommission veröffentlichten „Weißbücher“ enthalten konkrete Vorschläge für Maßnahmen der EU in einem bestimmten Politikbereich. Wird ein Weißbuch vom Rat positiv aufgenommen, kann es die Grundlage für ein Aktionsprogramm der Union bilden. Beispiele sind hier die Weißbücher zur Zukunft Europas (2017) oder zur künstlichen Intelligenz (2020). „Grünbücher“ sollen auf europäischer Ebene Denkanstöße zu spezifischen Themen liefern und bilden die Grundlage für eine öffentliche Konsultation und Debatte zu dem im Grünbuch behandelten Themenkomplex. In einigen Fällen geben sie den Anstoß zur Erarbeitung von Rechtsvorschriften, die dann in Weißbüchern erläutert werden.

Veröffentlichung und Bekanntgabe

EU-Gesetzgebungsakte und die verbindlichen Rechtsakte werden im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe L (für Gesetzgebungsakte (L = Législation)), veröffentlicht. Sie treten zu dem durch sie festgelegten Zeitpunkt oder anderenfalls am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.

Die unverbindlichen Rechtsakte unterliegen keiner Veröffentlichungs- oder Bekanntgabepflicht. Sie werden aber ebenfalls in aller Regel im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C („Mitteilungen und Bekanntmachungen“ (C = Communication)), veröffentlicht. In der Reihe C werden zudem alle offiziellen Dokumente der EU-Organe, -Einrichtungen und -Agenturen veröffentlicht.

Die an einen bestimmten Adressaten gerichteten Rechtsakte werden denjenigen, für die sie bestimmt sind, bekannt gegeben und durch diese Bekanntgabe wirksam.

Das Rechtsetzungsverfahren in der Europäischen Union

Im Unterschied zur innerstaatlichen Willensbildung, die sich im Parlament vollzieht, wurde die Willensbildung in der EU lange Zeit entscheidend von den im Rat der EU vereinigten Regierungsvertretern der Mitgliedstaaten geprägt. Dies ganz einfach deshalb, weil die EU nicht aus einem „europäischen Volk“ hervorgegangen ist, sondern ihre Existenz und Ausgestaltung den Mitgliedstaaten verdankt. Diese haben Teile ihrer Souveränität zugunsten der EU nicht ohne Weiteres preisgegeben, sondern diesen Schritt nur im Hinblick auf ihre starke Stellung im Entscheidungsverfahren der EU gewagt. Gleichwohl ist im Zuge der Entwicklung und Vertiefung der Rechtsordnung der EU auch diese ursprünglich sehr einseitig auf die mitgliedstaatlichen Interessen ausgerichtete Verteilung der Befugnisse im Entscheidungsprozess der EU durch eine stetige Verbesserung der Stellung des Europäischen Parlaments einem ausgewogenen Entscheidungssystem gewichen. So wurde die ursprüngliche Anhörung des Europäischen Parlaments zunächst um die Zusammenarbeit des Europäischen Parlaments mit dem Rat und schließlich um die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments im Rechtsetzungsprozess der EU ergänzt.

Diese Grafik zeigt das Verfahren zum Erlass von Rechtsakten in der Europäischen Union.

Das Verfahren zum Erlass von Rechtsakten umfasst folgenden Schritte: Die Europäische Kommission legt Vorschläge vor, zu denen das Europäische Parlament (in erster Lesung) seinen Standpunkt festlegt und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Europäische Ausschuss der Regionen Stellung nehmen. Die Vorschläge werden dann dem Rat für eine erste Lesung übermittelt. Schlägt das Parlament keine Änderungen vor oder billigt der Rat alle Änderungen, so kann der Rechtsakt nach Trilogverhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission erlassen werden. Andernfalls legt der Rat dem Parlament seinen Standpunkt vor und der Vorschlag wird dem Parlament zur zweiten Lesung übermittelt. Wird der Standpunkt des Rates gebilligt, so wird der Rechtsakt in der Formulierung des Standpunkts des Rates erlassen. Lehnt die Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) den Standpunkt des Rates ab, so endet das Rechtsetzungsverfahren und der Rechtsakt kommt nicht zustande. Werden mit der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments Abänderungen vorgeschlagen, so kann die Kommission diese Abänderungen billigen oder ablehnen. Der Vorschlag wird dann dem Rat für eine zweite Lesung übermittelt. Billigt der Rat die Abänderungen mit qualifizierter Mehrheit oder einstimmig, so gilt der Rechtsakt als erlassen. Lehnt der Rat die Abänderungen ab, so wird der Vorschlag an den Vermittlungsausschuss (aus Vertretern des Parlaments und des Rates) überwiesen. Wird eine Einigung erzielt, so wird das Ergebnis in einer dritten Lesung sowohl vom Parlament als auch vom Rat bestätigt. Erzielt der Vermittlungsausschuss keine Einigung, so gilt der Rechtsakt als abgelehnt und das Rechtssetzungsverfahren damit als beendet.

Die Verfahren der Rechtsetzung in der EU sind durch den Vertrag von Lissabon neu geordnet und gestaltet worden. Zu unterscheiden sind

  1. für den Erlass der Gesetzgebungsakte das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (Artikel 289 Absatz 1 AEU-Vertrag), das im Wesentlichen dem früheren Verfahren der Mitentscheidung entspricht und als Regelfall der Rechtsetzung auf EU-Ebene gilt, sowie das besondere Gesetzgebungsverfahren (Artikel 289 Absatz 2 AEU-Vertrag), in dem die Annahme von Gesetzgebungsakten durch das Parlament mit Beteiligung des Rates oder durch den Rat mit Beteiligung des Parlaments erfolgt.
  2. Bestimmte Rechtsakte müssen, bevor sie wirksam werden können, ein Zustimmungsverfahren beim Parlament durchlaufen.
  3. Die Rechtsakte ohne Gesetzescharakter ergehen in einem vereinfachten Verfahren.
  4. Für den Erlass von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten stehen besondere Verfahren bereit.

Ablauf des Verfahrens

Phase der Entstehung eines Vorschlags

Eingeleitet wird das Verfahren grundsätzlich von der Kommission, die einen Vorschlag für die zu treffende Unionsmaßnahme erarbeitet (Initiativrecht). Dies geschieht in der für den zu regelnden Wirtschaftsbereich zuständigen Dienststelle der Kommission, wobei diese vielfach auch nationale Sachverständige beratend hinzuzieht. Die Abstimmung mit nationalen Experten erfolgt dabei teilweise im Rahmen eigens dazu eingerichteter Ausschüsse oder aber in Form einer von den Kommissionsdienststellen ad hoc durchgeführten Expertenbefragung Allerdings ist die Kommission bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge an die Ergebnisse der Beratungen mit den nationalen Experten nicht gebunden. Der von der Kommission ausgearbeitete Entwurf, der Inhalt und Form der zu treffenden Maßnahmen in allen Einzelheiten festlegt, wird von den Kommissionsmitgliedern beraten und schließlich mit einfacher Mehrheit beschlossen. Als „Vorschlag der Kommission“ wird er gleichzeitig dem Parlament und dem Rat sowie gegebenenfalls dem anzuhörenden Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Europäischen Ausschuss der Regionen zusammen mit einer ausführlichen Begründung zugeleitet.

Erste Lesung im Parlament und im Rat

Der Präsident des Parlaments weist den Vorschlag einem federführenden Ausschuss des Parlaments zur Bearbeitung zu. Das Ergebnis der Ausschussberatungen wird vom Plenum des Parlaments beraten und in einer Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, die eine Zustimmung oder Ablehnung sowie Änderungsvorschläge enthalten kann. Das Parlament übermittelt dann seinen Standpunkt dem Rat.

Der Rat kann nun ebenfalls in erster Lesung wie folgt vorgehen:

  • Billigt der Rat den Standpunkt des Parlaments, so ist der betreffende Rechtsakt in der Fassung des Standpunkts des Parlaments erlassen, und das Gesetzgebungsverfahren ist damit beendet. In der Praxis ist es inzwischen zur Regel geworden, dass das Gesetzgebungsverfahren tatsächlich bereits in erster Lesung abgeschlossen wird. Dazu bediente man sich des „informellen Trilogs“, bei dem Vertreter des Parlaments, des Rates und der Kommission an einem Tisch sitzen und bereits in diesem frühen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens um einen einvernehmlichen Kompromiss ringen. Diese Triloge sind in den meisten Fällen erfolgreich, sodass nur noch sehr strittige Gesetzgebungsvorhaben das ganze ordentliche Gesetzgezbungsverfahren durchlaufen.
  • Billigt der Rat den Standpunkt des Parlaments nicht, so legt er seinen Standpunkt in erster Lesung fest und übermittelt ihn dem Parlament.

Der Rat unterrichtet das Parlament in allen Einzelheiten über die Gründe, aus denen er seinen Standpunkt festgelegt hat. Die Kommission unterrichtet das Parlament in allen Einzelheiten über ihren Standpunkt.

Zweite Lesung im Parlament und im Rat

Das Parlament hat in der zweiten Lesung binnen drei Monaten nach der Übermittlung des Standpunkts des Rates drei Handlungsmöglichkeiten:

  1. Das Parlament kann den Standpunkt des Rates billigen oder sich nicht äußern: Dann gilt der betreffende Rechtsakt als in der Fassung des Standpunkts des Rates als erlassen.
  2. Das Parlament lehnt den Standpunkt des Rates mit der Mehrheit seiner Mitglieder ab: Dann gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen und das Gesetzgebungsverfahren ist beendet.
  3. Das Parlament nimmt mit der Mehrheit seiner Mitglieder Abänderungen an dem Standpunkt des Rates vor: Dann wird die abgeänderte Fassung dem Rat und der Kommission zugeleitet; die Kommission gibt eine Stellungnahme zu diesen Abänderungen ab.

Der Rat berät über den abgeänderten Standpunkt und hat binnen drei Monaten nach Eingang der Abänderungen des Parlaments zwei Handlungsmöglichkeiten:

  1. Der Rat kann alle Abänderungen des Parlaments billigen: Dann gilt der betreffende Rechtsakt als erlassen; dabei genügt die qualifizierte Mehrheit, wenn auch die Kommission mit den Abänderungen des Parlaments einverstanden ist; ist dies nicht der Fall, kann der Rat nur mit Einstimmigkeit die Abänderungen des Parlaments billigen.
  2. Der Rat billigt nicht alle Abänderungen des Parlaments oder verfehlt die dafür erforderliche Mehrheit: Dann kommt es zum Vermittlungsverfahren.
Vermittlungsverfahren

Die Einleitung des Vermittlungsverfahrens erfolgt durch den Präsidenten des Rates im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Parlaments. Dazu wird ein Vermittlungsausschuss eingesetzt, der zurzeit aus jeweils 27 gleichberechtigten Vertretern des Parlaments und des Rates besteht. Der Vermittlungsausschuss hat die Aufgabe, mit qualifizierter Mehrheit binnen sechs Wochen nach seiner Einberufung eine Einigung auf der Grundlage der jeweils in zweiter Lesung festgelegten Standpunkte des Parlaments und des Rates zu erzielen. Dabei geht es um eine Kompromisslösung, die aufgrund einer „Prüfung sämtlicher Aspekte des Dissenses“ gefunden werden soll. Es geht dabei aber immer nur um einen Kompromiss zwischen den beiden divergierenden Standpunkten von Parlament und Rat. Dabei kann auch auf neue Elemente, die die Kompromissfindung erleichtern, zurückgegriffen werden, sofern sie sich in das Gesamtergebnis der zweiten Lesung einpassen. Nicht möglich ist dagegen der Rückgriff auf Änderungen, die in der zweiten Lesung die erforderlichen Mehrheiten verfehlt haben.

Die Kommission nimmt an den Arbeiten des Vermittlungsausschusses teil und ergreift alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Parlaments und des Rates hinzuwirken.

