Europa in 12 Lektionen

Europa in 12 Lektionen

Europa in 12 Lektionen Ausgabe August 2017

Pascal Fontaine

von Pascal Fontaine

Welches Ziel hat die EU? Warum und wie wurde sie geschaffen? Wie funktioniert sie? Was hat sie bereits für ihre Bürgerinnen und Bürger erreicht, und welchen Aufgaben steht sie heute gegenüber?

Kann sich die EU im Zeitalter der Globalisierung erfolgreich mit anderen großen Wirtschaftsmächten messen und gleichzeitig ihre sozialen Standards wahren? Wie kann die Zuwanderung gesteuert werden? Welche Rolle wird Europa in den kommenden Jahren auf der Weltbühne spielen? Wo werden die Grenzen der EU verlaufen? Und wie sieht die Zukunft des Euro aus?

Dies sind nur einige der Fragen, die der EU-Experte Pascal Fontaine in dieser neuen Ausgabe (2017) seiner Broschüre Europa in 12 Lektionen erörtert. Pascal Fontaine war Assistent von Jean Monnet und Professor am Institut d’Études Politiques in Paris.

Die in dieser Veröffentlichung dargelegten Ansichten sind die des Verfassers und geben nicht zwangsläufig den offiziellen Standpunkt der Europäischen Kommission wieder.

Inhalt

  1. Warum brauchen wir die Europäische Union?
  2. Zwölf historische Schritte
  3. Erweiterung der EU und gute Nachbarschaft
  4. Wie funktioniert die EU?
  5. Was macht die EU?
  6. Der Binnenmarkt
  7. Der Euro
  8. Digitale Wirtschaft: Investitionen und Wachstum
  9. Was bedeutet es, Bürgerin oder Bürger der EU zu sein?
  10. Ein Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
  11. Die EU auf der weltpolitischen Bühne
  12. Welche Zukunft für Europa?
  13. Chronik der europäischen Einigung

Kapitel 1: Warum brauchen wir die Europäische Union?

Kapitel 1: Warum brauchen wir die Europäische Union?

DER ZWECK DER EU BESTEHT DARIN,

I. FRIEDEN

Zunächst war die Vorstellung von einem geeinten Europa nur ein Traum von Philosophen und Visionären. Erst später wurde daraus ein konkretes politisches Ziel. Victor Hugo beispielsweise konnte sich friedliche, vom humanistischen Denken inspirierte „Vereinigte Staaten von Europa“ vorstellen. Dieser Traum zerbrach, als zwei schreckliche Kriege den Kontinent in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verheerten.

Doch aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs erwuchs eine neue Hoffnung. Die Gegner des Totalitarismus waren entschlossen, den gegenseitigen Hass und die Rivalität in Europa zu beenden und einen dauerhaften Frieden zwischen den ehemals verfeindeten Völkern zu schaffen. Zwischen 1945 und 1950 begannen einige mutige Staatsmänner wie Robert Schuman, Konrad Adenauer, Alcide De Gasperi und Winston Churchill, die Bevölkerung ihrer Länder auf den Eintritt in ein neues Zeitalter vorzubereiten. In Westeuropa sollten neue Strukturen geschaffen werden, denen gemeinsame Interessen zugrunde lagen und die sich auf Verträge gründeten, die Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung aller Länder garantierten.

Der damalige französische Außenminister Robert Schuman griff einen ursprünglich von Jean Monnet entwickelten Gedanken auf und schlug am 9. Mai 1950 die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor. In Ländern, die noch kurz zuvor Krieg gegeneinander geführt hatten, sollte die Erzeugung von Kohle und Stahl einer gemeinsamen „Hohen Behörde“ unterstellt werden. Auf praktische, aber zugleich äußerst symbolträchtige Weise wurden nun kriegswichtige Rohstoffe zu Instrumenten der Versöhnung und des Friedens.

Heute herrscht Frieden in den Ländern der Europäischen Union, wo die Menschen in demokratischen Gemeinwesen leben, in denen Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte geachtet werden. Auch die Länder des ehemaligen Jugoslawien, die in den 1990er-Jahren noch gegeneinander Krieg führten, gehören heute entweder zur EU oder bereiten sich auf den Beitritt vor.

Dennoch sollte man Frieden nie für selbstverständlich halten. Während der jüngsten wirtschaftlichen und sozialen Krise sind in Europa populistische, extremistische und nationalistische Strömungen erstarkt, die die Demokratie und den europäischen Einigungsprozess bedrohen. Viele Bewegungen, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, stehen den derzeitigen Institutionen skeptisch gegenüber. Es muss sich zeigen, ob neues Wirtschaftswachstum, ermöglicht durch gemeinsame Lösungsansätze, diese Spannungen abbauen kann.

II. DIE VEREINIGUNG EUROPAS

Die Europäische Union unterstützte die Wiedervereinigung Deutschlands nach dem Mauerfall 1989. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 konnten die Länder Mittel- und Osteuropas, die jahrzehntelang das Leben hinter dem „Eisernen Vorhang“ hatten erdulden müssen, ihren künftigen Weg wieder selbst bestimmen. Viele beschlossen, sich der Familie der demokratischen Nationen Europas anzuschließen. Acht von ihnen traten 2004 der EU bei, zwei weitere folgten 2007, und 2013 kam Kroatien als weiteres Mitglied hinzu. Auch die Mittelmeerländer Zypern und Malta gehören seit 2004 zur Europäischen Union.

Der Prozess der EU-Erweiterung ist noch nicht abgeschlossen. Sieben Länder befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Vorbereitung auf ihren möglichen Beitritt. Die schwierige Wirtschaftslage in Europa macht jedoch eine EU-Erweiterung in absehbarer Zeit unwahrscheinlich.

Gleichzeitig fand im Vereinigten Königreich im Juni 2016 eine Volksabstimmung statt, bei der eine Mehrheit für den Austritt des Landes aus der Europäischen Union votierte.

Am 29. März 2017 hat das Vereinigte Königreich dem Europäischen Rat gemäß Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union seine Absicht mitgeteilt hat, die Union zu verlassen. Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gemäß Artikel 50 haben am 19. Juni 2017 begonnen.

III. SICHERHEIT

Europa steht auch im 21. Jahrhundert noch vor erheblichen Sicherheitsproblemen.

In der südlichen Nachbarschaft hat der religiöse Fanatismus Zulauf und mündet oft in Terrorismus. Angesichts der Terroranschläge des sogenannten „Islamischen Staats“ in Europa haben die EU-Länder den Austausch von Informationen und Erkenntnissen intensiviert.

Im Osten verfolgt Russland unter der Führung Vladimir Putins eine Strategie der Machtausdehnung. Die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine sind Dramen, die sich vor der Haustür der EU abspielen. Vor allem die EU-Länder, die in der sowjetischen Zeit Erfahrung mit der Unterdrückung gesammelt haben, erwarten von der EU Solidarität mit der Ukraine.

Die Bürger erwarten, dass die EU wirksame Maßnahmen ergreift, um die Sicherheit ihrer Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Dazu muss sie konstruktiv mit den Regionen jenseits ihrer Grenzen zusammenarbeiten: mit dem Balkan, Nordafrika, dem Kaukasus und dem Nahen Osten. Darüber hinaus muss sie zum Schutz ihrer militärischen und strategischen Interessen mit ihren Verbündeten – insbesondere im Rahmen der NATO – zusammenarbeiten und eine echte gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln.

Innere und äußere Sicherheit sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität müssen die Polizeikräfte aller EU-Länder eng zusammenarbeiten. Die Suche nach gemeinsamen europäischen Lösungen in den Bereichen Asyl und Zuwanderung steht seit 2015 angesichts beispielloser Ströme von Flüchtlingen, die vor Krieg, Diktatur und Hunger fliehen, ganz oben auf der politischen Tagesordnung der EU.

Das Ziel, die EU zu einem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu entwickeln, in dem alle Bürgerinnen und Bürger gleichen Zugang zur Justiz und gleichen Schutz durch das Recht genießen, ist eine neue Herausforderung, die eine enge Zusammenarbeit der Regierungen erfordert. Eine aktive Rolle können dabei auch Einrichtungen wie Europol, die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung, und Eurojust übernehmen; Eurojust ist eine Einrichtung, die die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaften, Richtern und Polizeibehörden in verschiedenen EU-Staaten fördert.

IV. WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE SOLIDARITÄT

Die Europäische Union wurde gegründet, um politische Ziele zu verwirklichen; erreicht werden sollte dies zunächst auf dem Weg der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Auf die europäischen Länder entfällt inzwischen ein immer geringerer Anteil der Weltbevölkerung. Sie müssen daher weiterhin zusammenstehen, wenn sie für Wirtschaftswachstum sorgen und weltweit mit den anderen großen Volkswirtschaften konkurrieren wollen. Kein EU-Mitgliedstaat ist stark genug, um politische Entscheidungen von weltwirtschaftlicher Bedeutung zu beeinflussen. Um Größenvorteile nutzen und neue Kunden finden zu können, brauchen die europäischen Unternehmen eine breitere Grundlage als nur ihren heimischen Markt; der Europäische Binnenmarkt bietet ihnen diese Grundlage. Damit möglichst viele Menschen von diesem europaweiten Markt mit über 510 Millionen Verbrauchern profitieren können, bemüht sich die EU, Handelshemmnisse zu beseitigen und die Unternehmen von unnötigen bürokratischen Auflagen zu befreien.

Europaweiter freier Wettbewerb braucht jedoch als Gegengewicht europaweite Solidarität. Die Bürger Europas ziehen daraus einen konkreten Nutzen: Kommen sie beispielsweise durch Überschwemmungen oder andere Naturkatastrophen zu Schaden, so erhalten sie Unterstützung aus dem EU-Haushalt. Die von der Europäischen Kommission verwalteten Strukturfonds unterstützen und ergänzen die Maßnahmen der nationalen und regionalen Behörden der EU-Mitgliedstaaten zur Verringerung von Ungleichheiten zwischen verschiedenen Teilen Europas. In die Weiterentwicklung der europäischen Verkehrsinfrastruktur (beispielsweise in den Ausbau der Autobahnen und des Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsnetzes) fließen sowohl Mittel aus dem EU-Haushalt als auch Darlehen der Europäischen Investitionsbank; hierdurch werden abgelegene Regionen besser erschlossen und der transeuropäische Handel gefördert.

Die weltweite Finanzkrise 2008 führte zum dramatischsten Konjunktureinbruch in der Geschichte der EU. Die Regierungen und die EU-Institutionen mussten rasch handeln, um Banken zu retten, und für die am schlimmsten betroffenen Länder wurden Finanzhilfen bereitgestellt. Die Hilfsprogramme für Irland, Portugal, Spanien und Zypern haben sich bewährt, und die Länder konnten, nach häufig schwierigen nationalen Reformen, ihre Programme abschließen, die meisten 2014. Griechenland hatte größere Schwierigkeiten mit der Umsetzung der geforderten Strukturreformen im öffentlichen Sektor, und im Sommer 2015 mündeten schwierige Verhandlungen über die griechischen Staatsschulden in neue Vereinbarungen über Reformen in dem Land.

Trotz der besonderen Situation Griechenlands trug die Währungsunion dazu bei, den Euro während der Krise vor Spekulation und Abwertung zu schützen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten unternahmen konzertierte Anstrengungen, um die öffentliche Verschuldung zu verringern. Die große Herausforderung für die europäischen Länder besteht in den kommenden Jahren darin, die Rezession mit der Schaffung neuer, nachhaltiger Arbeitsplätze, vor allem im Bereich der digitalen und der grünen Technologien, zu überwinden.

Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission

Wirtschaftliche und soziale Solidarität ist eines der grundlegenden Ziele der Europäischen Union und der Kommission unter Jean-Claude Juncker.

V. EUROPÄISCHE IDENTITÄT UND VIELFALT IN EINER GLOBALISIERTEN WELT

Die postindustrielle Gesellschaft in Europa wird immer komplexer. Der Lebensstandard steigt fortlaufend, und dennoch besteht nach wie vor eine erhebliche Kluft zwischen Arm und Reich. Diese kann durch Faktoren wie Rezession, Verlagerung von Industriestandorten, Bevölkerungsalterung und Probleme der öffentlichen Haushalte noch größer werden. Um diese Herausforderungen in den Griff zu bekommen, müssen die EU-Länder zusammenarbeiten.

Zusammenarbeiten heißt jedoch nicht, dass die einzelnen Länder ihre jeweilige kulturelle und sprachliche Identität verlieren sollen. Im Gegenteil, viele Aktivitäten der EU fördern Wirtschaftswachstum, das sich auf einzigartige regionale Faktoren und die Vielfalt der Traditionen und Kulturen Europas stützt – von regionaler Gastronomie über den Tourismus bis hin zur Kunst. Digitale Technologien machen die kulturelle Vielfalt zu einem noch bedeutenderen Faktor, da sie den Vertrieb lokaler Kulturprodukte erleichtern.

Ein Kinderchor singt mit seiner Lehrerin.

In Vielfalt vereint: zusammen mehr erreichen.

65 Jahre europäischer Einigungsbemühungen haben gezeigt, dass die EU als Ganzes größer ist als die Summe ihrer Teile. In Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie, Handel und Politik ist sie wesentlich schlagkräftiger, als es einzelne Mitgliedstaaten je sein könnten. Gemeinsam zu handeln und mit einer Stimme zu sprechen ist ein großer Vorteil.

Andere Mächte wie China und die USA versuchen, die globalen Wirtschaftsregeln zu beeinflussen. Daher ist es für die Mitgliedstaaten der EU wichtiger denn je, gemeinsam aufzutreten und eine „kritische Masse“ zu bilden, damit sie ihren Einfluss auf globaler Ebene wahren können. Ein Beispiel dafür, wie dies in der Praxis geschieht, ist die Rolle der EU bei globalen Verhandlungen über Handelsregeln. Die EU-Länder haben sich auf zahlreiche Grundsätze und technische Vorschriften für den Alltag geeinigt, die vielen anderen Teilen der Welt als Vorbild dienen – etwa Standards für Sicherheit und Gesundheitsschutz, die Förderung erneuerbarer Energiequellen, das Vorsorgeprinzip bei der Lebensmittelsicherheit, ethische Aspekte neuer Technologien und vieles mehr. Außerdem nimmt die EU weiterhin eine Vorreiterrolle bei den weltweiten Anstrengungen zur Eindämmung der Erderwärmung ein.

Auch europäische Werte sind weltweit präsent in Form von EU-Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe durch die Europäische Union.

Der alte Leitspruch „Einigkeit macht stark“ hat somit für die Europäer von heute nichts an Gültigkeit eingebüßt.

VI. WERTE

Die EU fördert humanitäre und fortschrittliche Werte und setzt sich dafür ein, dass die Menschheit Nutznießer und nicht Opfer der großen globalen Veränderungen ist, die sich derzeit vollziehen. Die Bedürfnisse der Menschen lassen sich nicht ausschließlich durch das freie Spiel der Marktkräfte oder durch einseitige Maßnahmen einzelner Länder befriedigen.

Daher steht die EU für humanistische Werte und ein Gesellschaftsmodell, das von der großen Mehrheit ihrer Bürgerinnen und Bürger unterstützt wird. Die Europäer wollen die ihnen überlieferten Werte erhalten; dazu zählen die Menschenrechte, die gesellschaftliche Solidarität, das freie Unternehmertum und eine gerechte Verteilung des Wohlstands, das Recht auf eine geschützte Umwelt, die Achtung der kulturellen, sprachlichen und religiösen Vielfalt und eine ausgewogene Mischung aus Tradition und Fortschritt.

Die rechtsverbindliche Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde im Dezember 2000 in Nizza proklamiert. Darin sind alle Rechte verankert, die sämtliche EU-Mitgliedstaaten und ihre Bürger heute anerkennen. Gemeinsame Rechte und Werte erzeugen ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Europäern. Um nur ein Beispiel zu nennen: Alle EU-Länder haben die Todesstrafe abgeschafft.

Kapitel 2: Zwölf historische Schritte

Kapitel 2: Zwölf historische Schritte
  1. Am 9. Mai 1950 wurde in der Schuman-Erklärung die Errichtung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorgeschlagen, die mit dem Vertrag von Paris vom 18. April 1951 Realität wurde. Das war der Beginn des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl der sechs Gründerländer (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande). Ziel war es, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch gleichberechtigte Zusammenarbeit innerhalb gemeinsamer Institutionen den Frieden zwischen Siegern und Besiegten in Europa zu sichern.
  2. Am 25. März 1957 beschlossen die „Sechs“ mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge die Errichtung einer Europäischen Atomgemeinschaft und einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Letztere sollte zum Aufbau eines größeren gemeinsamen Marktes für eine breite Palette an Waren und Dienstleistungen führen. Die Zölle zwischen den sechs Ländern wurden am 1. Juli 1968 abgeschafft. Parallel dazu wurde in den 1960er-Jahren u. a. eine gemeinsame Handels- und Agrarpolitik entwickelt.
  3. Diese Maßnahmen waren so erfolgreich, dass sich Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich für einen Beitritt entschieden. Die erste Erweiterung – von sechs auf neun Mitgliedstaaten – erfolgte 1973. Gleichzeitig wurden eine gemeinsame Sozial- und eine gemeinsame Umweltpolitik eingeführt. 1975 wurde der Europäische Fonds für regionale Entwicklung errichtet.
Archivfoto von Robert Schuman bei seiner berühmten Erklärung in Paris am 9. Mai 1950

Am 9. Mai 1950 präsentierte der französische Außenminister Robert Schuman erstmals öffentlich seine Ideen, die später zur Europäischen Union führen sollten. Der 9. Mai wird daher als Europatag begangen.

  1. Ein entscheidender Schritt nach vorne waren im Juni 1979 die ersten allgemeinen Direktwahlen zum Europäischen Parlament. Diese Wahlen finden seitdem alle fünf Jahre statt.
  2. 1981 trat Griechenland den Gemeinschaften bei, Portugal und Spanien folgten 1986. Das geschah nach dem Fall der Diktaturen in allen drei Ländern. Diese Süderweiterung der Gemeinschaften machte die Durchführung regionaler Hilfsprogramme besonders dringlich.
  3. Der weltweite Konjunkturrückgang Anfang der 1980er-Jahre löste eine Welle der Euroskepsis aus. Neue Hoffnung keimte jedoch 1985, als die Europäische Kommission unter ihrem Präsidenten Jacques Delors ein Weißbuch mit einem Zeitplan zur Vollendung des Europäischen Binnenmarkts bis zum 1. Januar 1993 vorlegte. Dieses ehrgeizige Ziel wurde in der Einheitlichen Europäischen Akte verankert, die im Februar 1986 unterzeichnet wurde und am 1. Juli 1987 in Kraft trat.
  4. Mit dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 veränderte sich die politische Landschaft Europas grundlegend. In der Folge kam es zur Wiedervereinigung Deutschlands im Oktober 1990 und zur Demokratisierung der Länder Mittel- und Osteuropas, die sich von der Sowjetunion lossagten, bevor diese sich dann im Dezember 1991 auflöste.

    Zur gleichen Zeit verhandelten die Mitgliedstaaten über einen neuen Vertrag, der im Dezember 1991 in Maastricht von den Staats- und Regierungschefs angenommen wurde. Mit dem Vertrag von Maastricht, der am 1. November 1993 in Kraft trat, wurde die Europäische Union (EU) geschaffen und – in Bereichen wie Außenpolitik, Justiz und Inneres – die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in das gemeinschaftliche System eingeführt.

  5. 1995 traten drei weitere Länder – Finnland, Österreich und Schweden – der EU bei; damit stieg die Zahl ihrer Mitglieder auf 15. In dieser Zeit sah sich Europa bereits mit den zunehmenden Herausforderungen der Globalisierung konfrontiert. Neue Technologien und die immer stärkere Nutzung des Internets förderten die Modernisierung der Volkswirtschaften, erzeugten aber auch soziale und kulturelle Spannungen.

    Zeitgleich arbeitete die EU an ihrem bis dahin ehrgeizigsten Projekt – der Einführung einer gemeinsamen Währung, die für Unternehmen, Verbraucher und Reisende Erleichterungen bringen sollte. Am 1. Januar 2002 ersetzte der Euro die Währungen von zwölf EU-Mitgliedstaaten, die nun den „Euro-Raum“ bildeten. Der Euro ist seitdem weltweit zu einer der bedeutendsten Währungen geworden.

  6. Mitte der 1990er-Jahre begannen die Vorbereitungen für die bisher größte EU-Erweiterung. Beitrittsgesuche hatten gestellt: sechs ehemalige Ostblockländer (Bulgarien, Polen, Rumänien, die Slowakei, die Tschechische Republik und Ungarn), die drei baltischen Staaten, die Teil der Sowjetunion gewesen waren (Estland, Lettland und Litauen), eine aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangene Republik (Slowenien) und zwei Mittelmeerländer (Malta und Zypern).

    Die EU begrüßte diese Chance zur Stabilisierung des europäischen Kontinents und zur Ausweitung der Vorteile der europäischen Integration auf diese jungen Demokratien. Im Dezember 1997 wurden die Verhandlungen aufgenommen, und am 1. Mai 2004 schlossen sich zehn Kandidatenländer der EU an. Bulgarien und Rumänien folgten im Jahr 2007. Kroatien trat 2013 bei, womit sich die Zahl der EU-Mitglieder auf 28 erhöhte.

  7. Um die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen zu können, benötigte die erweiterte EU ein einfacheres und effizienteres Beschlussverfahren. In einem im Oktober 2004 unterzeichneten Entwurf einer EU-Verfassung, die an die Stelle aller bestehenden Verträge getreten wäre, wurden neue Regelungen vorgeschlagen. Dieser Text wurde jedoch 2005 in Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt.

    Anstelle der Verfassung wurde daher am 13. Dezember 2007 der Vertrag von Lissabon unterzeichnet, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat. Durch diesen Vertrag, der die meisten Änderungen enthält, die auch in der Verfassung vorgesehen waren, wurden die vorherigen Verträge nicht ersetzt, sondern geändert. Unter anderem erhielt der Europäische Rat einen ständigen Präsidenten, und es wurde das Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen.

Jubelnde Menschen feiern auf der Berliner Mauer am Tag ihres Falls.

Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 wurde die Teilung des europäischen Kontinents allmählich überwunden.

  1. Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 brachten eine Änderung in der institutionellen Praxis der EU: Die politischen Parteien schlugen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission vor. Anschließend nominierte der Europäische Rat, wie im Vertrag von Lissabon vorgesehen, den Kandidaten der Partei, die die meisten Sitze errungen hatte. Das war der Luxemburger Jean-Claude Juncker von der Europäischen Volkspartei. Er wurde von einer großen pro-europäischen Koalition im Europäischen Parlament, die auch die sozialistische und die liberale Fraktion umfasste, bestätigt.

    Die Wahlen 2014 brachten auch europaskeptischen Parteien Gewinne, die rund 100 der 751 Mandate erlangten. Diese Parteien stimmen häufig klar gegen die vorherrschende Mehrheitslinie in den EU-Institutionen, nehmen normalerweise eine skeptische Haltung zur EU-Integration ein und äußern sich lautstark zu Zuwanderungsfragen.

  2. 2008 entwickelte sich eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie zog die Schaffung neuer EU-Mechanismen nach sich, mit denen das Bankensystem stabilisiert, die Staatsverschuldung gesenkt und die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten – insbesondere der Euro-Länder – koordiniert werden sollten. Nach einer Reihe von Jahren tragen jetzt die Bemühungen um Strukturreformen und Verbesserungen bei den öffentlichen Haushalten erste Früchte in Form neuen Wirtschaftswachstums.

    Die Wirtschaftspolitiken im Euro-Raum werden stringenter unter Federführung der Kommission und des Rates, die jetzt über das Rechtsinstrumentarium verfügen, um die von den Mitgliedstaaten erzielten Vereinbarungen zur Sicherung gesunder öffentlicher Finanzen durchzusetzen. Die Europäische Zentralbank erhöht die Liquidität und hält die Zinsen auf sehr niedrigem Niveau. Über den Fonds für strategische Investitionen fördert die EU außerdem neue Investitionen, vor allem in öffentlich-private Partnerschaften.

Kapitel 3: Erweiterung der EU und gute Nachbarschaft

Kapitel 3: Erweiterung der EU und gute Nachbarschaft

I. BEITRITTSVORAUSSETZUNGEN

a) Rechtliche Anforderungen

Die europäische Integration war immer schon ein politischer und wirtschaftlicher Prozess, der allen europäischen Ländern offensteht, die zur Unterzeichnung der Verträge und zur Übernahme des gesamten EU-Rechts bereit sind. Gemäß Artikel 49 des Vertrags von Lissabon kann jeder beitrittswillige europäische Staat die EU-Mitgliedschaft beantragen, sofern er die Grundsätze der Freiheit und der Demokratie, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten sowie das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit achtet.

b) Die Kopenhagener Kriterien

Nachdem die früheren kommunistischen Länder ihr Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet hatten, legte der Europäische Rat 1993 drei Beitrittskriterien fest. Zum Zeitpunkt ihres Beitritts müssen die neuen Mitgliedstaaten Folgendes nachweisen:

c) Der Beitrittsprozess

Die Aufnahmegespräche („Beitrittsverhandlungen“) finden zwischen dem Kandidatenland und der Europäischen Kommission als Vertreterin der EU statt. Nach dem Abschluss dieser Gespräche müssen die im Rat vereinigten Mitgliedstaaten einstimmig die Aufnahme des neuen Landes in die EU beschließen. Auch das Europäische Parlament muss dem Beitritt – mit absoluter Mehrheit – zustimmen. Danach muss der Beitrittsvertrag von den Mitgliedstaaten und dem Kandidatenland nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Verfahren ratifiziert werden.

Während der Verhandlungsphase erhalten die Kandidatenländer normalerweise finanzielle „Heranführungshilfe“, damit sie ihren wirtschaftlichen Rückstand aufholen können. Außerdem bestehen in der Regel Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU. Im Rahmen dieser Abkommen überwacht die EU unmittelbar die Wirtschafts- und Verwaltungsreformen, die die Kandidatenländer durchführen müssen, um die Voraussetzungen für die EU-Mitgliedschaft zu erfüllen.

II. EIN KONTINENT FINDET ZUR EINHEIT

a) Eine Union der 28

Im Dezember  2002 traf der Europäische Rat in Kopenhagen eine der bedeutendsten Entscheidungen in der Geschichte der europäischen Integration. Er bot zwölf weiteren Ländern die EU-Mitgliedschaft an, wodurch sich nicht nur das Gebiet und die Bevölkerung der EU vergrößerten, sondern auch die seit 1945 währende Teilung unseres Kontinents beendet wurde. Europäische Länder, die jahrzehntelang keine demokratischen Freiheiten genossen hatten, konnten endlich zur Familie der demokratischen europäischen Nationen zurückkehren. So wurden 2004 Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn zusammen mit den Mittelmeerinseln Malta und Zypern Mitgliedstaaten der EU. Bulgarien und Rumänien folgten im Jahr 2007. Kroatien stellte 2003 einen Antrag auf Mitgliedschaft und trat 2013 bei.