Billigt der Vermittlungsausschuss binnen sechs Wochen nach seiner Einberufung keinen gemeinsamen Entwurf, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen.

Dritte Lesung im Parlament und im Rat

Billigt der Vermittlungsausschuss innerhalb der Frist von sechs Wochen einen gemeinsamen Entwurf, so verfügen das Parlament und der Rat ab dieser Billigung über eine Frist von sechs Wochen, um den betreffenden Rechtsakt entsprechend diesem Entwurf zu erlassen, wobei im Parlament die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und im Rat die qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Andernfalls gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen, und das Gesetzgebungsverfahren ist beendet.

Veröffentlichung

Der beschlossene Rechtsakt wird in seiner endgültigen Form in den zurzeit 24 Amtssprachen Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Französisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch ausgearbeitet von den Präsidenten des Parlaments und des Rates unterzeichnet und anschließend im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

Das Verfahren der Mitentscheidung bedeutet für das Europäische Parlament Herausforderung und Chance zugleich. Zwar setzt ein erfolgreiches Wirken dieses Verfahrens eine Einigung im Vermittlungsausschuss voraus; gleichwohl verändert es das Verhältnis zwischen Parlament und Rat grundlegend. Es besteht zwischen beiden Organen in der Gesetzgebung Gleichberechtigung. Es liegt am Parlament und am Rat, ihre politische Kompromissfähigkeit zu beweisen und sich im Vermittlungsausschuss möglichst auf einen gemeinsamen Entwurf zu einigen.

Das besondere Gesetzgebungsverfahren

Das besondere Gesetzgebungsverfahren ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Parlaments einstimmig beschließt (Beispiel: Artikel 308 AEU-Vertrag: Satzung der Europäischen Investitionsbank) oder dass das Parlament nach Zustimmung des Rates einen Rechtsakt erlässt (Beispiele: Artikel 226 Absatz 3 AEU-Vertrag: Ausübung des Untersuchungsrechts durch parlamentarischen Untersuchungsausschuss; Artikel 228 Absatz 4 AEU-Vertrag: Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten).

Daneben gibt es weitere Formen, die diesen Regelfällen nicht entsprechen, gleichwohl aber dem besonderen Gesetzgebungsverfahren zugerechnet werden können:

  • Beschlussfassung über den Haushaltsplan (Artikel 314 AEU-Vertrag): Das Verfahren ist detailliert geregelt und entspricht weitestgehend dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren.
  • Der Rat entscheidet auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Parlaments (ggf. noch anderer EU-Organe und beratender Einrichtungen) mit Mehrheit; dies ist das ursprüngliche Anhörungsverfahren, das anfangs das Regelverfahren der Rechtsetzung auf EU-Ebene war, nunmehr aber nur noch punktuell als besonderes Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung kommt (Beispiele: Artikel 140 Absatz 2 AEU-Vertrag: Ausnahmeregelungen im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion; Artikel 128 Absatz 2 AEU-Vertrag: Münzausgaben).
  • Der Rat entscheidet ohne Beteiligung des Parlaments. Dies ist aber eine seltene Ausnahme und kommt, abgesehen vom Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wo das Europäische Parlament aber von den Ratsbeschlüssen unterrichtet wird (Artikel 36 EU-Vertrag), nur noch sehr vereinzelt vor (Beispiele: Artikel 31 AEU-Vertrag: Festlegung des Gemeinsamen Zolltarifs; Artikel 301 Absatz 2 AEU-Vertrag: Zusammensetzung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses).

Politikbereiche, für die ein besonderes Gesetzgebungsverfahren vorgesehen ist, können über sogenannte „Brückenklauseln“ in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren überführt werden, oder die Einstimmigkeit im Rat kann durch eine qualifizierte Mehrheit ersetzt werden. Zwei Arten von Brückenklauseln sind zu unterscheiden: 1) die allgemeine Brückenklausel, die für alle Politikbereiche gilt und einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates erfordert, sowie 2) die besonderen Brückenklauseln, die für bestimmte Politikbereiche gelten (z. B. mehrjähriger Finanzrahmen – Artikel 312 AEU-Vertrag; die justizielle Zusammenarbeit im Familienrecht – Artikel 81 Absatz 3 AEU-Vertrag; die Verstärkte Zusammenarbeit – Artikel 333 AEU-Vertrag; der Sozialbereich – Artikel 153 AEU-Vertrag und der Umweltbereich – Artikel 192 AEU-Vertrag). Diese Klauseln unterscheiden sich von den allgemeinen Brückenklauseln dadurch, dass die nationalen Parlamente in der Regel nicht über ein Vetorecht verfügen und der Beschluss auch durch den Rat und nicht notwendigerweise durch den Europäischen Rat getroffen werden kann.

Zustimmungsverfahren

Eine ebenfalls starke Form der Beteiligung des Europäischen Parlaments bei der Rechtsetzung innerhalb der EU stellt das Zustimmungsverfahren dar. Danach kann ein Rechtsakt nur zustande kommen, wenn er zuvor die Zustimmung des Parlaments erhalten hat. Allerdings eröffnet dieses Verfahren dem Europäischen Parlament keine unmittelbaren inhaltlichen Gestaltungsspielräume; so kann das Parlament keine Änderungen vorschlagen oder im Zustimmungsverfahren durchsetzen, sondern bleibt auf die Zustimmung oder Ablehnung des vorgelegten Rechtsakts beschränkt. Dieses Verfahren ist etwa vorgesehen für den Abschluss internationaler Abkommen (Artikel 218 Absatz 6a AEU-Vertrag), die Verstärkte Zusammenarbeit (Artikel 329 Absatz 1 AEU-Vertrag) oder für die Ausübung der Vertragsabrundungskompetenz (Artikel 352 Absatz 1 AEU-Vertrag). Das Zustimmungsverfahren kann sowohl Bestandteil eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens zum Erlass von Gesetzgebungsakten sein als auch Bestandteil des einfachen Rechtsetzungsverfahrens zum Erlass von verbindlichen Rechtsakten ohne Gesetzescharakter.

Verfahren zum Erlass von Rechtsakten ohne Gesetzescharakter

Rechtsakte ohne Gesetzescharakter werden in einem einfachen Verfahren erlassen, in dem ein EU-Organ oder eine sonstige Einrichtung aus eigener Zuständigkeit einen Rechtsakt erlässt. Die Befugnis hierfür ergibt sich aus der jeweiligen Kompetenzgrundlage in den EU-Verträgen.

Dieses Verfahren gilt zunächst für die (einfachen) verbindlichen Rechtsakte, die von einem EU-Organ in eigener Zuständigkeit erlassen werden (Beispiel: Beschluss der Kommission in Beihilfesachen, Artikel 108 Absatz 2 AEU-Vertrag).

Im einfachen Verfahren werden daneben auch die unverbindlichen Rechtsakte, also insbesondere Empfehlungen und Stellungnahmen der EU-Organe sowie der beratenden Einrichtungen, erlassen.

Verfahren zum Erlass von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten

Die Übertragung von Rechtsetzungs- und Durchführungsbefugnissen auf die Kommission durch Parlament und Rat gehört seit vielen Jahren zur gängigen Praxis. Die Wahrnehmung der übertragenen Befugnisse erfolgte bislang unter Einschaltung von Komitologieausschüssen, in denen der Einfluss von Parlament, Rat, Kommission sowie den Mitgliedstaaten differenziert ausgestaltet wurde. Allerdings fehlte es bisher an einer klaren Trennung zwischen der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen (legislative Gewalt) und der Übertragung von Durchführungsbefugnissen (exekutive Gewalt). Mit dem Vertrag von Lissabon wurde diese längst überfällige Unterscheidung für die Wahrnehmung legislativer und exekutiver Aufgaben im Primärrecht vorgenommen (Artikel 290 und 291 AEU-Vertrag).

Der Erlass delegierter Rechtsakte erfolgt durch die Kommission aufgrund einer speziellen Ermächtigung durch einen von Parlament und Rat beschlossenen Gesetzgebungsakt (Artikel 290 AEU-Vertrag). Der Gegenstand der Übertragung kann nur die Änderung bestimmter, nicht wesentlicher Vorschriften eines Gesetzgebungsakts sein; wesentliche Aspekte eines Bereichs sind von einer Befugnisübertragung ausgeschlossen. Hiermit wird zum Ausdruck gebracht, dass die grundlegenden Regelungen von der legislativen Gewalt selbst getroffen und nicht auf die Exekutive delegiert werden sollen. Das trägt dem Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip Rechnung. Parlament und Rat sollen ihrer primären Verantwortung für die Rechtsetzung immer dann unmittelbar selbst nachkommen, wenn es um politisch bedeutsame Entscheidungen von erheblicher Tragweite geht. Dies gilt insbesondere für die politischen Zielsetzungen des gesetzgeberischen Handelns, für die Auswahl der Instrumente zur Zielerreichung sowie für die mögliche Tragweite der Regelungen für natürliche und juristische Personen. Zudem dürfen delegierte Rechtsakte einen Gesetzgebungsakt nur ändern oder ergänzen, also nicht in seiner Zielsetzung beeinträchtigen. Schließlich müssen die Vorschriften, deren Änderung oder Ergänzung ermöglicht werden soll, im Gesetzgebungsakt eindeutig bestimmt werden. In Betracht kommen deshalb für die delegierten Rechtsakte etwa Rechtsanpassungen an künftige Entwicklungen, wie z. B. Änderungen des Standes der Technik, Angleichungen an vorhersehbare Änderungen anderer Rechtsvorschriften oder die Gewährleistung der Anwendung der Vorschriften des Gesetzgebungsakts auch bei Auftreten besonderer Umstände oder neuerer Erkenntnisse. Die Übertragung der Befugnisse kann befristet werden oder, wenn sie unbefristet erfolgt, unter Widerruf gestellt werden. Neben der Widerrufsmöglichkeit der Befugnisübertragung kann von Parlament und Rat auch eine Einspruchsmöglichkeit gegen das Inkrafttreten delegierter Rechtsakte der Kommission vorgesehen werden. Wenn Parlament und Rat die Rechtsetzungsbefugnis auf die Kommission delegiert haben, kann diese die entsprechenden Rechtsakte erlassen. Eine Einbeziehung anderer Organe ist primärrechtlich nicht vorgeschrieben. Jedoch ist die Kommission befugt, insbesondere nationale Experten zu konsultieren, was in der Praxis die Regel ist.

Der Erlass von Durchführungsrechtsakten durch die Kommission (Artikel 291 AEU-Vertrag) ist als Ausnahme vom Grundsatz der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Verwaltungsvollzug des EU-Rechts konzipiert (Artikel 197 AEU-Vertrag) und steht deshalb unter der Kontrolle der Mitgliedstaaten. Dies ist eine erhebliche Abweichung von der bisherigen Rechtslage, wonach Parlament und Rat im Komitologieverfahren über Mitwirkungsrechte beim Erlass von Durchführungsmaßnahmen verfügten. Diese Änderung erklärt sich aus dem Umstand, dass mit der klaren Trennung von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten auch eine entsprechende Neuzuordnung der Kontroll- und Mitwirkungsrechte vorgenommen werden musste: Während Parlament und Rat als EU-Gesetzgeber Zugriff auf die delegierten Rechtsakte erhalten, sind es bei den Durchführungsrechtsakten die Mitgliedstaaten entsprechend ihrer originären Zuständigkeit für die verwaltungsmäßige Durchführung des EU-Rechts. Der EU-Gesetzgeber (d. h. Parlament und Rat) hat, entsprechend seinem Gesetzgebungsauftrag, allgemeine Regeln und Grundsätze zur Ausübung der Durchführungskontrolle in der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 (sog. „Komitologieverordnung“) festgelegt. Die Komitologieverordnung reduziert die Anzahl der Komitologieverfahren auf zwei: das Beratungsverfahren und das Prüfverfahren, wobei für die Auswahl der Verfahren konkrete Vorgaben gemacht werden.