Eine Luftaufnahme der kroatischen Stadt Dubrovnik

Dubrovnik, die „Perle der Adria“ in Kroatien, dem jüngsten Mitgliedstaat der EU

b) Aktuelle Beitrittsverhandlungen

Die Türkei, NATO-Mitglied und seit Langem durch ein Assoziierungsabkommen mit der EU verbunden, bewarb sich 1987 um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Aufgrund der geografischen Lage und der politischen Geschichte der Türkei nahm die EU den Antrag erst nach langem Zögern an. Im Oktober 2005 begannen dann schließlich die Beitrittsverhandlungen. Einige europäische Länder bezweifeln, dass die Türkei ein Mitglied der Europäischen Union werden wird bzw. werden sollte. Sie befürworten stattdessen eine „privilegierte Partnerschaft“. 2015 erhielten die Verhandlungen neue Dynamik, als die Türkei mit der EU vereinbarte, ihr bei der Senkung der Zahl und der Kontrolle der Asylsuchenden zu helfen, die über die Türkei in die EU kommen. Die EU will für die Türkei weiterhin ein Bezugspunkt für politische Reformen und Grundrechte sein. Sie hält daran fest, dass die Achtung dieser Werte eine nicht verhandelbare Beitrittsvoraussetzung ist.

Die Länder des westlichen Balkans, die früher überwiegend zu Jugoslawien gehörten, wenden sich ebenfalls der EU zu, von der sie sich eine Beschleunigung ihres wirtschaftlichen Wiederaufbaus, eine Verbesserung ihrer (lange durch ethnische und religiöse Kriege geprägten) Beziehungen untereinander und die Festigung ihrer demokratischen Institutionen erhoffen. Die EU hat Albanien, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien sowie Montenegro und Serbien Kandidatenstatus verliehen. Bosnien und Herzegowina hat 2016 seinen Beitrittsantrag eingereicht. Das Kosovo (diese Bezeichnung berührt nicht die Standpunkte zum Status und steht im Einklang mit der Resolution 1244/99 des VN-Sicherheitsrates und dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovos) erklärte 2008 seine Unabhängigkeit und könnte, sobald die Verhandlungen über seine Zukunft abgeschlossen sind, ebenfalls ein Kandidatenland werden.

Mit Montenegro und Serbien sind offizielle Beitrittsverhandlungen aufgenommen worden.

Das von der Finanzkrise im Jahr 2008 schwer getroffene Island beantragte 2009 die EU-Mitgliedschaft. Allerdings wurden die Beitrittsverhandlungen auf Wunsch des Landes 2013 abgebrochen. Nach einer wirtschaftlichen Erholung stand die Bevölkerung einer EU-Mitgliedschaft weniger positiv gegenüber.

In seiner Antrittsrede vor dem Europäischen Parlament im Jahr 2014 kündigte Jean-Claude Juncker an, dass es während seiner Amtszeit, die 2019 endet, keine EU-Erweiterung geben werde.

III. WIE GROSS KANN DIE EU WERDEN?

a) Geografische Grenzen

Die öffentliche Diskussion über die Zukunft der EU zeigt, dass sich viele Europäer Gedanken darüber machen, wo die Grenzen der Europäischen Union gezogen werden sollten. Es wird auch die Frage aufgeworfen, was eigentlich die europäische Identität ausmacht. Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten, vor allem, weil jedes Land seine geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen anders sieht. So haben sich die baltischen Länder und Polen für einen Beitritt der Ukraine zur EU ausgesprochen, aber der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, der seinen Höhepunkt mit der russischen Annexion der Krim erreichte, hat geopolitische Spannungen erzeugt, die diese Option unrealistisch machen. Auch die strategische Lage Moldaus verschärft die Spannungen zwischen den westlichen Ländern und einem Russland, das mit Nachdruck seine Ambitionen in der Region verfolgt.

Obwohl Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz die Beitrittsvoraussetzungen erfüllen, sind diese Länder auf Wunsch ihrer Bevölkerung nicht Mitglied der Europäischen Union.

In verschiedenen EU-Ländern ist die öffentliche Meinung in der Frage der endgültigen Grenzen der Europäischen Union derzeit mehr oder weniger stark gespalten. Würden ausschließlich geografische Kriterien angelegt und keine demokratischen Werte berücksichtigt, dann könnte die EU – ähnlich wie der Europarat, der kein Organ der EU ist – am Ende 47 Mitglieder haben.

Ein sinnvoller Ansatz könnte so aussehen: Jedes europäische Land, das bereit ist, das gesamte EU-Recht zu übernehmen und den Euro einzuführen, kann eine EU-Mitgliedschaft beantragen. Die europäische Integration ist seit 1950 ein kontinuierlicher Prozess, und jeder Versuch, die Grenzen der EU ein für alle Mal festzulegen, würde diesem Prozess zuwiderlaufen.

b) Nachbarschaftspolitik

Mit den Erweiterungen von 2004 und 2007 verschoben sich die Grenzen der EU weiter nach Osten und Süden; damit stellte sich die Frage, wie die Union die Beziehungen zu ihren Nachbarn gestalten sollte. Stabilität und Sicherheit sind in den Regionen jenseits ihrer Grenzen keine Selbstverständlichkeit, und die EU wollte verhindern, dass zwischen ihr und diesen Nachbarregionen neue Trennlinien entstehen. Sie musste sich eingehender mit neuen Gefährdungen der Sicherheit wie illegaler Einwanderung, Unterbrechung der Energieversorgung, Umweltzerstörung, grenzüberschreitender organisierter Kriminalität und Terrorismus befassen. Daher entwickelte sie eine neue europäische Nachbarschaftspolitik für die Beziehungen zu ihren Nachbarn im Osten und Südosten (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und Ukraine) und im Süden (Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, das besetzte Palästinensische Gebiet, Syrien und Tunesien).

Fast alle diese Länder haben, beginnend im Jahr 2004, bilaterale Partnerschafts- und Kooperationsabkommen oder Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen, in denen sie sich zu gemeinsamen Werten (wie Demokratie, Einhaltung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit) und zu Fortschritten in Richtung Marktwirtschaft, nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung bekennen. Die EU ihrerseits bietet finanzielle, technische und makroökonomische Unterstützung, einen leichteren Zugang zu Visa und eine Reihe weiterer Maßnahmen, um zur Entwicklung dieser Länder beizutragen.

Mit den jüngsten geopolitischen Entwicklungen hat sich die Lage jedoch radikal geändert.

Im Osten wurde nach dem Sturz des autoritären Regimes in der Ukraine im Mai 2014 mit Petro Poroschenko ein eher westlich orientierter Präsident gewählt. Das führte zum Abschluss eines Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU im September 2014. Die schwierige wirtschaftliche Situation und die militärischen Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Streitkräften und von Russland unterstützten Separatistengruppen haben das Land in eine sehr schwierige Lage gebracht, die jedoch eine Stärkung der Beziehungen zur EU nicht verhindert. 2014/2015 hat die EU der Ukraine Finanzhilfen in Höhe von über 7 Mrd. EUR gewährt, die an politische und demokratische Reformen geknüpft sind.

Der „Arabische Frühling“ im Jahr 2011 führte zu tief greifenden Veränderungen der politischen Lage in den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers und im Nahen Osten: Regimewechsel in Tunesien und Ägypten, Bürgerkrieg in Syrien, Chaos in Libyen nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes, Erstarken des sogenannten „Islamischen Staats“, der mit Terroraktionen große Teile Syriens und Iraks unter seine Herrschaft brachte.

Einige EU-Länder gehören der Militärkoalition an, die den sogenannten „Islamischen Staat“ bekämpft, während die EU die Ankunft eines großen Stroms von Migranten aus Syrien, vom Horn von Afrika und aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara bewältigen muss, die alle vor Krieg, religiöser Verfolgung oder wirtschaftlichem Elend fliehen. 2015 versuchte fast 1 Million Menschen von der libyschen oder türkischen Küste in Schlepperbooten über das Mittelmeer zu gelangen. Angesichts dieser humanitären Katastrophe überarbeitet die EU ihre gemeinsame Asyl- und Zuwanderungspolitik (siehe Kapitel 10).

Ein Bauarbeiter beim Bau einer neuen Brücke

Die EU unterstützt den wirtschaftlichen Aufbau in Nachbarländern.

Kapitel 4: Wie funktioniert die EU?

Kapitel 4: Wie funktioniert die EU?

I. DIE BESCHLUSSFASSUNGSORGANE

Die Europäische Union ist kein Bundesstaat, aber doch mehr als nur eine Länderkonföderation. Ihre Struktur lässt sich keiner traditionellen rechtlichen Kategorie zuordnen. Sie ist historisch einzigartig, und ihr Beschlussfassungssystem hat sich in den zurückliegenden rund 60 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt.

Die Verträge, das sogenannte Primärrecht, bilden die Grundlage eines umfangreichen sekundären (oder abgeleiteten) Rechts, das sich unmittelbar auf das Leben der EU-Bürger auswirkt. Das Sekundärrecht besteht überwiegend aus Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen, welche die EU-Organe angenommen haben.

Diese Rechtsvorschriften sind, wie generell alle EU-Maßnahmen, Ergebnis der Entscheidungen des Europäischen Parlaments als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger, des Rates als Vertreter der nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission als dem von den Regierungen unabhängigen Exekutivorgan, das die gemeinsamen Interessen Europas wahrt. Wie im Folgenden dargestellt, spielen auch noch weitere Organe und Einrichtungen eine Rolle.

a) Das Europäische Parlament

Das Europäische Parlament ist das gewählte Organ, das die Bürgerinnen und Bürger der EU vertritt. Es überwacht die Aktivitäten der EU und verabschiedet gemeinsam mit dem Rat EU-Rechtsvorschriften. Seit 1979 werden die Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) alle fünf Jahre in allgemeiner Wahl direkt gewählt.

2017 wurde der Italiener Antonio Tajani von der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren als Präsident des Europäischen Parlaments gewählt.

Eine Abgeordnete des Europäischen Parlaments hebt während einer Parlamentssitzung die Hand.

Das Europäische Parlament – hier können Sie sich Gehör verschaffen.

Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament je Land

Belgien 21
Bulgarien 17
Dänemark 13
Deutschland 96
Estland 6
Finnland 13
Frankreich 74
Griechenland 21
Irland 11
Italien 73
Kroatien 11
Lettland 8
Litauen 11
Luxemburg 6
Malta 6
Niederlande 26
Österreich 18
Polen 51
Portugal 21
Rumänien 32
Schweden 20
Slowakei 13
Slowenien 8
Spanien 54
Tschechische Republik 21
Ungarn 21
Vereinigtes Königreich 73
Zypern 6
Insgesamt 751

Die großen Debatten des Parlaments, an denen grundsätzlich alle MdEP teilnehmen, finden in den monatlichen Plenartagungen statt, normalerweise in Straßburg, sonst in Brüssel. Die Vorarbeiten erfolgen in der Regel ebenfalls in Brüssel: Die „Konferenz der Präsidenten“ (bestehend aus den Fraktionsvorsitzenden und dem Parlamentspräsidenten) legt die Tagesordnung für die Plenartagungen fest, und 20 parlamentarische Ausschüsse erarbeiten die legislativen Änderungsanträge, die erörtert werden sollen. Die laufende Verwaltung des Parlaments obliegt seinem Generalsekretariat, das in Luxemburg und Brüssel angesiedelt ist. Die Fraktionen verfügen jeweils über eigene Sekretariate.

Das Parlament beteiligt sich auf zweierlei Weise an der Gesetzgebungstätigkeit der EU:

Das Europäische Parlament entscheidet auch gemeinsam mit dem Rat über den (von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen) EU-Haushalt. Es kann den Haushaltsentwurf ablehnen. Wenn dies geschieht, was schon mehrfach der Fall war, muss das gesamte Haushaltsverfahren neu aufgerollt werden. Über seine Haushaltsbefugnisse nimmt das Parlament in erheblichem Maße Einfluss auf die EU-Politik.

Nicht zuletzt übt das Europäische Parlament die demokratische Kontrolle über die Union und insbesondere die Europäische Kommission aus.

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden alle fünf Jahre gewählt. Die achte Direktwahl fand vom 22. bis 25. Mai 2014 statt. 42,5 % der 380 Millionen Wahlberechtigten nahmen an der Wahl teil. Damit lag die Wahlbeteiligung in etwa auf dem Niveau der vorangegangenen Wahl im Jahr 2009.

Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon traten die EU-weiten Parteien 2014 erstmals mit einem Spitzenkandidaten an, der gleichzeitig Kandidat für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission war. Da die Europäische Volkspartei die meisten Sitze errang, beschloss der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit, den Kandidaten dieser Partei, den früheren luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker, für das Amt zu nominieren. Eine große Mehrheit der Abgeordneten gab ihm ihre Stimme (422 stimmten für, 250 gegen ihn, und 47 enthielten sich).

Im Anschluss daran fanden im Parlament die Anhörungen der 27 von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Kommissionsmitglieder statt, bei denen ihre Eignung für das Amt geprüft wurde, bevor die Kommission insgesamt die Zustimmung des Parlaments erhielt.

Das Parlament kann die gesamte Kommission jederzeit durch einen Misstrauensantrag zum Rücktritt zwingen. Hierfür ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Durch Anfragen zur mündlichen oder schriftlichen Beantwortung an die Kommission und den Rat überwacht das Parlament außerdem die laufende Verwaltung der EU-Politik.

Mitglieder des Europäischen Parlaments und Abgeordnete der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten arbeiten häufig eng zusammen. Das geschieht innerhalb der politischen Parteien und in für diesen Zweck eingerichteten Fachgremien. Seit 2009 ist die Rolle der nationalen Parlamente in der EU im EU-Vertrag festgeschrieben. Sie können sich zu allen neuen Gesetzgebungsvorschlägen der Kommission äußern und so sicherstellen, dass der Grundsatz der Subsidiarität befolgt wird. Dieser besagt, dass sich die EU nur mit Fragen beschäftigten sollte, die auf europäischer Ebene wirksamer geregelt werden können als auf nationaler oder regionaler Ebene.

 

Die Fraktionen im Europäischen Parlament

Die Fraktionen im Europäischen Parlament

b) Der Europäische Rat

Der Europäische Rat ist das oberste politische Organ der EU. Ihm gehören die Staats- und Regierungschefs aller EU-Mitgliedstaaten sowie der Präsident der Europäischen Kommission an. Normalerweise kommt er vier Mal jährlich in Brüssel zusammen. Der Europäische Rat hat einen ständigen Präsidenten, dessen Aufgabe es ist, die Arbeit des Europäischen Rats zu koordinieren und ihre Kontinuität zu gewährleisten. Der ständige Präsident wird (von einer qualifizierten Mehrheit der Mitglieder) für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Amtsinhaber ist seit dem 1. Dezember 2014 der frühere polnische Premierminister Donald Tusk.

Der Europäische Rat legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten fest. Er gibt die für die wichtigsten politischen Initiativen der EU erforderlichen Impulse und fasst Beschlüsse über wichtige Fragen, für die auf Ministerebene kein Konsens gefunden werden konnte. Darüber hinaus befasst sich der Europäische Rat im Rahmen der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“, einem Mechanismus zur Koordinierung der Außenpolitik der EU-Mitgliedstaaten, auch mit aktuellen internationalen Problemen.

c) Der Rat

Der Rat (auch „Ministerrat“) besteht aus Ministern der nationalen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten führen im Rat turnusmäßig sechs Monate lang den Vorsitz. An jeder Ratstagung nimmt ein Minister pro Mitgliedstaat teil. Welche Minister dies jeweils sind, hängt davon ab, welches Thema auf der Tagesordnung steht: Außenbeziehungen, Landwirtschaft, Industrie, Verkehr, Umwelt usw.

Turnusmäßiger Vorsitz im Ministerrat

Jahr Januar–Juni Juli–Dezember
2017 Malta Estland
2018 Bulgarien Österreich
2019 Rumänien Finnland
2020 Kroatien Deutschland
2021 Portugal Slowenien

Den Vorsitz bei den Tagungen des Rates der Außenminister führt die Hohe Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik, die auch Vizepräsidentin der Kommission ist. Dieses Amt bekleidet seit November 2014 die frühere italienische Außenministerin Federica Mogherini.

Die wichtigste Aufgabe des Rates ist die Verabschiedung von EU-Rechtsvorschriften. In der Regel teilt er sich diese Verantwortung mit dem Europäischen Parlament. Der Rat und das Parlament entscheiden auch gemeinsam über den EU-Haushalt. Ferner unterzeichnet der Rat internationale Abkommen, die von der Kommission ausgehandelt wurden.

Abhängig vom Beschlussgegenstand entscheidet der Rat mit einfacher Mehrheit, „qualifizierter Mehrheit“ oder einstimmig.

Bei wichtigen Fragen wie Steuern, Vertragsänderungen, einer neuen gemeinsamen Politik oder dem Beitritt eines neuen Mitgliedstaats ist Einstimmigkeit erforderlich.

In den meisten anderen Fällen reicht die qualifizierte Mehrheit. Das bedeutet, dass für einen Ratsbeschluss die sogenannte „doppelte Mehrheit“ erforderlich ist: Ein Beschluss gilt dann als angenommen, wenn ihn 55 % der Mitgliedstaaten (16 der 28 Länder) befürworten und wenn auf diese Mitgliedstaaten mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der EU (rund 332 der 510 Millionen Bürgerinnen und Bürger) entfallen.

Bei Einführung des Euro wurde im Rat ein neues Gremium eingerichtet, die „Euro-Gruppe“. An ihren Tagungen nehmen die Wirtschafts- und Finanzminister der 19 Länder des Euro-Raums teil.

d) Die Europäische Kommission

Die Kommission ist eines der wichtigsten Organe der EU. Nur sie hat das Recht, Vorschläge für neue Rechtsvorschriften der EU zu erarbeiten, die sie dann an den Rat und das Parlament zur Erörterung und Annahme übermittelt.

Die Kommissionsmitglieder („Kommissarinnen und Kommissare“) werden im Einvernehmen zwischen den Mitgliedstaaten für eine fünfjährige Amtszeit benannt und müssen vom Europäischen Parlament bestätigt werden (siehe oben). Die Kommission ist gegenüber dem Parlament verantwortlich, und die gesamte Kommission muss zurücktreten, wenn das Parlament ihr das Misstrauen ausspricht.

Eine „Bürgerdialog“-Veranstaltung in Polen

Die Europäische Kommission ist das Exekutivorgan der EU, und ihre Mitglieder müssen stets ein offenes Ohr für die Anliegen der Menschen haben, wie hier bei einem „Bürgerdialog“.

Die Europäische Kommission besteht aus einem Kommissionsmitglied aus jedem EU-Mitgliedstaat, einschließlich des Präsidenten der Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der zugleich einer der Vizepräsidenten der Kommission ist. Die gegenwärtige Kommission unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker trat ihr Amt am 1. November 2014 an. Kommissionspräsident Juncker hat sieben Vizepräsidenten/Vizepräsidentinnen ernannt, die für die Koordinierung der Arbeit verantwortlich sind und dafür sorgen sollen, dass die Kommission sich auf vorrangige Fragen wie Arbeitsplätze und Beschäftigung, digitaler Binnenmarkt, Energie und Klimawandel sowie Wirtschafts- und Währungsunion konzentriert. Der Kommissionspräsident hat Frans Timmermans zum Ersten Vizepräsidenten mit Zuständigkeit für bessere Rechtsetzung und interinstitutionelle Beziehungen ernannt, mit dem Auftrag, über die Fokussierung der Kommission auf die wichtigsten Fragen und die Achtung des Subsidiaritätsgrundsatzes zu wachen.

Die Kommission genießt in der Ausübung ihrer Befugnisse große Unabhängigkeit. Ihre Aufgabe ist es, das gemeinsame Interesse zu wahren, d. h., sie darf von den nationalen Regierungen keinerlei Weisungen entgegennehmen. Als „Hüterin der Verträge“ hat sie sicherzustellen, dass die von Rat und Parlament verabschiedeten Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Ist dies nicht der Fall, kann die Kommission den zuwiderhandelnden Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagen.

Als Exekutive der EU setzt die Kommission die Ratsbeschlüsse um, beispielsweise in der Gemeinsamen Agrarpolitik. Sie verfügt über weitreichende Befugnisse zur Durchführung der gemeinsamen EU-Politiken, z. B. in den Bereichen Forschung und Technologie, Entwicklungshilfe und Regionalpolitik. Dazu gehört auch die Verwaltung der entsprechenden Haushaltsmittel.

Unterstützt werden die Kommissionsmitglieder von Beamten, die hauptsächlich in Brüssel und Luxemburg arbeiten. Bestimmte technische und wissenschaftliche Aufgaben übernehmen außerdem Agenturen, die ihren Sitz in anderen europäischen Städten haben.

e) Der Gerichtshof

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seinen Sitz in Luxemburg. Er besteht aus jeweils einem Richter aus jedem EU-Mitgliedstaat; den Richtern stehen elf Generalanwälte zur Seite. Sie werden einvernehmlich von den Regierungen der Mitgliedstaaten für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt (eine Wiederernennung ist möglich). Ihre Unabhängigkeit ist garantiert. Aufgabe des Gerichtshofs ist es, darüber zu wachen, dass das EU-Recht eingehalten wird und die Verträge korrekt ausgelegt und angewendet werden.

f) Die Europäische Zentralbank

Die in Frankfurt angesiedelte Europäische Zentralbank (EZB) ist für die Verwaltung des Euro und die Währungspolitik der EU verantwortlich (siehe Kapitel 7 „Der Euro“). Der EZB-Rat als oberstes Beschlussorgan setzt sich aus den sechs Mitgliedern des Direktoriums und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der 19 Mitgliedstaaten des Euro-Raums zusammen. Die Hauptaufgaben der Zentralbank sind die Wahrung der Preisstabilität im Euro-Raum und die Bankenaufsicht. Seit 2011 ist der ehemalige Präsident der italienischen Zentralbank Mario Draghi Präsident der Europäischen Zentralbank.

g) Der Rechnungshof

Der Europäische Rechnungshof wurde 1975 errichtet und hat seinen Sitz in Luxemburg. Dem Rechnungshof gehört ein Mitglied aus jedem EU-Land an. Die Mitglieder werden einvernehmlich von den Mitgliedstaaten nach Anhörung des Europäischen Parlaments für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt. Der Rechnungshof überprüft die Recht- und Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Union und vergewissert sich, dass der EU-Haushalt wirtschaftlich geführt wird.

II. ANDERE EINRICHTUNGEN

a) Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss

In einer Reihe von Politikbereichen konsultieren der Rat und die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, bevor sie einen Beschluss fassen. Dessen Mitglieder, die vom Rat für fünf Jahre ernannt werden, vertreten die verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen, die die „organisierte Zivilgesellschaft“ bilden.

b) Der Ausschuss der Regionen

Der Ausschuss der Regionen besteht aus Vertretern der Regionen und Kommunen. Sie werden von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen und vom Rat für eine fünfjährige Amtszeit ernannt. Rat und Kommission müssen den Ausschuss bei Angelegenheiten, die für die Regionen relevant sind, anhören. Er kann außerdem aus eigener Initiative Stellungnahmen abgeben.

c) Die Europäische Investitionsbank

Die Europäische Investitionsbank vergibt Darlehen und übernimmt Garantien, um die weniger entwickelten Regionen der EU zu unterstützen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken. Sie hat ihren Sitz in Luxemburg.

d) Der Europäische Bürgerbeauftragte

Der oder die Bürgerbeauftragte wird vom Europäischen Parlament für fünf Jahre gewählt (eine Wiederwahl ist möglich). Er bzw. sie geht Beschwerden über Missstände in der Verwaltungstätigkeit der EU-Organe nach. Beschwerden können Bürgerinnen und Bürger der EU sowie in der Union ansässige Unternehmen und Personen einreichen. Seit 2013 übt die ehemalige irische Ombudsfrau Emily O’Reilly das Amt der Europäischen Bürgerbeauftragten aus.

Eine Person mit Behinderung arbeitet an einem Computer.

Der Gerichtshof der Europäischen Union wacht darüber, dass das EU-Recht eingehalten wird. Er hat beispielsweise bestätigt, dass Arbeitnehmer mit Behinderungen nicht diskriminiert werden dürfen.

Kapitel 5: Was macht die EU?

Kapitel 5: Was macht die EU?

I. INNOVATIONSPOLITIK

Da sich die EU mit vielen der großen gesellschaftlichen Herausforderungen befasst (Umweltschutz, Gesundheit, technologische Innovation, Energie usw.), hat ihr Handeln Einfluss auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger.

a) Umwelt und nachhaltige Entwicklung

Wissenschaftler warnen seit den 1960er-Jahren vor der zunehmenden Erderwärmung. Zu Beginn reagierten die politisch Verantwortlichen nur langsam, bis die Vereinten Nationen 1988 den Weltklimarat einrichteten. Diesem Expertengremium ist es gelungen, die Aufmerksamkeit der Welt auf die potenziell katastrophalen Folgen der Erderwärmung zu lenken, die durch Schadstoffemissionen verursacht wird – insbesondere durch die Nutzung kohlenstoffhaltiger fossiler Brennstoffe.

Ein einzelnes, am Boden befestigtes Solarpaneel in der Landschaft

Die EU übernimmt eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz und bei der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.

2008 leistete die Europäische Union einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels. Der Europäische Rat vereinbarte, bis zum Jahr 2020 die Emissionen der Europäischen Union um mindestens 20 % (gegenüber 1990) zu senken, den Marktanteil der erneuerbaren Energien auf 20 % zu erhöhen und den gesamten Energieverbrauch um 20 % zu verringern. 2014 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf das ehrgeizigere Ziel einer Senkung um mindestens 40 % bis 2030 (gegenüber 1990). Die EU-Länder trugen außerdem gemeinsam entscheidend dazu bei, dass bei der UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 zwischen 195 Ländern eine bindende Übereinkunft über die Beschränkung der Erderwärmung auf unter 2 °C erzielt wurde. Die ärmsten Länder der Welt benötigen finanzielle Hilfe für die Senkung ihrer Emissionen und die Anpassung an den Klimawandel. Die EU wird hierfür zwischen 2014 und 2020 mindestens 14 Mrd. EUR aus dem Europäischen Entwicklungsfonds bereitstellen. Die Ratifizierung des Übereinkommens von Paris durch die EU wurde am 4. Oktober 2016 mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments abgeschlossen. Damit konnte die Übereinkunft in Kraft treten.

Die EU-Länder haben sich auf verbindliche Rechtsvorschriften zur Senkung schädlicher Emissionen in der EU geeinigt. Ein Großteil der Anstrengungen betrifft Investitionen in neue Technologien, die gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum fördern. Eine EU-weite Regelung für den Emissionshandel soll dafür sorgen, dass der Ausstoß schädlicher Gase den Vorgaben entsprechend wirksam gesenkt wird.

Die EU befasst sich darüber hinaus mit einem breiten Spektrum weiterer Umweltthemen, darunter Lärm, Abfall, Schutz der natürlichen Lebensräume, Abgase, chemische Stoffe, Industrieunfälle und Sauberkeit von Badegewässern. Außerdem bemüht sie sich um die Verhinderung von Naturkatastrophen oder solchen, die von Menschen verursacht werden, etwa Ölverschmutzungen und Waldbrände.

Die EU strebt einen besseren Schutz der öffentlichen Gesundheit an und überarbeitet hierzu laufend ihre Rechtsvorschriften. So hat sie frühere Einzelvorschriften der EU über Chemikalien durch eine einzige Regelung namens REACH ersetzt; die Abkürzung steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe). Dieses System nutzt eine zentrale Datenbank, die von der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki verwaltet wird. Das Ziel von REACH besteht darin, die Verschmutzung von Luft, Wasser, Boden und Gebäuden zu verhindern, die Artenvielfalt zu bewahren, die Gesundheit und Sicherheit der EU-Bürger zu verbessern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu erhalten.

b) Technologische Innovation

Schon die Gründerväter der Europäischen Union hatten richtig erkannt, dass der künftige Wohlstand Europas von der Behauptung einer technologischen Spitzenstellung abhängen würde. Zugleich war ihnen bewusst, welche enormen Vorteile eine gemeinsame europäische Forschung hätte. Deshalb gründeten sie 1958 parallel zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom). Die EU-Mitgliedstaaten sollten – mithilfe einer aus sieben Forschungsinstituten bestehenden Gemeinsamen Forschungsstelle – die Kernenergie gemeinsam für friedliche Zwecke nutzen.