Im Beratungsverfahren beschließt ein beratender Ausschuss mit einfacher Mehrheit Stellungnahmen, die zu Protokoll genommen werden. Die Kommission soll sie möglichst berücksichtigen, muss dies aber nicht.

Im Prüfverfahren wird über den Entwurf der Kommission für Durchführungsmaßnahmen im mit Vertretern der Mitgliedstaaten besetzten Komi-tologieausschuss mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt. Im Falle einer Zustimmung muss die Kommission die Maßnahmen wie vorgelegt erlassen. Wird mangels Erreichen des Quorums kein Beschluss gefasst, kann die Kommission ihren Entwurf grundsätzlich beschließen. Bei ablehnender Stellungnahme des Ausschusses oder fehlender Zustimmung kann die Kommission einen neuen Entwurf im Prüfausschuss vorlegen oder einen Berufungsausschuss mit dem ursprünglichen Entwurf befassen.

Der Berufungsausschuss ist zweite Instanz im Prüfverfahren. Die Befassung des Berufungsausschusses soll der Kompromissfindung zwischen Kommission und Vertretern der Mitgliedstaaten dienen, wenn im Prüfausschuss kein Ergebnis zu erzielen ist. Gibt der Berufungsausschuss eine positive Stellungnahme ab, beschließt die Kommission den Durchführungsrechtsakt. Sie kann dies auch tun, wenn der Berufungsausschuss keine Stellungnahme abgibt.

Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Union

Eine Union, die sich als Rechtsgemeinschaft versteht, muss den Rechtsunterworfenen ein vollständiges und wirksames Rechtsschutzsystem zur Verfügung stellen. Das Rechtsschutzsystem der EU entspricht dieser Forderung. Es anerkennt das Recht des Einzelnen auf einen effektiven gerichtlichen Schutz derjenigen Rechte, die sich aus der Rechtsordnung der EU herleiten. Dieser in Artikel 47 Grundrechtecharta kodifizierte Schutz gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 6 und Artikel 13 EMRK) ergeben. Er wird von der Gerichtsbarkeit der EU (mit dem Gerichtshof und dem Gericht) garantiert (Artikel 19 Absatz 1 EU-Vertrag). Hierzu steht eine Reihe von Verfahren zur Verfügung, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

Vertragsverletzungsverfahren (Artikel 258 AEU-Vertrag)

Dieses Verfahren dient der Feststellung, ob ein Mitgliedstaat gegen Verpflichtungen, die ihm das Unionsrecht auferlegt, verstoßen hat. Es wird ausschließlich vor dem Gerichtshof der EU durchgeführt. Im Hinblick auf den schwerwiegenden Charakter dieses Vorwurfs muss vor der Anrufung des Gerichtshofs ein Vorverfahren durchgeführt werden, in welchem dem betreffenden Mitgliedstaat die Möglichkeit gegeben wird, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Führt dieses Verfahren nicht zur Klärung der Streitfragen, so kann entweder die Kommission (Artikel 258 AEU-Vertrag) oder aber ein Mitgliedstaat (Artikel 259 AEU-Vertrag) Klage wegen Vertragsverletzung beim Gerichtshof erheben. In der Praxis liegt die Initiative zumeist bei der Kommission. Der Gerichtshof untersucht den Streitfall und stellt fest, ob eine Vertragsverletzung vorliegt oder nicht. Im Falle der Feststellung eines Vertragsverstoßes ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, den festgestellten Mangel unverzüglich abzustellen. Kommt der betreffende Mitgliedstaat diesem Urteil nicht nach, so besteht für die Kommission die Möglichkeit, gegenüber einem vertragsuntreuen Mitgliedstaat, der bereits ein Urteil des Gerichtshofs unbeachtet gelassen hat, in einem Zweiturteil die Zahlung eines Pauschalbetrags und/oder Zwangsgelder zu erwirken (Artikel 260 AEU-Vertrag). Die fortdauernde Nichtbeachtung eines Vertragsverletzungsurteils des Gerichtshofs hat danach durchaus erhebliche finanzielle Folgen für einen vertragsuntreuen Mitgliedstaat.

Nichtigkeitsklage (Artikel 263 AEU-Vertrag)

Die Nichtigkeitsklage (auch Anfechtungs- oder Aufhebungsklage genannt) eröffnet die Möglichkeit einer objektiven richterlichen Kontrolle der Handlungen der Unionsorgane (abstrakte Normenkontrolle) und eröffnet den Einzelnen, wenngleich mit gewissen Einschränkungen, den Zugang zur Gerichtsbarkeit der EU (Garantie individuellen Rechtsschutzes).

Zu den angreifbaren Handlungen zählen alle Maßnahmen der Unionsorgane, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, welche die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen. Als Kläger kommen neben den Mitgliedstaaten, dem Parlament, dem Rat und der Kommission auch der Rechnungshof, die EZB und der Europäische Ausschuss der Regionen in Betracht, soweit sie die Verletzung der ihnen eingeräumten Rechte geltend machen.

Dagegen können Unionsbürger und Unternehmen Nichtigkeitsklagen nur gegen Entscheidungen erheben, die gegen sie selbst ergangen sind, oder gegen solche Entscheidungen, die, obwohl an andere Personen gerichtet, sie unmittelbar und individuell betreffen. Die Voraussetzung des individuellen Betroffenseins gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dann als erfüllt, wenn eine Person in einer Weise individualisiert ist, die sie aus dem Kreis der anderen Wirtschaftsteilnehmer heraushebt. Mit dem Kriterium der „Unmittelbarkeit“ soll sichergestellt werden, dass es erst dann zur Anrufung des Gerichtshofs bzw. Gerichts kommt, wenn sowohl die Art der Beeinträchtigung der Rechtstellung des Klägers als auch ihre Verwirklichung mit Sicherheit feststehen. Das Kriterium der „Individualität“ soll daneben die sogenannte „Popularklage“ ausschließen.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde darüber hinaus eine weitere Kategorie von Handlungen eingeführt, gegen die eine Nichtigkeitsklage unmittelbar auch von natürlichen und juristischen Personen erhoben werden kann. Danach besteht eine Klagebefugnis für natürliche und juristische Personen auch gegenüber „Rechtsakten mit Verordnungscharakter“, soweit diese Rechtsakte den Kläger „unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“. Mit dieser neuen Kategorie wird eine bereits vom Gericht in der Rechtssache Jégo-Quéré aufgezeigte „Rechtsschutzlücke“ geschlossen, da bisher gerichtlicher Schutz in den Fällen nicht gewährleistet war, in denen ein Wirtschaftsteilnehmer zwar unmittelbar von einer EU-Rechtshandlung betroffen war, deren Rechtmäßigkeit sich aber mit den dafür zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen nicht überprüfen lassen konnte: Die Anfechtung im Rahmen der Nichtigkeitsklage (Artikel 263 AEU-Vertrag) scheiterte bisher am Fehlen der individuellen Betroffenheit; das Vorabentscheidungsverfahren (Artikel 267 AEU-Vertrag) konnte wegen Fehlens einer nationalen Durchführungsmaßnahme nicht zur Anwendung kommen (außer in einem etwaigen Strafverfahren wegen Nichtbefolgung der unionsrechtlichen Pflichten durch den Wirtschaftsteilnehmer, was aber außer Betracht bleiben muss, weil dem Wirtschaftsteilnehmer nicht zugemutet werden kann, die Rechtmäßigkeitsüberprüfung durch ein rechtswidriges Verhalten herbeizuführen); die Schadensersatzklage konnte schließlich ohnehin nicht zu einer die Interessen des Rechtsbürgers befriedigenden Lösung führen, da sich mit ihr auch ein rechtswidriger Rechtsakt nicht aus der EU-Rechtsordnung entfernen lässt.

Dadurch, dass Artikel 263 Absatz 4 AEU-Vertrag für die Anfechtbarkeit der Rechtsakte mit Verordnungscharakter auf das „individuelle Betroffensein“ verzichtet und stattdessen nur ein unmittelbares Betroffensein und das Fehlen nationaler Durchführungsmaßnahmen verlangt, ist ein Teil dieser Lücke geschlossen worden.

Problematisch ist allerdings, was unter „Rechtsakten mit Verordnungscharakter“ zu verstehen ist. Teilweise werden in restriktiver Auslegung darunter nur solche Rechtsakte mit allgemeiner Geltung verstanden, die keine Gesetzgebungsakte sind, teilweise werden dagegen in extensiver Auslegung darunter alle Rechtsakte mit allgemeiner Geltung gefasst, darunter auch die Gesetzgebungsakte. Das Gericht hat sich in seinem Urteil in der Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami mit diesen beiden Ansätzen ausführlich befasst und ist aufgrund einer grammatikalischen, historischen und teleologischen Auslegung zu dem Schluss gelangt, dass als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ nur solche Rechtsakte mit allgemeiner Geltung anerkannt werden können, die keine Gesetzgebungsakte sind. Dazu gehören neben den delegierten Rechtsakten (vgl. Artikel 290 AEU-Vertrag) und den Durchführungsrechtsakten (vgl. Artikel 291 AEU-Vertrag) auch Richtlinien, soweit sie nach der Rechtsprechung unmittelbar gelten, sowie abstrakt-generelle Beschlüsse, jeweils soweit sie nicht im Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sind. Das Gericht geht damit eindeutig von einem engen Verständnis des Verordnungscharakters aus. In seinem Rechtsmittelurteil aus dem Jahr 2013 hat der Gerichtshof dieses Ergebnis bestätigt. Unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist dies zu bedauern, da die festgestellte Rechtsschutzlücke mit dem restriktiven Ansatz nur teilweise geschlossen werden kann.

Fischer in Berufskleidung, die auf einem Trawler an einem Fangnetz hantieren, inmitten zahlreicher Boote in einem Fischereihafen.

In der Rechtssache Jégo-Quéré beantragte ein Fischereiunternehmen, Teile einer Verordnung zum Schutz junger Seehechte für nichtig zu erklären. Konkret ging es um das Verbot der von Jégo-Quéré verwendeten Fischfangnetze mit einer geringen Maschenweite von 8 cm. Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, legte das Gericht den Begriff der „individuellen Betroffenheit“ extensiv aus und bejahte die Zulässigkeit der Klage. Der Gerichtshof folgte dem nicht. Die unmittelbare Belastung durch eine allgemein geltende Verordnung könne mit einer individuellen Betroffenheit nicht gleichgestellt werden.

Auch Handlungen der Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU, insbesondere der in großer Zahl eingesetzten Agenturen, können nunmehr auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden (Artikel 263 Absatz 5 AEU-Vertrag). Damit wird eine bisher nur notdürftig durch die Rechtsprechung geschlossene Rechtsschutzlücke beseitigt und auch im Primärrecht dem Umstand Rechnung getragen, dass diese Einrichtungen teilweise mit Befugnissen ausgestattet worden sind, die es ihnen ermöglichen, Handlungen vorzunehmen, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen, sodass auch gegenüber diesen Handlungen im Interesse eines lückenlosen Rechtsschutzsystems ein Rechtsweg eröffnet sein muss

Ist die Klage begründet, so erklären der Gerichtshof oder das Gericht die angefochtene Handlung mit Wirkung auch für die Vergangenheit für nichtig. In begründeten Fällen kann der Gerichtshof bzw. das Gericht die Nichtigkeitserklärung auf die Zeit von der Urteilsverkündung an beschränken. Zur Wahrung der Rechte und Interessen der Kläger werden diese allerdings von der Beschränkung der Wirkungen eines Nichtigkeitsurteils ausgenommen.