Um indes mit dem zunehmenden globalen Wettbewerb Schritt halten zu können, musste sich die europäische Forschung diversifizieren; sie musste die Barrieren zwischen den nationalen Forschungsprogrammen überwinden, eine möglichst große Bandbreite an Wissenschaftlern zusammenbringen und ihnen helfen, industrielle Anwendungen für ihre Entdeckungen zu finden.

Die gemeinsame Forschung auf EU-Ebene ist heute als Ergänzung der nationalen Forschungsprogramme konzipiert. Der Schwerpunkt liegt auf Vorhaben, bei denen Forschungsinstitute aus mehreren Mitgliedstaaten zusammenarbeiten. Außerdem wird die Grundlagenforschung gefördert, etwa im Bereich der kontrollierten Kernfusion, die für das 21. Jahrhundert eine unerschöpfliche Energiequelle sein könnte. Schließlich werden auch Forschung und technologische Entwicklung in Schlüsselindustrien unterstützt (z. B. im Bereich Elektronik und Computer), die einem scharfen Wettbewerb aus außereuropäischen Ländern ausgesetzt sind.

Die EU ist bestrebt, 3 % ihres BIP für Forschung auszugeben. Die Finanzierung der europäischen Forschung erfolgt hauptsächlich über eine Reihe von Rahmenprogrammen. „Horizont 2020“, das achte Rahmenprogramm der EU für Forschung und technologische Entwicklung, wurde für den Zeitraum 2014-2020 aufgelegt. Der Großteil der verfügbaren Mittel in Höhe von über 80 Mrd. EUR fließt in die Forschung auf Gebieten wie Gesundheit, Lebensmittel und Landwirtschaft, Informations- und Kommunikationstechnologien, Nanowissenschaften, Energie, Umwelt, Verkehr, Sicherheit, Raumfahrt und Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Andere Programme unterstützen die internationale Zusammenarbeit in Spitzenforschungsprojekten sowie Forscher und ihre berufliche Entwicklung.

c) Energie

Derzeit wird über die Hälfte aller Energieträger in der EU eingeführt, das macht die Union zum größten Energie-Importeur weltweit. Europa drohen dadurch Versorgungsengpässe oder starke Preiserhöhungen infolge internationaler Krisen. Vor diesem Hintergrund arbeitet die EU daran, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu senken und die Erderwärmung zu stoppen.

Dazu beitragen sollen u. a. Einsparungen durch einen intelligenteren Umgang mit Energie, der Ausbau alternativer Energiequellen (vor allem erneuerbarer Energien) und eine stärkere internationale Zusammenarbeit. Von zentraler Bedeutung ist eine bessere Gebäudeisolierung, denn hier verbraucht die EU 40 % ihrer Energie und erzeugt 36 % ihrer schädlichen Emissionen, etwa Treibhausgase. Der Schwerpunkt der europäischen Forschung und Entwicklung im Energiebereich liegt auf Solarenergie, Windenergie, Biomasse und Kernkraft.

Ein wichtiger Schwerpunkt der Energiepolitik ist die bessere Verknüpfung der Energie- und Transportnetze in Europa. Sie kann zu einer effizienteren Energienutzung führen, sowohl durch technische Maßnahmen als auch durch gemeinsame Märkte. Die meisten Projekte, die über die 2014 von Kommissionspräsident Juncker initiierte Investitionsoffensive für Europa unterstützt werden, betreffen effiziente, saubere und erneuerbare Energien. Dies gilt zum Beispiel für die Anbindung der spanischen und portugiesischen Energienetze an dasjenige Frankreichs und für den Energieverbund rund um die Ostsee.

Um eine kontinuierliche Energieversorgung zu sichern, agiert Europa auch auf internationaler Ebene, insbesondere mit Russland und den Ländern des Nahen Ostens.

Eine Gaskompressor-Station

Die Energienetze müssen europaweit besser miteinander verknüpft werden – für eine sicherere und effizientere Energieversorgung.

II. SOLIDARITÄTSPOLITIK

Damit der Binnenmarkt ordnungsgemäß funktioniert (siehe Kapitel 6), müssen Ungleichgewichte auf diesem Markt korrigiert werden. Diesem Zweck dienen Solidaritätsmaßnahmen der EU, mit denen strukturschwache Regionen und gefährdete Wirtschaftszweige unterstützt werden. Die EU hilft auch bei der Umstrukturierung von Wirtschaftszweigen, denen die schnell wachsende internationale Konkurrenz besonders zu schaffen macht.

a) Regional-und Kohäsionspolitik

In den Jahren 2014-2020 sind für die EU-Kohäsionspolitik Investitionen von 325 Mrd. EUR (bzw. 34 % des EU-Haushalts) in die EU-Mitgliedstaaten, ihre Regionen und Städte vorgesehen, damit die EU-weiten Wachstums- und Beschäftigungsziele erreicht und die Probleme des Klimawandels, der Energieabhängigkeit und der sozialen Ausgrenzung angegangen werden können.

Die Umsetzung dieser Ziele wird durch spezifische EU-Fonds finanziert, mit denen Investitionen des Privatsektors und der nationalen Regierungen und regionalen Behörden aufgestockt bzw. Investitionsanreize geschaffen werden:

b) Die Gemeinsame Agrarpolitik und die Gemeinsame Fischereipolitik

Die 1957 im Vertrag von Rom festgelegte Gemeinsame Agrarpolitik der EU war darauf ausgerichtet, den Landwirten einen angemessenen Lebensstandard zu sichern, die Märkte zu stabilisieren, die Versorgung der Verbraucher zu angemessenen Preisen sicherzustellen und die landwirtschaftliche Infrastruktur zu modernisieren. Diese Ziele wurden weitgehend erreicht. Die Versorgung der Verbraucher zu stabilen, von den Schwankungen des Weltmarkts unabhängigen Preisen ist heutzutage gewährleistet. Die Mittel für die Gemeinsame Agrarpolitik stammen aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums.

Eine junge Frau beaufsichtigt Kinder auf dem Spielplatz eines Kindergartens.

Anna aus Lublin, Polen, betreibt einen eigenen Kindergarten. Ermöglicht hat ihr das unter anderem ein Projekt zur Förderung von Unternehmerinnen, das vom Europäischen Sozialfonds gefördert wird.

Inzwischen ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU allerdings Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden: Die Produktion wuchs stärker als der Verbrauch, was den EU-Haushalt schwer belastete. Um hier gegenzusteuern, bedurfte es einer Neugestaltung der Agrarpolitik. Die Reformen zeitigen inzwischen konkrete Ergebnisse: Die Produktion ist zurückgegangen.

Die Landwirte haben nun die Aufgabe, überall im ländlichen Raum eine gewisse Wirtschaftstätigkeit aufrechtzuerhalten und die Vielfalt und Nachhaltigkeit der europäischen Landschaftsformen zu schützen. Diese Vielfalt und die Anerkennung einer „ländlichen Lebensweise“ – bei der die Menschen in Harmonie mit der Landschaft leben – ist ein wichtiger Teil der europäischen Identität. Darüber hinaus kommt der europäischen Landwirtschaft eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels, beim Schutz der Wildtiere und bei der Ernährung der Weltbevölkerung zu.

Ferner gibt es Regelungen zur Förderung lokaler und regionaler landwirtschaftlicher Qualitätserzeugnisse und Lebensmittel in der EU und zum Schutz ihrer Bezeichnungen.

Die Europäische Union verfolgt auch eine Gemeinsame Fischereipolitik. Die Vorschriften über das Management der Fischereiflotten und die Erhaltung von Fischbeständen werden auf europäischer Ebene festgelegt.

c) Die soziale Dimension

Die EU-Sozialpolitik zielt darauf ab, die eklatantesten sozialen Ungleichheiten in Europa zu korrigieren. Der Europäische Sozialfonds wurde 1961 eingerichtet, um die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie den Arbeitsplatz- und/oder Ortswechsel von Arbeitnehmern zu unterstützen.

Die EU bemüht sich nicht nur mit Finanzhilfen um die Verbesserung der sozialen Bedingungen in Europa. Geld allein könnte niemals alle Probleme lösen, die durch Rezession oder regionalen Entwicklungsrückstand verursacht werden. Dynamische Wachstumseffekte müssen vor allem den sozialen Fortschritt fördern. Gleichzeitig brauchen wir Vorschriften, die einen soliden Bestand an Mindestrechten garantieren. Einige dieser Rechte, wie das Recht von Frauen und Männern auf gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, sind bereits in den Verträgen verankert. Andere Rechte sind in Richtlinien zum Schutz von Arbeitnehmern (Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz) und mit grundlegenden Sicherheitsnormen festgeschrieben.

Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die 1997 in den EG-Vertrag integriert wurde, legt die Rechte fest, die allen Arbeitnehmern in der EU gewährt werden sollen: Freizügigkeit; gerechte Bezahlung; bessere Arbeitsbedingungen; sozialer Schutz; Koalitionsfreiheit und Tarifverhandlungen; das Recht auf berufliche Bildung; Gleichbehandlung von Frauen und Männern; Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer; Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz; Schutz von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen.

Gegenwärtig wird darüber diskutiert, wie der Sozialschutz in Europa künftig gestaltet werden kann – auf einem Arbeitsmarkt, der immer stärker von neuen Technologien und Globalisierung geprägt wird.

III. DER EU-HAUSHALT

Die EU finanziert ihre Politik aus einem Jahreshaushalt, der sich im Jahr 2017 auf mehr als 157 Mrd. EUR belief. Dies ist rund 1 % des Bruttonationaleinkommens aller Mitgliedstaaten zusammen.

Der Haushalt speist sich aus den sogenannten Eigenmitteln der EU. Diese stammen im Wesentlichen aus

Die Aufschlüsselung der Ausgaben lässt sich anhand des Haushalts 2017 veranschaulichen:

Jeder Jahreshaushalt ist Teil eines siebenjährigen Haushaltszyklus, des sogenannten mehrjährigen Finanzrahmens. Dieser wird von der Europäischen Kommission aufgestellt, muss von den Mitgliedstaaten einstimmig genehmigt werden und bedarf der Zustimmung des Europäischen Parlaments, mit dem zuvor Verhandlungen geführt werden. Der mehrjährige Finanzrahmen für den Zeitraum 2014-2020 wurde 2013 beschlossen. Die Ausgabenobergrenze liegt real 3 % unter der des vorigen Zeitraums (2007-2013).

Die geplanten Ausgaben sollen Wachstum und Beschäftigung in Europa fördern, eine nachhaltige Landwirtschaft unterstützen und ein umweltbewussteres Europa schaffen. Mehr Geld gibt es für Forschung und Innovation, allgemeine und berufliche Bildung sowie für die Außenbeziehungen. Besondere Fonds sollen der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung sowie der Finanzierung von Migrations- und Asylpolitik dienen. Auf den Klimaschutz dürften zwischen 2014 und 2020 mindestens 20 % der EU-Ausgaben entfallen.

Zehn Prioritäten für Europa

Seit November 2014 ist die Politik der Europäischen Kommission unter Jean-Claude Juncker auf folgende zehn Prioritäten ausgerichtet:

  1. Neue Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen
  2. Ein vernetzter digitaler Binnenmarkt
  3. Eine robuste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimapolitik
  4. Ein vertiefter und fairerer Binnenmarkt mit gestärkter industrieller Basis
  5. Eine vertiefte und fairere Wirtschafts- und Währungsunion
  6. Ein vernünftiges und ausgewogenes Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten
  7. Ein auf gegenseitigem Vertrauen basierender Raum des Rechts und der Grundrechte
  8. Eine neue Migrationspolitik
  9. Mehr Gewicht auf der internationalen Bühne
  10. Eine Union des demokratischen Wandels

Wer ist wofür zuständig? Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten

Die Europäische Union ist allein zuständig für:
  • Zollunion
  • Wettbewerbsrecht für den Binnenmarkt
  • Währungspolitik der Euro-Länder
  • Erhaltung der biologischen Meeresressourcen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik
  • gemeinsame Handelspolitik
  • Abschluss internationaler Abkommen, wenn diese in den EU-Rechtsvorschriften vorgesehen sind
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sind gemeinsam zuständig für:
  • Binnenmarkt
  • Aspekte der Sozialpolitik, wie im Vertrag von Lissabon festgelegt
  • wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt
  • Landwirtschaft und Fischerei, ausgenommen die Erhaltung der biologischen Meeresressourcen
  • Umwelt
  • Verbraucherschutz
  • Verkehr
  • transeuropäische Netze
  • Energie
  • Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
  • Aspekte gemeinsamer Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie im Vertrag von Lissabon festgelegt
  • Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt
  • Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe
Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten zuständig bleiben und in denen die EU eine unterstützende oder koordinierende Aufgabe übernehmen kann:
  • Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit
  • Industrie
  • Kultur
  • Tourismus
  • allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport
  • Zivilschutz
  • administrative Zusammenarbeit

Kapitel 6: Der Binnenmarkt

Kapitel 6: Der Binnenmarkt

I. ZEITHORIZONT 1993

a) Der ursprüngliche Gemeinsame Markt

Der 1957 geschlossene Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ermöglichte die Aufhebung der Zollschranken zwischen den Mitgliedstaaten und die Anwendung eines gemeinsamen Zolltarifs auf Waren aus Ländern außerhalb der Gemeinschaft. Dieses Ziel wurde am 1. Juli 1968 erreicht.

Zölle sind jedoch nur ein Aspekt einer protektionistischen Wirtschaftspolitik. In den 1970er-Jahren standen der Vollendung des Gemeinsamen Marktes noch andere Handelshemmnisse im Wege. So behinderten technische Normen, Gesundheits- und Sicherheitsstandards, Devisenkontrollen und nationale Vorschriften über das Recht zur Ausübung bestimmter Berufe den freien Verkehr von Menschen, Waren und Kapital.

b) Das Ziel für 1993

Im Juni 1985 veröffentlichte die Europäische Kommission unter Leitung ihres damaligen Präsidenten Jacques Delors ein Weißbuch, in dem sie Pläne darlegte, um innerhalb von sieben Jahren alle physischen, technischen und fiskalischen Barrieren in der EWG zu beseitigen. Ziel war es, das Wachstum von Wirtschaft und Handel im „Binnenmarkt“ – einem großen, vereinten, dem US-amerikanischen Markt vergleichbaren Wirtschaftsraum – zu stimulieren.

Die Verhandlungen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten führten zu einem neuen Vertrag, der Einheitlichen Europäischen Akte, die im Juli 1987 in Kraft trat und u. a. Folgendes vorsah:

II. FORTSCHRITTE BEIM AUFBAU DES BINNENMARKTS

a) Physische Barrieren

Innerhalb der EU gibt es keine Grenzkontrollen für Waren und auch keine Zollkontrollen für Bürger mehr; die Polizei führt jedoch im Rahmen der Bekämpfung von Kriminalität und Drogenhandel nach wie vor Stichprobenkontrollen durch.

Im Juni 1985 unterzeichneten fünf der damals zehn Mitgliedstaaten das Schengener Abkommen, das eine Zusammenarbeit der nationalen Polizeikräfte und eine einheitliche Asyl- und Visumpolitik vorsieht. Damit konnten die Personenkontrollen an den Grenzen zwischen den Schengen-Ländern vollständig abgeschafft werden (siehe Kapitel 10 „Ein Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“). Inzwischen besteht der Schengen-Raum aus 26 europäischen Ländern, darunter vier (Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz), die nicht Mitglied der Europäischen Union sind.

b) Technische Barrieren

Die EU-Mitgliedstaaten haben für die meisten Waren die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Vorschriften über das Inverkehrbringen vereinbart. Seit dem wegweisenden „Cassis-de-Dijon“-Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 1979 muss jedes Erzeugnis, das in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und verkauft wird, auch in allen anderen Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht werden dürfen.

Im Bereich der Dienstleistungen anerkennen bzw. koordinieren die EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Vorschriften, damit Angehörige verschiedener Berufe aus den Bereichen Recht, Medizin, Tourismus sowie Bank- und Versicherungswesen in jedem Mitgliedstaat arbeiten können. Doch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist längst noch nicht vollständig erreicht. Trotz der Richtlinie aus dem Jahr 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen gibt es noch Barrieren, die Menschen daran hindern, in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu ziehen oder dort bestimmte Tätigkeiten auszuüben. Qualifizierte Personen (ob Rechtsanwälte oder Ärzte, Bauarbeiter oder Installateure) können ihren Beruf jedoch zunehmend überall in der Europäischen Union ausüben.

Die Europäische Kommission hat Maßnahmen ergriffen, um die Mobilität der Arbeitnehmer zu verbessern und vor allem zu gewährleisten, dass die in einem Mitgliedstaat erworbenen Abschlüsse und beruflichen Qualifikationen in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden.

Es gibt Arbeitnehmer, die vorübergehend in einem EU-Land arbeiten, beispielsweise wenn ein Bauunternehmen Arbeiten in einem anderen EU-Land ausführt als dem, in dem es niedergelassen ist. Die EU-Vorschriften besagen, dass für sogenannte „entsandte Arbeitnehmer“ die gleichen Arbeitsbedingungen gelten müssen wie für andere Arbeitnehmer im Land, in dem die Arbeiten ausgeführt werden.

c) Steuerschranken

Die steuerrechtlichen Schranken sind durch die teilweise Angleichung der nationalen Mehrwertsteuersätze gesenkt worden. Die Mitgliedstaaten haben sich auf gemeinsame Regeln und Mindestsätze geeinigt, um verzerrenden Steuerwettbewerb zwischen den EU-Ländern zu vermeiden.

d) Öffentliche Aufträge

Vom öffentlichen Sektor vergebene Aufträge haben mit einem Anteil von 19 % am BIP große volkswirtschaftliche Bedeutung. Um Aufträge aus einem EU-Land können sich heute Bieter aus der gesamten Union bewerben, denn es gibt inzwischen entsprechende EU-Richtlinien für die Vergabe von Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträgen in vielen Sektoren, unter anderem auch im Bereich der Wasser- und Energieversorgung und der Telekommunikation.

Der Binnenmarkt ist für alle Verbraucher von Vorteil. So hat die Öffnung der nationalen Märkte für Dienstleistungen dazu geführt, dass die Telefontarife heute nur noch einen Bruchteil der Gebühren von vor zehn, 15 Jahren betragen. Der Wettbewerbsdruck ist auch der Grund dafür, dass die Flugpreise in Europa erheblich gesunken sind.

III. AKTUELLE PROJEKTE

a) Finanzdienstleistungen

Im Gefolge einer Krise auf dem US-amerikanischen Hypothekenmarkt erschütterte 2008 eine massive Finanzkrise die Bankensysteme und Volkswirtschaften der Welt und stürzte die Europäische Union 2009 in eine Rezession. Die Reaktion hierauf bestand unter anderem darin, die Arbeitsweise von Banken und anderen Finanzinstituten transparenter und so zu gestalten, dass die Institute stärker zur Verantwortung gezogen werden können. Möglich wurde das durch die Schaffung der „Bankenunion“. Dank EU-Vorschriften sind Bankeinlagen jetzt besser geschützt, und Banken müssen – im Sinne einer größeren Stabilität – größere Kapitalreserven haben; außerdem sind komplexe Finanzprodukte reguliert und die Boni von Bankmanagern gedeckelt worden. Die Banken des Euro-Raums unterliegen heute einer europaweiten Bankenaufsicht unter Leitung der Europäischen Zentralbank. Es sind auch neue Vorschriften über die Abwicklung notleidender Banken verabschiedet worden. Ein besonderer Fonds gewährleistet jetzt, dass die mit diesen Abwicklungen verbundenen Kosten von den Banken und nicht von den Steuerzahlern getragen werden.

Die Entscheidungsträger der EU und der Mitgliedstaaten arbeiten gegenwärtig an einer weiteren Stärkung des Kapitalbinnenmarkts. Es geht darum, Kleinunternehmen die Finanzierung zu erleichtern und Europa für Investoren attraktiver zu machen.

Eine Reform der Unternehmensbesteuerung wird ebenfalls diskutiert. Die Grundidee ist, dass die EU-Mitgliedstaaten sich auf gemeinsame Regeln zur Berechnung der Grundlage für die Unternehmensbesteuerung einigen. Es gäbe weiterhin von Land zu Land unterschiedliche Steuersätze, aber gemeinsame Regeln würden grenzüberschreitende Tätigkeiten für die Unternehmen sehr viel billiger machen und die Steuervermeidung eindämmen. Und einzelne Länder könnten Unternehmen keine günstigen Steuerdeals mehr anbieten, um Investitionen aus dem Ausland anzuziehen.

Ein Mann benutzt sein Smartphone.

Durch die Öffnung des Telekommunikationsmarkts für den Wettbewerb hat die EU die Kosten für die Bürger drastisch gesenkt.

b) Produktpiraterie und -fälschung

EU-Erzeugnisse müssen vor Produktpiraterie und -fälschung geschützt werden. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission werden durch diese Delikte jährlich Tausende von Arbeitsplätzen in der EU vernichtet. Daher bemühen sich die Kommission und die nationalen Regierungen gemeinsam um die Ausweitung des Urheberrechts- und Patentschutzes.

IV. POLITIKEN, DIE DEN BINNENMARKT UNTERSTÜTZEN

a) Verkehr

Die EU konzentriert sich hier auf die Dienstleistungsfreiheit im Landverkehr. Transportunternehmen sollen freien Zugang zum internationalen Verkehrsmarkt erhalten, und Transportfirmen aller EU-Länder sollen in allen anderen EU-Ländern tätig sein können. Die EU arbeitet ferner daran, einen fairen Wettbewerb zwischen Kraftverkehrsunternehmen sicherzustellen, indem sie (beispielsweise) die Vorschriften über die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten, über den Marktzugang, über die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, über die Lenk- und Ruhezeiten sowie über die Sicherheit im Straßenverkehr harmonisiert.

Der Luftverkehr in Europa war früher von nationalen Fluggesellschaften und staatlich kontrollierten Flughäfen geprägt. Mit dem Binnenmarkt hat sich dies vollkommen geändert. Alle Fluggesellschaften in der EU dürfen heute Flüge auf sämtlichen Routen innerhalb der EU anbieten und ihre Flugpreise frei festsetzen. Infolgedessen sind viele neue Routen eröffnet worden und die Preise drastisch gesunken. Dies kommt sowohl den Passagieren als auch den Fluggesellschaften, den Flughäfen und den Beschäftigten zugute.

Auch Bahnreisende profitieren vom zunehmenden Wettbewerb.

Ebenso hat die EU für den Schiffsverkehr Wettbewerbsvorschriften erlassen, die für europäische Unternehmen ebenso gelten wie für Schiffe, die nicht unter der Flagge eines EU-Landes fahren. Durch diese Vorschriften soll gegen eine unlautere Preisgestaltung (Billigflaggen) vorgegangen und sollen die Probleme im europäischen Schiffbau begrenzt werden.

Die Europäische Union finanziert ehrgeizige Projekte im Bereich der neuen Technologien wie das Satellitennavigationssystem Galileo, das Europäische Eisenbahnverkehrsleitsystem und das Programm zur Modernisierung des Flugverkehrsmanagements (SESAR). Die Vorschriften über die Straßenverkehrssicherheit (z. B. Fahrzeuginstandhaltung, Gefahrguttransport und Sicherheit von Straßen) sind sehr viel strenger gefasst worden. Auch die Rechte von Fahrgästen sind dank der Festlegung umfassender Bestimmungen für alle Verkehrsträger – Straßen-, Luft-, Bahn- und Schiffsverkehr – inzwischen besser geschützt. Passagiere, einschließlich solcher mit Behinderungen oder Mobilitätseinschränkungen, haben in der EU Anspruch auf präzise, zeitnahe und barrierefreie Informationen, auf Hilfe/Betreuung sowie (unter bestimmten Voraussetzungen) auf Entschädigung bei Annullierungen und großen Verspätungen. Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind eine der Top-Prioritäten der 2014 gestarteten Investitionsoffensive für Europa.

Eine Bankangestellte prüft Finanzmarktdaten auf ihren Computerschirmen.

Mit der „Bankenunion“ hat die EU strengere Vorschriften eingeführt, um zu gewährleisten, dass Banken sicher arbeiten.

b) Wettbewerb

Die Wettbewerbspolitik der EU ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt nicht nur frei, sondern auch fair ist. Die Europäische Kommission setzt diese Politik um und sorgt zusammen mit dem Gerichtshof dafür, dass ihre Regeln beachtet werden.

Wettbewerbspolitik ist notwendig, damit alle Unternehmen zu gleichen und fairen Bedingungen im Binnenmarkt miteinander konkurrieren können – zum Wohl der Verbraucher, der Industrie und der europäischen Wirtschaft insgesamt.

Alle Vereinbarungen, die unter die Vertragsbestimmungen fallen, müssen von den betreffenden Unternehmen oder Einrichtungen bei der Europäischen Kommission angemeldet werden. Jede Fusion oder Übernahme, die dazu führen kann, dass ein Unternehmen in einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung erlangt, muss ebenfalls der Kommission mitgeteilt werden. Die Kommission kann gegen alle Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen oder die geforderte Anmeldung unterlassen, unmittelbar eine Geldbuße verhängen – so geschehen im Fall des Unternehmens Microsoft, dem im Jahr 2008 eine Geldbuße von 900 Mio. EUR auferlegt wurde. 2017 verhängte die Kommission gegen Google eine Geldbuße in Höhe von 2,42 Mrd. EUR wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung als Suchmaschine; das Unternehmen habe bei den Suchergebnissen seinen eigenen Preisvergleichsdienst bevorzugt, während Wettbewerber auf der Ergebnisseite nach hinten gerutscht seien.

Gewährt ein EU-Mitgliedstaat unrechtmäßig Beihilfen oder unterlässt er es, sie der Kommission zu melden, so kann die Kommission die Rückzahlung der Mittel verlangen. Auch Steuervergünstigungen, die der Staat einzelnen Unternehmen gewährt, können als unrechtmäßige staatliche Beihilfen eingestuft werden. So gelangte die Europäische Kommission im August 2016 zu dem Schluss, dass Irland der Firma Apple unrechtmäßige Steuervergünstigungen in Höhe von 13 Mrd. EUR gewährt hatte.

c) Verbraucher- und Gesundheitsschutz

Die Rechtsvorschriften der EU in diesem Bereich sollen allen Verbrauchern dasselbe Maß an finanziellem und gesundheitlichem Schutz gewähren, unabhängig davon, wo in der Europäischen Union sie leben, reisen oder einkaufen. Die Notwendigkeit eines EU-weiten Schutzes wurde Ende der 1990er-Jahre besonders deutlich, als z. B. im Zusammenhang mit dem „Rinderwahnsinn“ (BSE) Zweifel an der Lebensmittelsicherheit aufkamen. 2002 wurde die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit geschaffen, um die Rechtsetzung in Fragen der Lebensmittelsicherheit auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen.