Untätigkeitsklage (Artikel 265 AEU-Vertrag)

Diese Klage ergänzt den Rechtsschutz gegenüber dem Parlament, dem Europäischen Rat, dem Rat, der Kommission und der EZB, indem sie die Möglichkeit einräumt, auch gegen ein rechtswidriges Unterlassen eines Unionsrechtsakts gerichtlich vorzugehen. Bevor die Klage jedoch erhoben werden kann, muss ein Vorverfahren durchgeführt werden, in dem der Kläger das betreffende Unionsorgan zum Tätigwerden auffordert. Gegenstand einer von den Organen angestrengten Klage ist der Antrag auf Feststellung, dass es das jeweilige Organ unter Verletzung des Vertrags unterlassen hat, einen Rechtsakt zu erlassen. Bei Unionsbürgern und Unternehmen ist der Gegenstand der Untätigkeitsklage darüber hinaus auf den Antrag beschränkt, festzustellen, dass ein an den Kläger zu richtender Rechtsakt, d. h. eine an den Kläger adressierte Entscheidung, von einem Unionsorgan unter Verletzung des Vertrags nicht erlassen worden ist. Mit dem abschließenden Urteil wird lediglich die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Unterlassens festgestellt. Dagegen sind der Gerichtshof und das Gericht nicht befugt, in ihrem Urteil eine Verpflichtung zum Erlass der erforderlichen Maßnahme auszusprechen. Die unterlegene Partei ist lediglich verpflichtet, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs bzw. Gerichts ergebenden Maßnahmen zu ergreifen (Artikel 266 AEU-Vertrag).

Schadensersatzklage (Artikel 268 und Artikel 340 Absatz 2 AEU-Vertrag)

Diese Klage gibt den Unionsbürgern und Unternehmen, aber auch den Mitgliedstaaten, denen infolge eines von Bediensteten der EU begangenen Fehlers ein Schaden entstanden ist, die Möglichkeit, vor dem Gerichtshof der EU den Ersatz dieses Schadens zu verlangen. Die Voraussetzungen der Haftung der EU sind in den Verträgen nur lückenhaft geregelt; sie bestimmen sich im Übrigen nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Diese sind vom Gerichtshof entwickelt worden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unterliegt die Schadensersatzpflicht der EU folgenden Voraussetzungen:

  1. rechtswidriges Handeln eines Unionsorgans oder eines Bediensteten der EU in Ausübung ihrer Amtstätigkeit. Rechtswidriges Handeln liegt vor, wenn gegen eine Norm des Unionsrechts, die dem Einzelnen, einem Unternehmen oder einem Mitgliedstaat Rechte verleiht oder zu ihrem Schutz erlassen wurde, in qualifizierter Weise verstoßen wird. Schutznormcharakter besitzen vor allem die Grundrechte und Grundfreiheiten des Binnenmarktes oder die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, aber auch jede andere, direkt anwendbare Rechtsnorm, die dem Unionsbürger subjektive Rechte verleiht. Hinreichend qualifiziert ist der Verstoß, wenn das handelnde Unionsorgan seine Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten hat. Der Gerichtshof stellt insbesondere ab auf die begrenzte Anzahl der durch die rechtswidrige Maßnahme betroffenen Personen und auf den Umfang des eingetretenen Schadens, der die Grenzen der für den jeweiligen Wirtschaftszweig normalen wirtschaftlichen Risiken übersteigen muss;
  2. Vorliegen eines Schadens;
  3. Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem entstandenen Schaden und der Handlung der Union;
  4. ein Verschulden aufseiten der handelnden Unionsorgane ist nicht erforderlich.

Beamtenklagen (Artikel 270 AEU-Vertrag)

Auch die im Rahmen des Dienstverhältnisses zwischen der EU und ihren Beamten bzw. deren Hinterbliebenen auftretenden Streitsachen können vor den Gerichtshof der EU gebracht werden. Zuständig für diese Klagen ist das Gericht.

Rechtsmittelverfahren (Artikel 256 AEU-Vertrag)

Das Verhältnis zwischen Gerichtshof und Gericht ist dergestalt geregelt worden, dass gegen alle Entscheidungen des Gerichts ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden kann. Dieses Rechtsmittel kann auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, sowie auf eine Verletzung des Unionsrechts durch das Gericht gestützt werden. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, so hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Bei Spruchreife kann er den Rechtsstreit selbst entscheiden; anderenfalls verweist er die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurück, das an die rechtliche Beurteilung des Gerichtshofs gebunden ist.

Vorläufiger Rechtsschutz (Artikel 278 und Artikel 279 AEU-Vertrag)

Die beim Gerichtshof bzw. beim Gericht eingereichten Klagen sowie die gegen Entscheidungen des Gerichts beim Gerichtshof eingelegten Rechtsmittel haben keine aufschiebende Wirkung. Als Ausgleich dafür besteht jedoch die Möglichkeit, beim Gerichtshof bzw. beim Gericht einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Handlung (Artikel 278 AEU-Vertrag) oder auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Artikel 279 AEU-Vertrag) zu stellen.

Die Begründetheit eines Antrags auf Erlass einstweiliger Maßnahmen wird in der Rechtsprechungspraxis nach folgenden drei Kriterien beurteilt:

  1. Erfolgsaussichten in der Hauptsache („fumus boni juris“): Die hinreichenden Erfolgsaussichten werden im Rahmen einer summarischen Vorprüfung der vom Antragsteller vorgebrachten Umstände beurteilt;
  2. Dringlichkeit der Anordnung: Die Dringlichkeit beurteilt sich danach, ob die erwünschte Anordnung zur Abwendung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens aufseiten des Antragstellers erforderlich ist. Als Beurteilungskriterien dienen dabei die Art und Schwere des Rechtsverstoßes sowie seine konkreten und endgültigen nachteiligen Auswirkungen auf das Vermögen und die sonstigen rechtlich geschützten Güter des Antragstellers. Ein finanzieller Schaden wird grundsätzlich nur dann als schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden angesehen, wenn er im Falle des Obsiegens des Antragstellers im Hauptverfahren nicht vollständig ersetzt werden kann;
  3. Interessenabwägung: Die dem Antragsteller bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung drohenden Nachteile werden gegenüber dem Interesse der EU an der sofortigen Durchführung der Maßnahme sowie gegenüber den Nachteilen, die Dritte im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung erleiden, abgewogen.

Vorabentscheidungsverfahren (Artikel 267 AEU-Vertrag)

Im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens können sich die nationalen Gerichte an den Gerichtshof wenden. Das nationale Gericht kann, wenn es im Rahmen eines bei ihm anhängigen Rechtsstreits Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, dieses Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof die Frage vorlegen, ob der von den Unionsorganen erlassene Rechtsakt gültig ist und/oder wie dieser Rechtsakt und die Unionsverträge auszulegen sind. Der nationale Richter formuliert dabei eine Rechtsfrage, auf die der Gerichtshof in Form eines Urteils und nicht etwa in Form eines Gutachtens antwortet, womit bereits der verbindliche Charakter seines Richterspruchs auch äußerlich zum Ausdruck gebracht wird. Gleichwohl ist das Vorabentscheidungsverfahren nicht wie die anderen dargestellten Verfahren ein Streitverfahren zur Entscheidung eines Rechtsstreits, sondern es stellt nur einen Teil eines Gesamtverfahrens dar, das vor einem nationalen Gericht beginnt und auch dort endet.

Ziel dieses Verfahrens ist zunächst die Gewährleistung einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts und damit der Einheitlichkeit der Rechtsordnung der EU. Über diese Funktion der Wahrung der Rechtseinheit innerhalb der EU hinaus hat dieses Verfahren Bedeutung auch für den Individualrechtsschutz. Die Wahrnehmung der den nationalen Gerichten eingeräumten Möglichkeit, die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu überprüfen und im Falle der Unvereinbarkeit das vorrangig, unmittelbar geltende Unionsrecht anzuwenden, setzt voraus, dass Inhalt und Tragweite des Unionsrechts hinreichend klar umrissen sind. Diese Klarheit kann in der Regel nur über eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs hergestellt werden, sodass das Vorabentscheidungsverfahren auf diese Weise auch dem Unionsbürger die Möglichkeit bietet, sich gegen EU-rechtswidriges Handeln seines eigenen Mitgliedstaats zur Wehr zu setzen und das Unionsrecht vor den nationalen Gerichten durchzusetzen. Aufgrund dieser Doppelfunktion gleicht das Vorabentscheidungsverfahren die beschränkte direkte Klagemöglichkeit Privater beim Gerichtshof in gewissem Maße aus und erlangt damit für den Rechtschutz des Einzelnen zentrale Bedeutung. Der Erfolg dieses Verfahrens hängt letztendlich jedoch von der „Vorlagefreudigkeit“ der nationalen Richter und Gerichte ab.

Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens: Der Gerichtshof entscheidet zum einen über Fragen der Auslegung des Unionsrechts und übt zum anderen eine Gültigkeitskontrolle über die Rechtshandlungen der Unionsorgane aus. Bestimmungen des nationalen Rechts können nicht zum Gegenstand einer Vorabentscheidung gemacht werden. Der Gerichtshof ist im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens weder befugt, nationales Recht auszulegen noch seine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu beurteilen. Dies wird häufig in den Vorlagefragen, die an den Gerichtshof gerichtet werden, übersehen. Dort finden sich vielfach gezielte Fragen nach der Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift mit einer Unionsbestimmung, oder es wird nach der Anwendbarkeit einer bestimmten Unionsregelung in dem vor dem nationalen Gericht zur Entscheidung anhängigen Rechtsstreit gefragt. Diese an sich unzulässigen Vorlagefragen werden vom Gerichtshof nicht einfach zurückgewiesen, sondern werden in dem Sinne umgedeutet, dass das vorlegende Gericht im Kern oder im Wesentlichen um Kriterien für die Auslegung des einschlägigen Unionsrechts nachsucht, um anschließend selbst die Vereinbarkeit des entscheidungserheblichen nationalen Rechts mit dem Unionsrecht beurteilen zu können. Dabei geht der Gerichtshof in der Weise vor, dass er aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herausarbeitet, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen.

Vorlageberechtigung: Zur Vorlage berechtigt sind alle „Gerichte der Mitgliedstaaten“. Der Gerichtsbegriff ist dabei aus dem Unionsrecht heraus zu verstehen und stellt nicht auf die Bezeichnung, sondern auf die Funktion und Stellung einer Einrichtung im Rechtsschutzsystem der Mitgliedstaaten ab. Gerichte sind danach alle unabhängigen, d. h. nicht weisungsgebundenen Einrichtungen, die in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren Rechtsstreitigkeiten mit Rechtskraftwirkung zu entscheiden haben. Vorlageberechtigt sind demnach grundsätzlich auch die Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten oder auch streitentscheidende Stellen außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit, nicht jedoch die privaten Schiedsgerichte. Ob ein nationaler Richter von seinem Vorlagerecht Gebrauch macht, hängt von der Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Fragen für den Ausgangsrechtsstreit ab, über die der nationale Richter selbst entscheidet. Die Parteien des Rechtsstreits können nur Anregungen geben. Der Gerichtshof überprüft die Entscheidungserheblichkeit nur daraufhin, ob es sich um eine vorlagefähige Frage handelt, d. h., ob die gestellte Frage tatsächlich die Auslegung der Unionsverträge oder die Gültigkeit einer Handlung eines Unionsorgans betrifft, oder ob es sich um einen echten Rechtsstreit handelt, d. h., ob es sich nicht nur um hypothetische oder konstruierte Fragestellungen handelt, die den Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung zur Abgabe eines Rechtsgutachtens bewegen sollen. Eine Zurückweisung der Vorlagefragen durch den Gerichtshof aus diesen Gründen ist zwar die Ausnahme, da der Gerichtshof angesichts der besonderen Bedeutung der gerichtlichen Zusammenarbeit bei der Prüfung dieser beiden Gesichtspunkte eine gewisse Zurückhaltung übt. Gleichwohl zeigt gerade die jüngere Rechtsprechung, dass der Gerichtshof die Anforderungen an die Vorlagefähigkeit insoweit verschärft hat, als er die bereits früher erhobene Forderung nach einer hinreichend klaren und ergiebigen Erläuterung des tatsächlichen und rechtlichen Hintergrunds des Ausgangsverfahrens im Vorlagebeschluss sehr genau nimmt und sich bei Fehlen solcher Angaben für außerstande erklärt, eine sachgerechte Auslegung des Unionsrechts vorzunehmen, und das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückweist.

Vorlageverpflichtung: Zur Vorlage verpflichtet ist jedes Gericht, dessen Entscheidung mit Rechtsmitteln des nationalen Rechts nicht mehr angegriffen werden kann. Der Begriff des Rechtsmittels umfasst alle Rechtsbehelfe, mit denen eine von einem Gericht erlassene Entscheidung von einer übergeordneten Gerichtsinstanz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (z. B. Berufung) oder auch nur in rechtlicher Hinsicht (z. B. Revision) überprüft werden kann. Nicht erfasst werden hingegen ordentliche Rechtsbehelfe mit begrenzten und spezifischen Auswirkungen (z. B. Wiederaufnahmeverfahren, Verfassungsbeschwerde). Das zur Vorlage verpflichtete Gericht kann nur dann von einer Vorlage absehen, wenn die Vorlagefrage für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich ist, vom Gerichtshof bereits entschieden ist oder kein vernünftiger Zweifel an der Auslegung einer Unionsrechtsvorschrift möglich ist. Eine uneingeschränkte Vorlagepflicht besteht hingegen, wenn ein nationales Gericht von der Ungültigkeit eines Unionsrechtsakts ausgehen will. Der Gerichtshof hat insoweit unmissverständlich festgestellt, dass ihm allein das Verwerfungsmonopol für rechtswidriges Unionsrecht zusteht. Die nationalen Gerichte haben deshalb bis zu einer Ungültigkeitsfeststellung des Gerichtshofs das Unionsrecht anzuwenden und zu respektieren. Eine Besonderheit gilt für Gerichte, die im Rahmen eines Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes tätig werden. Sie sind nach der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen befugt, die Vollziehung eines auf einer Unionsverordnung beruhenden nationalen Verwaltungsakts auszusetzen oder zur vorläufigen Gestaltung streitiger Rechtspositionen oder -verhältnisse unter Außerachtlassung einer bestehenden Unionsregelung einstweilige Anordnungen zu treffen.

Eine Verletzung der Vorlagepflicht stellt zugleich eine Verletzung der Unionsverträge dar, die dem betreffenden Mitgliedstaat zugerechnet wird und somit im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens sanktioniert werden kann. Die praktischen Wirkungen eines solchen Vorgehens sind allerdings sehr beschränkt, da die Regierung des betreffenden Mitgliedstaats einer eventuellen Verurteilung durch den Gerichtshof nicht Folge leisten kann, weil sie im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Gerichte und des Gewaltenteilungsprinzips dem nationalen Gericht keine Anweisungen erteilen kann. Erfolgversprechender ist seit der Anerkennung der unionsrechtlichen Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts (siehe dazu den Abschnitt „Die Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts“) die Möglichkeit des Einzelnen, vom betreffenden Mitgliedstaat den Ersatz der möglicherweise aus der Verletzung der Vorlagepflicht erwachsenden Schäden zu verlangen.

Wirkungen der Vorabentscheidung: Die Vorabentscheidung, die in Form eines Urteils ergeht, bindet zunächst das vorlegende Gericht und alle anderen Gerichte, die mit der betreffenden Streitsache befasst werden. Darüber hinaus kommt den Vorabentscheidungen in der Praxis eine erhebliche Präjudizwirkung auch für andere, ähnliche Verfahren zu.

Die Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts

Die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die dem Einzelnen durch eine dem Staat zuzurechnende Verletzung des Unionsrechts entstanden sind, wurde vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. März 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-46/93, Brasserie du pêcheur, und C-48/93, Factortame, dem Grundsatz nach festgestellt. Dieses Haftungsurteil ist ein Grundsatzurteil, das von seiner Bedeutung in einer Reihe mit den frühen Urteilen des Gerichtshofs zum Vorrang des Unionsrechts, zur unmittelbaren Wirkung der Bestimmungen des Unionsrechts und zur Anerkennung eigener Unionsgrundrechte steht. Es wird vom Gerichtshof selbst als „notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung, die den Unionsrechtsvorschriften zukommt, auf deren Verletzung der entstandene Schaden beruht“ bezeichnet und verstärkt erheblich die Möglichkeiten des Einzelnen, gegenüber den staatlichen Organen aller drei Gewalten (Exekutive, Legislative, aber auch Judikative) auf die Einhaltung und Anwendung des Unionsrechts zu dringen. Der Gerichtshof erweitert seine bereits im Urteil Francovich und Bonifaci eingeleitete Rechtsprechung. Während damals die Haftung der Mitgliedstaaten noch auf den Fall beschränkt war, dass den Einzelnen Schäden durch die nicht fristgerechte Umsetzung einer Richtlinie entstanden sind, die dem Einzelnen subjektive Rechte verleiht, aber keine unmittelbare Wirkung entfaltet, eröffnet dieses Urteil einen allgemeinen Haftungstatbestand, der jede dem Staat zurechenbare Verletzung des Unionsrechts erfasst.

Die Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts wird von drei Voraussetzungen geprägt, die im Wesentlichen denjenigen Haftungsvoraussetzungen entsprechen, denen die Union in einer vergleichbaren Situation unterliegt:

  1. Die Unionsrechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, muss bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.
  2. Der Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein, d. h., ein Mitgliedstaat muss die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten haben. Diese Beurteilung obliegt den nationalen Gerichten, die allein für die Feststellung des Sachverhalts und die Qualifizierung der betreffenden Verstöße gegen das Unionsrecht zuständig sind. Gleichwohl gibt der Gerichtshof in seinem Urteil Brasserie du pêcheur den nationalen Gerichten einige grundlegende Orientierungen vor. Danach
    gehören zu den Gesichtspunkten, die das zuständige Gericht gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen oder [Unions]behörden belässt, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, dass die Verhaltensweisen eines [Unions]organs möglicherweise dazu beigetragen haben, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in rechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden. Jedenfalls ist ein Verstoß gegen das [Unions]recht offenkundig und qualifiziert, wenn er trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, oder eines Urteils im Vorabentscheidungsverfahren oder aber einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestanden hat.“
  3. Es muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Mitgliedstaat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden bestehen. Ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit), das über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht hinausgeht, wird nicht verlangt.

Der Gerichtshof lässt keinen Zweifel daran, dass die entwickelten Haftungsgrundsätze auch für die dritte Gewalt, d. h. für die Gerichte, gelten. Ihre Urteile sind nunmehr nicht allein im Instanzenzug überprüfbar, sondern – soweit sie unter Missachtung oder Verletzung von Normen des Unionsrechts zustande gekommen sind – darüber hinaus im Rahmen eines vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten auszutragenden Schadensersatzprozesses. In diesem Verfahren müssen im Rahmen der Feststellung der Verletzung des Unionsrechts durch das fragliche Urteil auch die materiellen, das Unionsrecht betreffenden Fragen erneut überprüft werden, ohne dass sich das zuständige Gericht auf etwaige Bindungswirkungen des fachgerichtlichen Urteils zurückziehen könnte. Ansprechpartner für etwaige Fragen der Auslegung und/oder Gültigkeit der fraglichen Unionsrechtsnormen oder auch der Unionsrechtsverträglichkeit der nationalen Haftungsregelungen wäre für die zuständigen nationalen Gerichte wiederum der Gerichtshof, der im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens (Artikel 267 AEU-Vertrag) befasst werden kann. Die Haftung für richterliches Unrecht wird allerdings die Ausnahme bleiben. Angesichts der strengen Haftungsvoraussetzungen kommt eine Haftung letztlich nur dann in Betracht, wenn sich ein Gericht willkürlich über geltendes Unionsrecht hinwegsetzt oder, wie im Fall Köbler, ein letztinstanzliches Gericht unter Missachtung des Unionsrechts eine für den Unionsbürger nachteilige Entscheidung rechtskräftig festschreibt, ohne den Gerichtshof zuvor um Klärung der für die Entscheidung erheblichen unionsrechtlichen Rechtslage ersucht zu haben. Im letzteren Fall verlangt der Schutz der Rechte des Unionsbürgers, der sich auf Unionsrecht beruft, zwingend, dass der dem Unionsbürger durch ein letztinstanzliches Gericht verursachte Schaden ersetzt wird.

Die Einordnung des Unionsrechts im Gesamtsystem des Rechts

Nach allem, was wir über die Struktur der EU und ihre Rechtsordnung kennengelernt haben, ist es nicht ganz einfach, dem Unionsrecht seinen Platz im Gesamtsystem des Rechts zuzuweisen und Grenzlinien zu anderen Rechtsordnungen zu ziehen. Zwei Versuche der Einordnung sind von vornherein zu verwerfen: Ebenso wenig wie das Unionsrecht als bloßes Bündel zwischenstaatlicher Abmachungen zu begreifen ist, kann man es als Teil oder Anhängsel nationaler Rechtsordnungen werten.

Die Eigenständigkeit der Rechtsordnung der Europäischen Union

Die Mitgliedstaaten haben durch die Gründung der EU ihre Gesetzgebungshoheit beschränkt und eine eigenständige Rechtsordnung geschaffen, die für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist und von ihren Gerichten anzuwenden ist.

Diese Feststellungen hat der Gerichtshof in der berühmten und bereits vorgestellten Rechtssache aus dem Jahr 1964, Costa/ENEL, getroffen, in der sich Herr Costa gegen die Verstaatlichung der italienischen Elektrizitätserzeugung und -versorgung und die damit verbundene Übertragung der Betriebsanlagen der Elektrizitätsgesellschaften auf die Elektrizitätswerke ENEL wandte.

Die Eigenständigkeit der Rechtsordnung der EU ist für den Bestand der EU von grundlegender Bedeutung, da nur durch sie die Aushöhlung des Unionsrechts durch nationales Recht verhindert und die einheitliche Geltung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden kann. So werden aufgrund der Eigenständigkeit der Rechtsordnung der EU die unionsrechtlichen Begriffe grundsätzlich nach den Erfordernissen des Unionsrechts und den Zielen der Union bestimmt. Diese unionsspezifische Festlegung der Begriffe ist unerlässlich, da die unionsrechtlich garantierten Rechte in Gefahr wären, wenn jeder Mitgliedstaat über die Festlegung der Begriffsinhalte den Anwendungsbereich der unionsrechtlich garantierten Freiheiten letztendlich selbst bestimmen könnte. Als Beispiel hierfür kann etwa der Begriff des „Arbeitnehmers“ angeführt werden, der die Tragweite des Freizügigkeitsrechts bestimmt. Mit seinem unionsspezifischen Inhalt kann der Arbeitnehmerbegriff durchaus von den in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verwendeten und bekannten Begriffen abweichen. Auch ist Prüfungsmaßstab für die Unionsrechtsakte ausschließlich das Unionsrecht selbst, nicht aber das nationale Gesetzes- und Verfassungsrecht.

Wie aber ist vor dem Hintergrund dieser Selbstständigkeit der Rechtsordnung der EU das Verhältnis vom Unionsrecht zum nationalen Recht zu beschreiben?

Auch wenn das Unionsrecht eine gegenüber den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten eigenständige Rechtsordnung darstellt, darf man sich dies jedoch nicht so vorstellen, dass sich die Rechtsordnung der EU und die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wie Schichten des Erdgesteins überlagern. Gegen eine solch starre Abgrenzung dieser Rechtsordnungen spricht zum einen, dass sie dieselben Menschen betreffen, die damit zu Staatsbürgern und Unionsbürgern in einer Person werden, zum anderen ließe eine solche Betrachtungsweise unberücksichtigt, dass das Unionsrecht nur dann lebendiges Recht werden kann, wenn es in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen wird. In Wahrheit sind die Rechtsordnung der EU und die nationalen Rechtsordnungen miteinander verzahnt und wechselseitig aufeinander angewiesen.