Auch in vielen anderen Bereichen ist ein europaweiter Verbraucherschutz notwendig. Daher gibt es zahlreiche EU-Richtlinien für die Sicherheit von Kosmetika, Spielzeug, Feuerwerkskörpern, um nur einige zu nennen. 1993 wurde die Europäische Arzneimittelagentur eingerichtet, die die Anträge auf Zulassung von Arzneimitteln in Europa bearbeitet. Ohne Genehmigung darf ein Arzneimittel in der EU nicht in Verkehr gebracht werden.

Darüber hinaus wird die EU tätig, um die Verbraucher vor falscher und irreführender Werbung, fehlerhaften Produkten und missbräuchlichen Praktiken z. B. in Bezug auf Verbraucherkredite, Versandhandel und Online-Käufe zu schützen.

Kapitel 7: Der Euro

Kapitel 7: Der Euro

I. SO ENTSTAND DER EURO

a) Das Europäische Währungssystem

1971 entschieden die USA, den Dollar vom Gold abzukoppeln, d. h., die feste Bindung aufzugeben, die nach dem Zweiten Weltkrieg für die globale Währungsstabilität gesorgt hatte. Dies bedeutete das Ende der festen Wechselkurse. Die Zentralbankpräsidenten der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschlossen daraufhin, die Wechselkursschwankungen zwischen ihren Währungen auf eine Bandbreite von ± 2,25 % zu beschränken, und schufen damit das Europäische Währungssystem, das im März 1979 eingeführt wurde.

Im Juni 1989 verabschiedete der Europäische Rat von Madrid einen Dreistufenplan zur Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Dieser Plan wurde Teil des Vertrags von Maastricht über die Europäische Union, den der Europäische Rat im Dezember 1991 annahm.

b) Die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen

Die erste Stufe begann am 1. Juli 1990 und umfasste

Die zweite Stufe begann am 1. Januar 1994 und umfasste

Mit der dritten Stufe begann die Einführung des Euro. Vom 1. Januar 1999 bis zum 1. Januar 2002 wurde der Euro schrittweise als gemeinsame Währung der teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien) eingeführt. Die Europäische Zentralbank übernahm die Aufgaben des Europäischen Währungsinstituts und war von nun an für die Währungspolitik zuständig.

Drei Länder (Dänemark, Schweden und das Vereinigte Königreich) entschieden aus politischen und technischen Gründen, den Euro zu diesem Zeitpunkt nicht einzuführen. Slowenien schloss sich 2007 dem Euro-Raum an; es folgten Malta und Zypern im Jahr 2008, die Slowakei 2009, Estland 2011, Lettland 2014 und Litauen 2015.

Der Euro-Raum umfasst derzeit somit 19 EU-Mitgliedstaaten, und von den übrigen Mitgliedstaaten wird erwartet, dass sie den Euro einführen, sobald sie die notwendigen Bedingungen erfüllen, ausgenommen die Länder, denen bei den Vertragsverhandlungen eine Ausnahmeregelung zugestanden wurde.

c) Die Konvergenzkriterien

Um dem Euro-Raum beitreten zu können, muss ein EU-Mitgliedstaat folgende fünf Konvergenzkriterien erfüllen:

Eine Kaffeetasse auf einem Restauranttisch, daneben Euro-Scheine und -Münzen

Seit 1999 sorgt eine gemeinsame Währung, der Euro, dafür, dass Verbraucher und Unternehmen Preise besser vergleichen können.

d) Der Stabilitäts- und Wachstumspakt

Im Juni 1997 schloss der Europäische Rat von Amsterdam einen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Dieser Pakt verpflichtet die Euro-Länder auf Dauer zur Haushaltsstabilität. Gegen jedes Land im Euro-Raum, dessen Haushaltsdefizit 3 % des BIP übersteigt, können Sanktionen verhängt werden. Der Pakt wurde 2012 gestärkt, als die Regierungen von 25 EU-Ländern den „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ unterzeichneten. Diese internationale Übereinkunft, die auch als „Fiskalpakt“ bezeichnet wird, verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, Vorschriften für einen ausgeglichenen Haushalt in ihr nationales Recht aufzunehmen.

Nach einer Jahre dauernden weltweiten Wirtschaftskrise haben einige Länder des Euro-Raums noch einen langen Weg vor sich bis zur Erfüllung der Kriterien dieser Übereinkünfte. Die Kommission und die Euro-Gruppe drängen weiter darauf, dass die Länder diese Anforderungen erfüllen, insbesondere, dass sie ihren öffentlichen Schuldenstand senken.

e) Die Euro-Gruppe

Die Euro-Gruppe besteht aus den Finanzministern der Länder des Euro-Raums. Sie kommen zusammen, um ihre Wirtschaftspolitiken zu koordinieren und die Haushalts- und Finanzpolitiken ihrer Länder zu überwachen. Außerdem vertritt die Euro-Gruppe die Interessen des Euro in internationalen Gremien. Im Januar 2013 wurde der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem zum Präsidenten der Euro-Gruppe gewählt. Im Juli 2015 wurde er für eine zweite Amtszeit bestätigt.

II. WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSPOLITIK SEIT 2008

a) Die Auswirkungen der Finanzkrise

Durch die Finanzkrise von 2008 stieg die Staatsverschuldung in den meisten EU-Mitgliedstaaten erheblich an. Der Euro schützte die schwächsten Volkswirtschaften während der Krise vor dem Risiko der Abwertung, als sie auf den globalen Finanzmärkten Angriffen von Spekulanten ausgesetzt waren.

Ein Mann und eine Frau in einem Strandrestaurant in Griechenland

Der Europäische Stabilitätsmechanismus hat den EU-Ländern geholfen, die von der Wirtschaftskrise besonders hart getroffen wurden, wie beispielsweise Griechenland.

Zu Beginn der Krise mussten viele in Not geratene Banken von den nationalen Regierungen gerettet werden. Dadurch nahm die öffentliche Verschuldung zu. Anschließend gerieten die Haushaltsdefizite in den Fokus der Aufmerksamkeit, da einige hoch verschuldete Länder mit steigenden Haushaltsdefiziten im Winter 2009/2010 besonders große Probleme hatten. Aus diesem Grund vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Dieser „Rettungsschirm“ kann zur Wahrung der finanziellen Stabilität im Euro-Raum Darlehen bis zu 500 Mrd. EUR vergeben, die durch die Euro-Länder abgesichert sind. Zwischen 2010 und 2013 haben fünf Länder (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern) Finanzhilfevereinbarungen mit den verschiedenen EU-Einrichtungen und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) getroffen. Diese Vereinbarungen waren auf die Gegebenheiten in dem jeweiligen Land zugeschnitten; gemeinsam waren ihnen allerdings meist Reformen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des nationalen öffentlichen Sektors. Irland war Ende 2013 das erste Land, das das vereinbarte wirtschaftliche Anpassungsprogramm erfolgreich abgeschlossen hatte und wieder anfing, sich Geld direkt auf dem Kapitalmarkt zu leihen. Auch Portugal und Spanien verbesserten ihre Lage, sodass die EU-Hilfe für diese Länder 2014 auslief. Zypern folgte 2016.

Griechenland hingegen hatte größere Schwierigkeiten bei der Umsetzung wirtschaftlicher Strukturreformen wie etwa einer Verschlankung des öffentlichen Sektors, Privatisierungen und der Schaffung eines langfristig tragfähigen Rentensystems. Diese Reformen wurden im Rahmen zweier Hilfsprogramme 2010 und 2014 vereinbart, die von der EU, der Europäischen Zentralbank und dem IWF mit insgesamt 226 Mrd. EUR finanziert wurden. Es bedurfte langer, komplexer Verhandlungen, bevor eine dritte Vereinbarung im Juli 2015 erzielt wurde, die sich auf die feste Zusage der griechischen Regierung stützte, Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Finanzen zu ergreifen und die Wirtschaft zu reformieren.

b) Stärkung des Euro

Als Beitrag zur Bewältigung der Krise brachten die EU-Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen auch jene Bestimmungen des Vertrags von Lissabon ins Spiel, mit denen die wirtschaftspolitische Steuerung der EU gestärkt werden soll. In einem Prozess, der als „Europäisches Semester“ bezeichnet wird, müssen die Mitgliedstaaten im Oktober eines jeden Jahres der Kommission die Entwürfe ihrer Haushaltspläne für das folgende Jahr vorlegen. Falls erforderlich, müssen sie sie im Lichte der Anmerkungen der Kommission anpassen oder andere Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, um die zuvor vereinbarten gemeinsamen Ziele zu erreichen. Die Voraberörterung der nationalen Haushaltsentwürfe, die Überwachung der nationalen Volkswirtschaften, strengere Regelungen im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit und die Anwendung von Sanktionen, wenn sich ein Land nicht an die finanziellen Regeln hält, bilden zunehmend die Grundlage für eine wirtschafts- und währungspolitische Steuerung des Euro-Raums.

Als Reaktion auf die globalen finanziellen und wirtschaftlichen Veränderungen muss die EU entschiedenere Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihre Haushalte verantwortlich verwalten und einander finanziell unterstützen. Nur so ist gewährleistet, dass der Euro als gemeinsame Währung glaubwürdig bleibt und dass die Mitgliedstaaten zusammen die wirtschaftlichen Herausforderungen der Globalisierung meistern. Sowohl die Kommission als auch das Europäische Parlament fordern eine Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Sozialpolitiken, da die gemeinsame Währung Europas ohne irgendeine gemeinsame wirtschaftspolitische Steuerung langfristig nicht tragfähig ist.

Im September 2015 stellte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine Vorschläge zur Stärkung des Euro-Raums vor. Sie stützen sich auf einen Bericht der Präsidenten der fünf EU-Organe, die mit dem Euro befasst sind. Der Plan umfasst ein gemeinsames System zu Garantie von Bankeinlagen, einen einzigen gemeinsamen Vertreter des Euro-Raums in globalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, ein demokratischeres und effizienteres System zur Überwachung der nationalen Haushalte, die Koordinierung der Fiskalpolitik und eine Grundlage für Sozialschutz- und Arbeitsmarktbestimmungen. Dies könnte letztlich in die Schaffung eines gemeinsamen Schatzamts („treasury“) für den Euro-Raum münden.

Die Europäische Zentralbank betrachtet es jetzt als Teil ihres Auftrags, die Wiederbelebung der Wirtschaft zu unterstützen. 2015 startete die Zentralbank die sogenannte „quantitative Lockerung“, bei der die Bank Anleihen, hauptsächlich Staatspapiere, kauft, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das senkt die Zinsen, was wiederum Investitionen begünstigt und die Schuldensituation der öffentlichen Hand verbessert. Es führt auch zu einem sinkenden Euro-Wechselkurs gegenüber anderen Währungen, was gut ist für die europäischen Exporte.

Kapitel 8: Digitale Wirtschaft: Investitionen und Wachstum

Kapitel 8: Digitale Wirtschaft: Investitionen und Wachstum

DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK DER EU SOLL

I. EUROPA IN DER KRISE

Anfang der 1990er-Jahre begann die Globalisierung, die Wirtschaft und den Alltag der Menschen weltweit zu revolutionieren. Sie führte zu einer zunehmenden Verflechtung der Volkswirtschaften. Das produzierende Gewerbe in Europa war starker Konkurrenz aus Schwellenländern ausgesetzt, insbesondere aus China und anderen asiatischen Staaten, deren niedrigeres Lohnniveau ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffte. Dadurch wurde das europäische Gesellschaftsmodell, das sich durch das Prinzip des Sozialstaats und durch einen hohen Lebensstandard auszeichnet, in seinen Grundfesten erschüttert.

Gleichzeitig jedoch eröffnete die technologische Revolution, unter anderem das Internet und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, neue Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten.

In jüngerer Zeit wurde die Welt von großen Finanz- und Wirtschaftskrisen erschüttert. Die Krisen nahmen ihren Ausgang im amerikanischen Finanzsektor mit der Hypothekenkrise, wobei die hohen Schuldenstände in Europa die Situation verschärften. Das verursachte einen drastischen Konjunktureinbruch und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Europa, die zur schwersten Krise seit der Weltwirtschaftskrise 1929 führten, die letztlich den Zweiten Weltkrieg heraufbeschworen hatte. Die sozialen Folgen der Rezession – die 2010 ihren Höhepunkt erreichte und seit 2014 nach Einsetzen eines moderaten Wachstums wieder abgenommen hat – waren an einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit abzulesen, vor allem in Südeuropa und bei der jungen Bevölkerung.

II. WAS WURDE AUF NATIONALER UND AUF EUROPÄISCHER EBENE GETAN?

Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft waren vor allem auf nationaler Ebene erforderlich. Oberste Priorität für die EU-Länder war die Senkung der Staatsverschuldung, die aufgrund höherer Sozialausgaben im Gefolge der Krise drastisch gestiegen war. Einige Länder verfolgten dieses Ziel rigoros, während andere sich mehr Zeit erbitten mussten, um das vereinbarte Defizitziel von höchstens 3 % zu erreichen. Es versteht sich von selbst, dass die politischen Entscheidungen, die die einzelnen Regierungen trafen, um die Krise zu bewältigen, direkte Folgen für ihre Bürgerinnen und Bürger hatten: Würden diese eine Anhebung des Rentenalters, Kürzungen bei der Erstattung von Gesundheitsleistungen und Abstriche bei der Qualität der Sozialdienste oder eine Modernisierung der öffentlichen Verwaltung akzeptieren? Oder wie beeinflussen die Militärausgaben ihre Sicherheit? Sollten sie gesenkt, auf einem bestimmten Niveau gehalten oder angesichts der angespannten internationalen Lage erhöht werden?

Auch die EU und ihre Institutionen haben sich in dieser Zeit aktiv um eine Wiederbelebung der Wirtschaft bemüht. Parallel zu den Maßnahmen zur Konsolidierung der Wirtschafts- und Währungsunion (siehe Kapitel 7) brachte die Kommission eine Reihe von Initiativen zur Steigerung der Produktivität und zur Erhöhung des sozialen Zusammenhalts auf den Weg.