Das Zusammenwirken von Unionsrecht und nationalem Recht

Dieser Aspekt des Verhältnisses von Unionsrecht zum nationalen Recht umfasst diejenigen Beziehungen, in denen sich das Unionsrecht und das nationale Recht gegenseitig ergänzen. Artikel 4 Absatz 3 EU-Vertrag umschreibt diese Beziehung sehr anschaulich mit den Worten:

„Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.

Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben.

Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.“

Dieser allgemeine Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit wurde in dem Bewusstsein formuliert, dass die Rechtsordnung der EU allein nicht in der Lage ist, die mit der Gründung der EU verfolgten Ziele zu verwirklichen. Anders als die nationalen Rechtsordnungen bildet die Rechtsordnung der EU kein in sich geschlossenes System, sondern sie bedarf zu ihrer Durchführung des Unterbaus nationaler Rechtsordnungen. Alle staatlichen Organe – Gesetzgebung, Regierung (einschließlich der Verwaltung), Gerichtsbarkeit – müssen deshalb zu der Erkenntnis gelangen, dass die Rechtsordnung der EU ihnen nicht als etwas „Auswärtiges“ oder „Fremdes“ gegenübersteht, sondern dass die Mitgliedstaaten und Unionsorgane zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele als ein untrennbares Ganzes solidarisch zusammengehören. Die EU ist damit nicht nur eine Interessengemeinschaft, sondern vor allem auch eine Solidargemeinschaft. Daraus folgt, dass die Unionsverträge und die zu ihrer Durchführung von Unionsorganen erlassenen Rechtsvorschriften von den Behörden der Mitgliedstaaten nicht nur beachtet, sondern auch durchgeführt und mit Leben erfüllt werden müssen. Dieses Zusammenwirken des Unionsrechts und des nationalen Rechts ist so vielgestaltig, dass es hier nur anhand einiger wichtiger Beispiele verdeutlicht werden kann.

Ausdruck der engen Verbindung und Ergänzung der Rechtsordnung der EU durch die nationalen Rechtsordnungen und umgekehrt der nationalen Rechtsordnungen durch die Rechtsordnung der EU ist zunächst das System der Richtlinie, das uns bereits bei den Rechtshandlungen begegnet ist. Während die Richtlinie selbst nur das zu erreichende Ergebnis in einer für die Mitgliedstaaten verbindlichen Form festlegt, bleibt es den innerstaatlichen Stellen, d. h. dem nationalen Recht, überlassen, in welcher Form und mit welchen Mitteln dieses Ziel verwirklicht wird. Im Bereich der Gerichtsbarkeiten wird eine enge Verbindung durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 267 AEU-Vertrag hergestellt. In diesem Verfahren können (müssen) die nationalen Gerichte dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung und Gültigkeit des Unionsrechts zur Vorabentscheidung vorlegen, die in den bei ihnen anhängigen Verfahren entscheidungserheblich sein können. Das Vorabentscheidungsverfahren verdeutlicht zum einen, dass auch die Gerichte der Mitgliedstaaten das Unionsrecht zu beachten und anzuwenden haben, und zum anderen, dass die Auslegung und die Beurteilung der Gültigkeit des Unionsrechts in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt. Die gegenseitige Abhängigkeit der Rechtsordnung der EU und der nationalen Rechtsordnungen zeigt sich schließlich auch dann, wenn es darum geht, Lücken in der Rechtsordnung der EU zu schließen. Dies geschieht etwa dadurch, dass das Unionsrecht zur Vervollständigung eigener Regeln auf die jeweils bereits in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestehenden rechtlichen Regelungen verweist. Das Schicksal einer unionsrechtlichen Regelung wird damit von einem bestimmten Punkt an von den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften bestimmt. Allgemein gilt dies für den gesamten Vollzug von Unionsrecht, sofern das Unionsrecht keine eigenen Regeln betreffend den Vollzug des Unionsrechts aufstellt. In allen diesen Fällen gehen die nationalen Behörden bei der Durchführung der Unionsregelungen nach den Bestimmungen des nationalen Rechts vor. Dieser Grundsatz gilt freilich nur insoweit, als dabei die Wirksamkeit der Unionsregelung nicht infrage gestellt und den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts Rechnung getragen wird, da in jedem Fall zu vermeiden ist, dass Wirtschaftsteilnehmer nach unterschiedlichen Maßstäben und damit ungerecht behandelt werden.

Kollision zwischen Unionsrecht und nationalem Recht

Das Verhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Recht ist aber auch dadurch gekennzeichnet, dass sich die Rechtsordnung der EU und die nationalen Rechtsordnungen gelegentlich „feindlich“ gegenüberstehen. Man spricht insoweit von einer Kollision zwischen Unionsrecht und nationalem Recht. Eine derartige Situation tritt immer dann auf, wenn eine Bestimmung des Unionsrechts für die Unionsbürger unmittelbare Rechte und Pflichten begründet und inhaltlich mit einer Norm des nationalen Rechts in Widerspruch steht. Hinter dieser scheinbar so einfachen Problemlage verbergen sich zwei Grundsatzfragen des Aufbaus der EU, deren Beantwortung zum Prüfstein der Existenz der Rechtsordnung der EU werden sollte: die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts und der Vorrang des Unionsrechts vor entgegenstehendem nationalem Recht.

Die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts im nationalen Recht

Die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts besagt, dass das Unionsrecht neben den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten auch den Unionsbürgern unmittelbar Rechte verleiht und Pflichten auferlegt.

Es ist eine der herausragenden Leistungen des Gerichtshofs, die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften des Unionsrechts gegen den anfänglichen Widerstand einiger Mitgliedstaaten durchgesetzt und damit die Existenz der Rechtsordnung der EU gesichert zu haben. Ausgangspunkt seiner Rechtsprechung war der bereits geschilderte Fall des niederländischen Transportunternehmens Van Gend & Loos, das sich vor einem niederländischen Gericht gegen die Erhöhung des niederländischen Zolls für die Einfuhr eines chemischen Erzeugnisses aus der Bundesrepublik Deutschland wehrte. Der Ausgang dieses Rechtsstreits hing letztlich von der Frage ab, ob sich auch der Einzelne gegenüber einem vertragswidrig erhobenen Zoll auf den früheren Artikel 12 EWG-Vertrag berufen konnte, der den Mitgliedstaaten die Einführung neuer und die Erhöhung bestehender Zölle im Gemeinsamen Markt ausdrücklich verboten hat. Der Gerichtshof hat sich gegen den Rat zahlreicher Regierungen und seines Generalanwalts unter Berufung auf die Natur und die Zweckbestimmung der Union grundsätzlich für die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften des Unionsrechts ausgesprochen. Zur Begründung führte der Gerichtshof aus,

dass die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung […] darstellt ..., eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen. Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch aufgrund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt.“

Mit dieser Aussage allein ist freilich noch nicht viel gewonnen, denn es bleibt dabei offen, welche Vorschriften des Unionsrechts unmittelbar anwendbar sind. Der Gerichtshof hat sich dieser Frage zunächst im Hinblick auf die Vorschriften des primären Unionsrechts angenommen und festgestellt, dass alle diejenigen Normen der Unionsverträge für den Einzelnen unmittelbar anwendbar sein können, die erstens unbedingt formuliert, zweitens in sich vollständig und rechtlich vollkommen sind und deshalb drittens zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit keiner weiteren Handlungen der Mitgliedstaaten oder der Unionsorgane bedürfen.

Dies wurde für Artikel 12 EWG-Vertrag bejaht, sodass auch das Unternehmen Van Gend & Loos aus dieser Vorschrift Rechte ableiten konnte, welche das niederländische Gericht zu wahren hatte und folgerichtig den vertragswidrig erhobenen Zoll für ungültig erklärte. Im Zuge dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit in der Folgezeit auch für weitere Vertragsvorschriften anerkannt, die für den Unionsbürger von weit größerer Bedeutung sind als Artikel 12 EWG-Vertrag. Hervorzuheben sind die Urteile, in denen es um die unmittelbare Anwendung der Freizügigkeit (Artikel 45 AEU-Vertrag), der Niederlassungsfreiheit (Artikel 49 AEU-Vertrag) und die Dienstleistungsfreiheit (Artikel 56 AEU-Vertrag) ging.

Für die Garantien der Freizügigkeit hat der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit in der Rechtssache van Duyn entschieden. Dieser Rechtssache lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Niederländerin van Duyn war im Mai 1973 die Genehmigung zur Einreise in das Vereinigte Königreich als damals noch EU-Mitgliedstaat versagt worden, weil sie als Sekretärin bei der „Church of Scientology“ arbeiten wollte, einer Schule, die vom britischen Innenministerium für „sozialgefährlich“ betrachtet wurde. Unter Berufung auf die Vorschriften des Unionsrechts über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erhob Frau van Duyn Klage vor dem High Court. Sie beantragte, der High Court möge feststellen, dass sie berechtigt sei, sich zur Ausübung unselbstständiger Arbeit im Vereinigten Königreich aufzuhalten, und einen Anspruch auf eine Erlaubnis zur Einreise in das Vereinigte Königreich habe. Auf diese Vorlage des High Court antwortete der Gerichtshof, dass Artikel 48 EWG-Vertrag (Artikel 45 AEU-Vertrag) unmittelbar anwendbar sei und damit auch Einzelpersonen ein Recht verleihe, das sie vor den Gerichten eines Mitgliedstaats geltend machen können.

Mit der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit wurde der Gerichtshof durch den belgischen Conseil d’État befasst. Dieser hatte sich mit einer von dem niederländischen Rechtsanwalt J. Reyners eingereichten Klage auseinanderzusetzen, in der dieser sich auf seine Rechte aus Artikel 52 EWG-Vertrag (Artikel 49 AEU-Vertrag) berief. Herr Reyners sah sich zu dieser Klage veranlasst, nachdem ihm – obwohl er die notwendigen belgischen Prüfungen absolviert hatte – die Zulassung als Rechtsanwalt in Belgien wegen seiner Ausländereigenschaft verweigert worden war. In seinem Urteil vom 21. Juni 1974 hat der Gerichtshof in dieser Rechtssache entschieden, dass eine Ungleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der Frage der Niederlassung nicht mehr beibehalten werden dürfe, da Artikel 52 EWG-Vertag seit dem Ablauf der Übergangszeit unmittelbar anwendbar sei und damit den Unionsbürgern das Recht einräume, auch in einem anderen Mitgliedstaat wie ein Inländer eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auszuüben. Herr Reyners musste aufgrund dieses Urteils zur belgischen Anwaltschaft zugelassen werden.

Dem Gerichtshof bot sich in der Rechtssache Van Binsbergen die Gelegenheit, auch die unmittelbare Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit ausdrücklich festzustellen. Es ging in diesem Verfahren u. a. um die Frage, ob eine niederländische Rechtsvorschrift, nach der vor einem Berufungsgericht nur in den Niederlanden ansässige Personen als Prozessbevollmächtigte auftreten können, mit den unionsrechtlichen Bestimmungen der Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist. Der Gerichtshof verneinte diese Frage mit der Begründung, dass alle Beschränkungen, denen der Unionsbürger aus Gründen seiner Staatsangehörigkeit oder seines Aufenthalts unterworfen würde, gegen Artikel 59 EWG-Vertrag (Artikel 56 AEU-Vertrag) verstießen und damit nichtig seien.

Von großer praktischer Bedeutung ist schließlich auch die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit des freien Warenverkehrs (Artikel 26 AEU-Vertrag), des Grundsatzes der Lohngleichheit für Männer und Frauen (Artikel 157 AEU-Vertrag), das allgemeine Diskriminierungsverbot (Artikel 45 AEU-Vertrag) und die Wettbewerbsfreiheit (Artikel 101 AEU-Vertrag).

Im Bereich des Sekundärrechts stellt sich die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit nur im Hinblick auf die Richtlinien und auf die an die Mitgliedstaaten gerichteten Beschlüsse, da diese Wirkung im Hinblick auf die Verordnungen und die an Einzelne gerichteten Beschlüsse bereits unmittelbar aus den Unionsverträgen folgt (Artikel 288 Absätze 2 und 4 AEU-Vertrag). Seit 1970 hat der Gerichtshof die Grundsätze über die unmittelbare Anwendbarkeit des primären Unionsrechts auch auf die Richtlinien und auf die an die Mitgliedstaaten gerichteten Beschlüsse (damals „Entscheidungen“) ausgedehnt.

Die Direktwirkung des Unionsrechts in der Form, wie sie vom Gerichtshof fruchtbar gemacht und ausgebaut worden ist, kann in ihrer praktischen Bedeutung kaum überschätzt werden: Sie verbessert die Stellung des Einzelnen, indem sie die Freiheiten des Binnenmarkts zu Rechten ausgestaltet, die von Einzelnen vor den nationalen Gerichten durchgesetzt werden können. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts wird damit gleichsam zu einer der Säulen der Rechtsordnung der EU.

Der Vorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht

Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Bestimmung des Unionsrechts führt zu einer zweiten, ebenso grundlegenden Frage. Was geschieht, wenn eine Vorschrift des Unionsrechts für die Unionsbürger unmittelbare Rechte und Pflichten begründet und inhaltlich zu einer Norm des nationalen Rechts in Widerspruch steht?

Ein solcher Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Recht ist nur zu lösen, wenn eine der beiden Rechtsordnungen zurücktritt. Das geschriebene Unionsrecht enthält insoweit keine ausdrückliche Regelung. In keinem der Unionsverträge ist etwa eine Vorschrift enthalten, die besagt, dass das Unionsrecht nationales Recht bricht oder dass es dem nationalen Recht nachsteht. Dennoch lässt sich die Kollision zwischen Unionsrecht und nationalem Recht nur dahin gehend lösen, dass dem Unionsrecht der Vorrang vor dem nationalen Recht eingeräumt wird und es damit alle nationalen Vorschriften, die von einer Unionsvorschrift abweichen, verdrängt und deren Platz in den nationalen Rechtsordnungen einnimmt. Denn was würde von der Rechtsordnung der EU bleiben, wollte man das Unionsrecht dem nationalen Recht unterordnen? Beinahe nichts! Die unionsrechtlichen Vorschriften könnten durch jedes beliebige innerstaatliche Gesetz aufgehoben werden. Von einer einheitlichen und gleichmäßigen Geltung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten könnte nicht mehr die Rede sein. Auch wäre es der EU unmöglich, die ihr von den Mitgliedstaaten übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die Funktionsfähigkeit der Union wäre infrage gestellt, und der von großen Hoffnungen getragene Aufbau einer europäischen Rechtsgemeinschaft wäre zerstört.

Ein solches Problem besteht nicht im Verhältnis Völkerrecht/staatliches Recht. Da das Völkerrecht erst durch den Akt der Inkorporation oder Transformation Bestandteil der staatlichen Rechtsordnungen wird, entscheidet sich die Frage des Vorrangs allein nach den Regeln des staatlichen Rechts. Je nach dem Rang, den das staatliche Recht dem Völkerrecht in der staatlichen Rechtsordnung zuweist, geht es dem Verfassungsrecht vor oder steht es im Range zwischen Verfassungsrecht und einfachem Gesetzesrecht oder hat es nur den Rang einfachen Gesetzesrechts. Das Verhältnis von gleichrangigem inkorporiertem oder transformiertem Völkerrecht und staatlichem Recht bestimmt sich nach der Regel, wonach das zeitlich später erlassene Recht das bis dahin bestehende Recht verdrängt („lex posterior derogat legi priori“). Diese staatlichen Kollisionsregeln sind hingegen auf das Verhältnis zwischen Unionsrecht und staatlichem Recht nicht anwendbar, weil das Unionsrecht nicht Bestandteil der staatlichen Rechtsordnungen ist. Ein Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Recht kann deshalb allein aus der Rechtsordnung der EU heraus gelöst werden.

Wieder war es der Gerichtshof, der angesichts dieser Folgen den für die Existenz der Rechtsordnung der EU unumgänglichen Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts gegen den Widerstand einiger Mitgliedstaaten durchgesetzt hat. Er hat damit der Rechtsordnung der EU neben der unmittelbaren Anwendbarkeit den zweiten Pfeiler errichtet, der diese Rechtsordnung letztlich zu einem tragfähigen Gebäude werden ließ.

In der bereits vorgestellten Rechtssache Costa/ENEL hat der Gerichtshof zwei für das Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht bedeutsame Feststellungen getroffen:

Erstens: Die Staaten haben Hoheitsrechte endgültig auf das von ihnen geschaffene Gemeinwesen übertragen, und spätere einseitige Maßnahmen wären mit dem Konzept des Unionsrechts unvereinbar.

Zweitens: Es ist ein Grundsatz des Vertrags, dass kein Mitgliedstaat die Eigenart des Unionsrechts antasten kann, im gesamten Bereich der Union einheitlich und vollständig zu gelten.

Aus alledem folgt: Unionsrecht, welches den Befugnissen der Verträge entsprechend gesetzt wurde, geht jedem entgegenstehenden Recht der Mitgliedstaaten vor. Es ist nicht nur stärker als das frühere nationale Recht, sondern entfaltet eine Sperrwirkung auch gegenüber später gesetztem Recht.

Im Ergebnis hat der Gerichtshof mit seinem Urteil Costa/ENEL zwar nicht die Verstaatlichung der italienischen Elektrizitätswirtschaft infrage gestellt, aber ganz entschieden den Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht festgestellt.

Als Rechtsfolge aus dieser Vorrangregel ergibt sich im Kollisionsfall, dass dem Unionsrecht widersprechendes nationales Recht unanwendbar wird und ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Unionsrecht unvereinbar wären.

An dieser Feststellung hat der Gerichtshof seitdem in ständiger Rechtsprechung festgehalten. In einem Punkt hat er sie freilich weiterentwickelt. Während er sich in dem eben genannten Urteil lediglich mit der Frage des Vorrangs des Unionsrechts vor innerstaatlichen Gesetzen zu befassen hatte, bestätigte er den Grundsatz des Vorrangs auch für das Verhältnis zwischen Unionsrecht und innerstaatlichem Verfassungsrecht. Die nationalen Gerichte sind der Auffassung des Gerichtshofs nach anfänglichem Zögern im Grundsatz gefolgt. In den Niederlanden konnten ohnehin keine Schwierigkeiten auftreten, da in der niederländischen Verfassung der Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Gesetzesrecht ausdrücklich niedergelegt ist (Artikel 65 bis 67). In den anderen Mitgliedstaaten ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ebenfalls gegenüber den einfachen nationalen Gesetzen von den nationalen Gerichten anerkannt worden. Der Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Verfassungsrecht, und hier vor allem vor den nationalen Grundrechtsgewährleistungen, stieß hingegen bei den Verfassungsgerichten Deutschlands und Italiens anfangs auf Widerstand. Dieser wurde erst aufgegeben, nachdem der Grundrechtsschutz in der Rechtsordnung der EU einen Standard erreicht hatte, der im Wesentlichen dem der nationalen Verfassungen entspricht. Gleichwohl blieben beim deutschen Bundesverfassungsgericht Vorbehalte gegenüber einer fortschreitenden Integration, die das Bundesverfassungsgericht vor allem in seinen Urteilen zum Vertrag von Maastricht und zuletzt zum Vertrag von Lissabon deutlich im Sinne einer „Ultra-vires-Kontrolle“ formuliert hat, wonach das Bundesverfassungsgericht für sich in Anspruch nimmt, zu prüfen, ob Rechtsakte der EU-Organe und Einrichtungen, wozu auch Urteile des EuGH gehören, sich in den Grenzen der eingeräumten Hoheitsbefugnisse halten oder aber eine vertragsausdehnende Auslegung der Verträge durch die Gerichtsbarkeit der EU vorliegt, die einer unzulässigen autonomen Vertragsänderung gleichkommt. Später hat das Bundesverfassungsgericht diese Ultra-vires-Kontrolle unter das Gebot der „Rücksichtnahme“ gestellt, wonach diese Kontrolle allein durch das Bundesverfassungsgericht (und nicht etwa auch durch andere nationale Gerichte) und nur zurückhaltend und europarechtsfreundlich ausgeübt werden darf. Dazu gehört vor allem, dass

  1. das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen des EuGH grundsätzlich als verbindliche Auslegung des Unionsrechts zu betrachten hat,
  2. vor der Annahme eines Ultra-vires-Aktes dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEU-Vertrag) die Gelegenheit zur Vertragsauslegung sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und Auslegung des fraglichen Rechtsaktes zu geben ist und schließlich
  3. die Kontrolle nur in Betracht kommt, wenn ersichtlich ist, dass Handlungen der Unionsorgane außerhalb der übertragenden Kompetenzen ergangen sind.

Bei diesem engmaschigen Netz an Bedingungen konnte eigentlich davon ausgegangen werden, dass ein solcher Fall eines Ultra-vires-Rechtsaktes eher theoretischer Natur bleiben würde. Allerdings hat uns die Wirklichkeit eines Besseren belehrt. In seinem Urteil zum Anleihenaufkaufprogramm der EZB vom 5. Mai 2020 hat das Bundesverfassungsgericht die Staatsanleihenkäufe der EZB als kompetenzwidrig und als Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz beanstandet. Ein zuvor vom Bundesverfassungsgericht im Wege der Vorabentscheidung beim Gerichtshof erbetenes Urteil zur EU-Rechtmäßigkeit des Anleihenaufkaufprogramms wird vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit der zur Durchführung des Ankaufprogramms ergangenen Rechtsakte „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“ qualifiziert und deshalb verworfen. Mit diesem Urteil geht das Bundesverfassungsgericht auf klaren Konfrontationskurs zum Gerichtshof und macht zugleich deutlich, dass es den Anwendungsvorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht, den es in einer früheren Entscheidung selbst noch als für das Funktionieren der EU unentbehrlich angesehen hat, von Fall zu Fall selbst prüfen will und auch nicht davor zurückschreckt, sich dabei über ein Urteil des Gerichtshofs in der Sache hinwegzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass beide Gerichte den durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil aufgerissenen Graben schon bald überbrücken können und zu einer loyalen Kooperation und gegenseitiger Rücksichtnahme zurückfinden, zumal das Bundesverfassungsgericht den Vorrang des EU-Rechts auch vor nationalem Verfassungsrecht nicht grundsätzlich infrage stellt, sondern das Gericht behält sich in bestimmten, sehr seltenen Fällen die Letztkontrolle vor. Anders ist dies jedoch nach einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts vom 7. Oktober 2021, in dem Teile des EU-Rechts für mit der polnischen Verfassung unvereinbar erklärt wurden. Nach Ansicht des polnischen Verfassungsgerichts verstoße der Versuch des EuGH, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, gegen die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Souveränität Polens. Der Gerichtshof hatte im März dieses Jahres festgestellt, dass EU-Recht Mitgliedstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht außer Acht zu lassen, selbst wenn es sich um Verfassungsrecht handelt. Konkret befürchteten die EU-Richterinnen und -Richter, dass das Verfahren zur Besetzung des Obersten Gerichts in Polen gegen EU-Recht verstoßen könnte. Dies hätte zur Folge, dass der Gerichtshof Polen zwingen könnte, Teile der umstrittenen Reform aufzuheben. Die Kommission hat nach diesem Urteil unverzüglich klargestellt, dass die Grundprinzipien der europäischen Rechtsordnung nicht zur Disposition der nationalen Gerichte, auch nicht der Verfassungsgerichte, stünden: EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht, auch nationalem Verfassungsrecht. Die Kommission hat sich alle Optionen offengehalten, von ihren Befugnissen gemäß den Verträgen Gebrauch zu machen und eine einheitliche Anwendung und die Integrität des EU-Rechts zu gewährleisten.

Feuerwehrbekleidung in einem Spind, bereit für einen Einsatz.

In der Rechtssache Pfeiffer u. a. hat der Europäische Gerichtshof im Jahr 2004 klargestellt, dass Rettungsassistenten in den Schutzbereich der Arbeitszeitrichtlinie fallen (Richtlinie 93/104/EG). Bereitschaftsdienste müssten in vollem Umfang bei der Berechnung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden berücksichtigt werden.

Die unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts

Zur Vermeidung eines unter Anwendung der Vorrangregel zu lösenden Normenkonflikts zwischen Unionsrecht und nationalem Recht müssen alle staatlichen Organe, die konkrete Rechtsanwendung oder Rechtsprechung betreiben, zunächst allerdings auf die unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts zurückgreifen.

Die Figur der unionsrechtskonformen Auslegung ist erst relativ spät durch den Gerichtshof anerkannt und in die Unionsrechtsordnung eingeführt worden. Nachdem der Gerichtshof zunächst nur auf Anfragen nationaler Gerichte es für „zweckmäßig“ erachtet hatte, eine einheitliche Auslegung nationaler Rechtsvorschriften im Anwendungsbereich einer Richtlinie „sicherzustellen“, wurde eine Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung erstmals im Jahr 1984 in der Rechtssache Von Colson und Kamann festgestellt. In diesem Fall ging es um die Feststellung der Höhe des Schadensersatzes für die Diskriminierung von Frauen bei der Einstellung. Während die deutsche Regelung dafür nur den Ersatz des Vertrauensschadens (insbesondere also die reinen Bewerbungskosten) vorsah, verlangte die Richtlinie 76/207/EWG, dass im nationalen Recht zur Durchsetzung der Chancengleichheit beim Zugang zum Beruf effektive Sanktionen verhängt werden. Da allerdings die Sanktion nicht weiter konkretisiert war, konnte die Richtlinie in diesem Punkt nicht für unmittelbar anwendbar erklärt werden, sodass ein Urteil drohte, das zwar die Unionsrechtswidrigkeit des nationalen Gesetzes feststellt, aber dem nationalen Gericht keine Grundlage geboten hätte, die nationale Vorschrift außer Acht zu lassen. Deshalb entschied der Gerichtshof, dass die nationalen Gerichte verpflichtet seien, die innerstaatlichen Zivilrechtsvorschriften so auszulegen und anzuwenden, dass eine effektive Sanktion einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährleistet ist. Eine bloß symbolische Entschädigung genüge den Anforderungen an eine wirksame Umsetzung der Richtlinie nicht.

Die rechtliche Grundlage für die unionsrechtskonforme Auslegung sieht der Gerichtshof in dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Artikel 4 Absatz 3 EU-Vertrag). Danach sind die Mitgliedstaaten gehalten, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem EU-Vertrag oder aus Handlungen der Unionsorgane ergeben, zu treffen. Hierzu gehört auch, dass die nationalen Stellen die Anwendung und Auslegung von innerstaatlichem Recht, das durch Unionsvorschriften überlagert wird, am Wortlaut und Zweck des Unionsrechts auszurichten haben (Pflicht zur Unionstreue – Rechtssache Pfeiffer u. a.). Für die nationalen Gerichte spiegelt sich hier zugleich auch ihre Rolle als europäische Gerichte im Sinne von Sachwalter für die korrekte Anwendung und Beachtung des Unionsrechts wider.

Eine besondere Form der unionsrechtskonformen Auslegung ist die richtlinienkonforme Auslegung. Danach sind die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinien verpflichtet. Rechtsanwender und Gerichte haben über die richtlinienkonforme Auslegung dazu beizutragen, dass dieser Verpflichtung in vollem Umfang durch den betreffenden Mitgliedstaat nachgekommen wird. Die richtlinienkonforme Auslegung dient der Herstellung von Richtlinienkonformität auf der Ebene der Rechtsanwendung und gewährleistet damit die einheitliche Auslegung und Anwendung von nationalem Umsetzungsrecht in allen Mitgliedstaaten. Es soll auf nationaler Ebene nicht das auseinanderdividiert werden, was durch die Richtlinie auf Unionsebene gerade erst angeglichen wurde.

Die unionsrechtskonforme Auslegung findet ihre Grenzen im eindeutigen Wortlaut der nationalen Vorschrift, der eine Auslegung nicht zulässt; auch unter der unionsrechtlichen Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung darf das nationale Recht nicht contra legem ausgelegt werden. Dies gilt auch in dem Fall einer ausdrücklichen Weigerung des nationalen Gesetzgebers, eine Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Ein dadurch hervorgerufener Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Recht kann nur über das Vertragsverletzungsverfahren (Artikel 258 und 259 AEU-Vertrag) gelöst werden.

Schlussbetrachtung

Welches Gesamtbild lässt sich nun von der Rechtsordnung der EU zeichnen?

Die Rechtsordnung der EU ist das eigentliche Fundament der Union und verleiht dieser den Charakter einer Rechtsgemeinschaft. Nur über den Weg der Schaffung neuen Rechts und seiner Bewahrung können die Ziele, die mit der Errichtung der EU verfolgt werden, verwirklicht werden. Die Rechtsordnung der EU hat dazu bereits Großes geleistet. Es ist nicht zuletzt dieser neuen Rechtsordnung zu verdanken, dass die im Wesentlichen offenen Grenzen, der hohe Waren- und Dienstleistungsaustausch, die Wanderung der Arbeitskräfte und die hohe Zahl der grenzüberschreitenden Unternehmensverflechtungen den Europäischen Binnenmarkt für 447 Millionen Menschen bereits zum Alltag haben werden lassen. Ein weiteres heute schon historisches Merkmal der Unionsrechtsordnung ist ihre friedensstiftende Kraft. Getragen von dem Ziel, Frieden und Freiheit zu wahren, ersetzt sie die Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung durch Regeln des Rechts, die sowohl die Einzelnen als auch die Mitgliedstaaten in eine Solidargemeinschaft einbinden. Die Unionsordnung wird damit zu einem wichtigen Instrument zur Friedenssicherung und Friedensgestaltung.

Die Rechtsordnung der EU und die von ihr getragene Rechtsgemeinschaft können nur überleben, wenn Einhaltung und Sicherung der Rechtsordnung gewährleistet sind. Garant dafür sind die beiden Eckpfeiler der Unionsrechtsordnung, die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts und der Vorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht. Diese beiden Grundsätze, deren Existenz und Aufrechterhaltung vom Gerichtshof mit großer Entschlossenheit verfochten werden, garantieren die einheitliche und vorrangige Geltung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten.

Bei aller Unvollkommenheit, die für die Unionsrechtsordnung ebenfalls kennzeichnend ist, bleibt der Beitrag, den die Unionsrechtsordnung zur Lösung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu leisten vermag, von unschätzbarem Wert.

Zitierte Rechtsprechung

Sämtliche Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union sind online abrufbar (www.eur-lex.europa.eu). EUR-Lex ermöglicht Ihnen darüber hinaus in 24 EU-Amtssprachen den kostenlosen Zugriff auf

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  • Vorarbeiten (Legislativvorschläge, Berichte, Grün- und Weißbücher usw.),
  • internationale Übereinkommen,
  • Zusammenfassungen der EU-Rechtsvorschriften, mit denen Rechtsakte in ihren politischen Kontext gesetzt werden.

Rechtsnatur und Vorrang des Unionsrechts

Rechtssache 26/62 – Van Gend & Loos – Slg. 1963, S. 1 (Rechtsnatur des Unionsrechts; Rechte und Pflichten des Einzelnen)

Rechtssache 6/64 – Costa/ENEL – Slg. 1964, S. 1251 (Rechtsnatur des Unionsrechts; unmittelbare Anwendbarkeit, Vorrang des Unionsrechts)

Rechtssache 14/83 – Von Colson und Kamann – Slg. 1984, S. 1891 (unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts)

Rechtssache C-213/89 – Factortame – Slg. 1990, S. I-2433 (unmittelbare Anwendbarkeit und Vorrang des Unionsrechts)

Verbundene Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 – Francovich und Bonifaci – Slg. 1991, S. I-5357 (Wirksamkeit des Unionsrechts, Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts, hier: Nichtumsetzung einer Richtlinie)

Verbundene Rechtssachen C-46/93 und C-48/93 – Brasserie du pêcheur und Factortame – Slg. 1996, S. I-1029 (Wirksamkeit des Unionsrechts; allgemeine Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts)

Verbundene Rechtssachen C-397/01 bis C-403/01  Pfeiffer u. a. – Slg. 2004, S. I-8835 (unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts)

Zuständigkeit der EU

Verbundene Rechtssachen 3, 4 und 6/76 – Kramer u. a.  – Slg. 1976, S. 1279 (Außenbeziehungen; völkerrechtliche Verpflichtungen; Zuständigkeit der EU)

Gutachten 2/91 – Slg. 1993, S. I-1061 (Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten)

Gutachten 2/94 – Slg. 1996, S. I-1759 (Beitritt der EG zur EMRK – fehlende Zuständigkeit)

Gutachten 2/13 – EU:C:2014:2454 (Unvereinbarkeit des EU-Beitrittsvertragsentwurfs zur EMRK mit EU-Recht)

Wirkungen der Rechtshandlungen

Rechtssache 2/74 – Reyners – Slg. 1974, S. 631 (unmittelbare Anwendbarkeit; Niederlassungsfreiheit)

Rechtssache 33/74 – Van Binsbergen – Slg. 1974, S. 1299 (unmittelbare Anwendbarkeit; Dienstleistungsverkehr)

Rechtssache 41/74 – Van Duyn – Slg. 1974, S. 1337 (unmittelbare Anwendbarkeit; Freizügigkeit)

Grundrechte

Rechtssache 29/69 – Stauder – Slg. 1969, S. 419 (Grundrechte; allgemeine Rechtsgrundsätze)

Rechtssache C-112/00 – Eugen Schmidberger – Slg. 2003, S. I-5659 (Freier Warenverkehr, Grundrechte)

Rechtsschutz

Rechtssache T-177/01, Jégo-Quéré et Cie/Kommission, Slg. 2002, II-2265 (Rechtsschutzlücke bei Rechtsakten mit unmittelbarer Wirkung, aber fehlenden individuellen Betroffenseins); anders der EuGH in seinem Rechtsmittelurteil C-263/02 P, Kommission/Jégo-Quéré et Cie, Slg. 2004, S. I-3425

Rechtssache T-18/10, Inuit Tapiriit Kanatami, Slg. 2010, S. II-5599 (Definition der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“); bestätigt vom EuGH in seinem Rechtsmittelurteil vom 3.10.2013, C-583/11 P.

ENDNOTEN

1 Diese Bezeichnung berührt nicht die Standpunkte zum Status und steht im Einklang mit der Resolution 1244 (1999) des VN-Sicherheitsrates und dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovos.

2 Der Rücktritt der „Kommission Santer“ im Jahr 1999 wurde durch die Verweigerung der Entlastung für die Haushaltsführung ausgelöst; das ebenfalls angestrengte Misstrauensvotum scheiterte, wenngleich relativ knapp.

3 Die Bevölkerungszahlen und die Berechnung können über folgenden Hyperlink abgerufen werden: https://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/voting-system/voting-calculator/.

4 Einzelheiten siehe im Abschnitt „Die Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts“.

Zu dieser Veröffentlichung

Sie finden die Veröffentlichung „Abc des EU-Rechts“ im Internet unter https://op.europa.eu/de/publications

Europäische Kommission
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Manuskript abgeschlossen im März 2023

Luxemburg: Amt für Veröffentlichung der Europäischen Union, 2023

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Prof. Dr. Klaus-Dieter Borchardt war bis zu seiner Pensionierung 2019 in verschiedenen Positionen in der Europäischen Kommission tätig, er ist Honorarprofessor an der Universität Würzburg und hat zahlreiche Publikationen zum Europarecht verfasst.