Eine Gruppe junger Unternehmer diskutiert neue Ideen.

Junge Menschen haben es leichter, ein Unternehmen zu gründen, wenn sie auf einem effizienten europäischen Kapitalmarkt Investoren gewinnen können.

Im Rahmen dieser Strategie haben die 28 EU-Mitgliedstaaten vereinbart,

Jean-Claude Juncker trat 2014 das Amt des Kommissionspräsidenten mit einem ehrgeizigen Programm zur Förderung von Wachstum, Beschäftigung und Investitionen an. Er brachte die „Investitionsoffensive für Europa“ auf den Weg, die die Investitionen zwischen 2015 und 2017 um 315 Mrd. EUR steigern sollte. Möglich wurde das durch den neuen Europäischen Fonds für strategische Investitionen, der in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank geschaffen worden ist. Angesichts des Erfolgs dieses Fonds im ersten Jahr schlug Kommissionspräsident Juncker in seiner Rede zur „Lage der Union“ im September 2016 vor, die Laufzeit des Fonds zu verdoppeln und bis 2020 Investitionen in Höhe von 500 Mrd. EUR und bis 2022 von bis zu 630 Mrd. EUR zu mobilisieren. Der Fonds bürgt für Darlehen zur Finanzierung öffentlicher oder privater Investitionen, die andernfalls möglicherweise nicht erfolgt wären. Er hat einen bestimmten Betrag an öffentlichen Geldern als Startkapital zur Verfügung und zieht dank einer Multiplikatorwirkung Privatinvestitionen für dieselben Projekte an. Der Fonds konzentriert sich auf Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere in Hochgeschwindigkeits-Datennetze und Energienetze und in die Verkehrsinfrastruktur, in Bildung, Forschung und Innovation und in erneuerbare Energien sowie auf Investitionen in Kleinunternehmen. 2016 schlug die Europäische Kommission vor, dasselbe System auch für die Förderung von Investitionen in Afrika und in den Nachbarländern Europas zu nutzen.

III. EIN VERNETZTER DIGITALER BINNENMARKT

Das Internet und die Digitaltechnologie spielen eine wichtige Rolle für die Schaffung der Arbeitsplätze der Zukunft. Zwar nehmen die Europäer in einigen Bereichen eine Vorreiterrolle ein, doch werden nicht alle Möglichkeiten genutzt, die die Digitaltechnik Menschen und Unternehmen bietet. Bislang tätigen nur 15 % der EU-Bürger Online-Einkäufe in anderen Mitgliedstaaten. Internetfirmen und Start-ups schöpfen die Wachstumsmöglichkeiten im Online-Bereich nicht aus, beispielsweise verkaufen nur 7 % der Kleinunternehmen in andere Länder.

Ein Mädchen mit Kopfhörer, das auf einem Tablet spielt, sitzt neben einer älteren Frau im Zug.

Zugang zu Filmen, Musik und IT-Diensten aus anderen EU-Ländern – das ist der „digitale Binnenmarkt“.

Deshalb legte die Kommission 2015 einen Aktionsplan für einen vollständig digitalen Binnenmarkt auf. Dazu gehören die Koordinierung des Vertragsrechts für Online-Käufe im Interesse eines besseren Verbraucherschutzes, günstigere grenzüberschreitende Paketbeförderung, das Abstellen von „Geoblocking“ (das verhindert, dass ein Online-Dienst in allen Ländern angeboten wird), die Modernisierung des Urheberrechts und die Überarbeitung der Bestimmungen für Telekommunikationsunternehmen. Der Kommission zufolge könnten diese Maßnahmen in der EU ein zusätzliches Wachstum in einer Größenordnung von 415 Mrd. EUR jährlich generieren und 3,8 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen.

Kapitel 9: Was bedeutet es, Bürgerin oder Bürger der EU zu sein?

Kapitel 9: Was bedeutet es, Bürgerin oder Bürger der EU zu sein?

I. REISEN, LEBEN UND ARBEITEN IN EUROPA

Die Unionsbürgerschaft ist im EU-Vertrag verankert: „Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht“ (Artikel 20 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Doch was bedeutet die Unionsbürgerschaft in der Praxis?

Als Bürgerin oder Bürger der EU dürfen Sie überall in der Union reisen, leben und arbeiten.

Wenn Sie ein mindestens dreijähriges Hochschulstudium abgeschlossen haben, wird Ihr Abschluss in allen EU-Staaten anerkannt, denn die EU-Mitgliedstaaten haben Vertrauen in die Qualität der Bildungs- und Ausbildungsgänge der jeweils anderen.

Friseurinnen in einem Frisiersalon

Die europäischen Bürgerinnen und Bürger dürfen frei entscheiden, in welchem EU-Land sie leben und wo in der EU sie arbeiten möchten.

Sie können in jedem EU-Land im Gesundheits- und Bildungswesen sowie in anderen Bereichen des öffentlichen Sektors (ausgenommen Polizei, Streitkräfte usw.) arbeiten. Denn warum sollte ein deutscher Lehrer nicht Schülern in Rom die deutsche Sprache vermitteln oder ein frisch diplomierter belgischer Verwaltungswissenschaftler nicht an einem Auswahlverfahren für Verwaltungsbeamte in Frankreich teilnehmen können?

Für Reisen innerhalb der EU können Sie von den nationalen Stellen eine europäische Krankenversicherungskarte bekommen, sodass Sie bei einer Erkrankung in einem anderen Land besser abgesichert sind.

II. WIE KÖNNEN SIE IHRE RECHTE ALS UNIONSBÜRGER WAHRNEHMEN?

Als Bürgerin oder Bürger der Europäischen Union sind Sie nicht nur Arbeitnehmer oder Verbraucher: Sie verfügen auch über besondere politische Rechte. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht haben Sie beispielsweise, unabhängig von Ihrer Staatsangehörigkeit, in dem EU-Mitgliedstaat, in dem sich Ihr Wohnsitz befindet, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen sowie bei Wahlen zum Europäischen Parlament.

Außerdem können Sie seit 2012 die Kommission auffordern, eine Rechtsvorschrift vorzuschlagen, sofern Sie 1 Million Menschen aus einer festgelegten Anzahl von Mitgliedstaaten der Europäischen Union finden, die Ihre Petition mitunterschreiben.

III. GRUNDRECHTE

Das Bekenntnis der Europäischen Union zu den Bürgerrechten wurde im Dezember 2000 in Nizza mit der feierlichen Proklamation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch den Europäischen Rat bekräftigt. Diese Charta wurde von einem Konvent erarbeitet, dem Mitglieder der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments, Vertreter der nationalen Regierungen und ein Mitglied der Europäischen Kommission angehörten. Unter sechs Titeln – Würde des Menschen, Freiheiten, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und Justizielle Rechte – sind in 54 Artikeln die Grundwerte der Europäischen Union sowie die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der EU-Bürger niedergelegt.

Die ersten Artikel befassen sich mit der Würde des Menschen, dem Recht auf Leben und dem Recht auf Unversehrtheit sowie der Meinungs- und Gewissensfreiheit. Das Kapitel über Solidarität führt in innovativer Weise unter anderem folgende sozialen und wirtschaftlichen Rechte zusammen:

Darüber hinaus fördert die Charta die Gleichbehandlung von Mann und Frau und beinhaltet das Recht auf Datenschutz, das Verbot eugenischer Praktiken und das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen, das Recht auf ein hohes Umweltschutzniveau, die Rechte des Kindes und die Rechte älterer Menschen sowie das Recht auf eine gute Verwaltung.

Der Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, verleiht der Charta die gleiche Rechtskraft wie den Verträgen; folglich kann sie vor dem Gerichtshof der Europäischen Union geltend gemacht werden. Die Anwendung der Charta auf Polen und das Vereinigte Königreich ist jedoch durch ein Protokoll geregelt.

Artikel 6 des Vertrags von Lissabon bietet die Rechtsgrundlage für die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die EU. Die Konvention würde dann nicht mehr nur in den EU-Verträgen erwähnt, sondern hätte in den EU-Staaten Rechtskraft und würde somit den Schutz der Menschenrechte in der Europäischen Union verbessern.

IV. EUROPA BEDEUTET BILDUNG UND KULTUR

Das Gefühl, zusammenzugehören und ein gemeinsames Schicksal zu teilen, lässt sich nicht künstlich erzeugen. Es kann nur aus einem gemeinsamen kulturellen Bewusstsein erwachsen. Deshalb darf im Zentrum der europäischen Bemühungen nicht nur die Wirtschaft stehen, sondern Bildung, Unionsbürgerschaft und Kultur müssen eine ebenso wichtige Rolle spielen.

Die EU diktiert nicht, wie Schulen und Bildung zu organisieren sind oder wie die Lehrpläne aussehen sollten: Das wird auf nationaler oder lokaler Ebene entschieden. Die EU legt jedoch Programme zur Förderung von Austauschmaßnahmen im Bildungswesen auf (Erasmus+), damit junge Menschen im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihres Studiums ins Ausland gehen, neue Sprachen lernen und an gemeinsamen Aktivitäten mit Schulen und Hochschulen in anderen Ländern teilnehmen können. Es wird erwartet, dass im Zeitraum 2014-2020 über 4 Millionen Menschen in den Genuss einer solchen Förderung kommen können, da der Etat gegenüber den vorangegangenen Programmen um 40 % auf 16 Mrd. EUR erhöht worden ist.

Die Länder Europas arbeiten im Rahmen des „Bologna-Prozesses“ gemeinsam an der Schaffung eines europäischen Hochschulraums. Das bedeutet beispielsweise, dass Studiengänge in allen beteiligten Ländern zu vergleichbaren und gegenseitig anerkannten Abschlüssen (Bachelor, Master und Doktorgrad) führen.

Im Bereich Kultur fördert das EU-Programm „Kreatives Europa“ die Zusammenarbeit zwischen Fernsehprogrammgestaltern, Filmproduzenten, Radiosendern und kulturellen Einrichtungen aus verschiedenen Ländern. Hierdurch soll die europäische audiovisuelle Produktion stimuliert und ein Gegengewicht zur amerikanischen Produktion hergestellt werden.

Ein wesentliches Merkmal Europas ist seine Sprachenvielfalt, und die Bewahrung dieser Vielfalt ist der EU wichtig. Tatsächlich ist die Mehrsprachigkeit ein grundlegendes Element der Arbeitsweise der Europäischen Union. EU-Rechtsvorschriften müssen in allen 24 Amtssprachen vorliegen, und jeder Abgeordnete hat in den Debatten des Europäischen Parlaments das Recht, jede dieser Sprachen zu verwenden.

V. DER EUROPÄISCHE BÜRGERBEAUFTRAGTE UND IHR PETITIONSRECHT

Im Sinne einer größeren Bürgernähe sieht der Vertrag über die Europäische Union das Amt eines Bürgerbeauftragten vor, der vom Europäischen Parlament für die Dauer seiner Wahlperiode gewählt wird. Die oder der Bürgerbeauftragte geht Beschwerden gegen Organe und Einrichtungen der EU nach. Beschwerden können von jedem EU-Bürger und jeder in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen oder niedergelassenen Person bzw. Organisation vorgebracht werden.

Jede in einem EU-Mitgliedstaat wohnhafte Person kann auch eine Petition an das Europäische Parlament richten. Dies ist eine weitere wichtige Verbindung zwischen den Organen der EU und der Öffentlichkeit.

VI. ZUGEHÖRIGKEITSGEFÜHL

Das Konzept eines Europas der Bürger ist noch sehr neu. Bestimmte Symbole stehen bereits für eine gemeinsame europäische Identität, z. B. der 1985 eingeführte europäische Reisepass. Das Motto der EU lautet „Einheit in Vielfalt“, und am 9. Mai wird der Europatag gefeiert.

Die beiden wichtigsten EU-Symbole, die Europahymne (Beethovens „Ode an die Freude“) und die Europaflagge (zwölf kreisförmig angeordnete goldene Sterne auf blauem Grund), wurden ebenfalls 1985 eingeführt. Sie dürfen auch von Mitgliedstaaten, lokalen Behörden und einzelnen Bürgerinnen und Bürgern verwendet werden.

Ein Zugehörigkeitsgefühl zur Europäischen Union können die Bürger jedoch nur dann entwickeln, wenn sie wissen, was die EU macht und warum. Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten müssen unter Umständen sehr viel mehr tun, um eine Beziehung zu den Bürgerinnen und Bürgern aufzubauen, die die EU oft als weit entfernt und unzugänglich empfinden.

Außerdem müssen die Menschen sehen, dass ihnen die EU konkrete Vorteile bringt. Besonders deutlich wird dies an der täglichen Verwendung der Euro-Banknoten und -Münzen seit 2002. Da die Preise der Waren und Dienstleistungen in Euro angegeben sind, können sie von den Verbrauchern von Land zu Land direkt verglichen werden.

Durch das Schengener Abkommen sind die Grenzkontrollen zwischen den meisten EU-Ländern abgeschafft worden; dies gibt den Bürgern das Gefühl, dass sie zu einem einheitlichen geografischen Raum gehören.

Ein Zugehörigkeitsgefühl entsteht indes vor allem dadurch, dass die Bürger sich persönlich in die Entscheidungsprozesse der EU einbezogen fühlen. Jeder volljährige EU-Bürger hat bei Wahlen zum Europäischen Parlament das aktive und passive Wahlrecht – eine wichtige Grundlage für die demokratische Legitimation der EU. Die indirekte Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission bei den Europawahlen im Mai 2014, bei denen die politischen Parteien mit eigenen Kandidaten für das Amt in den Wahlkampf gingen, war ein Schritt, der das sogenannte „Demokratiedefizit“ allmählich abbauen dürfte. Gleichzeitig waren die Stimmengewinne der populistischen und europaskeptischen Parteien eine Warnung an die EU-Institutionen.

Ein Laptop und Akten, ein Teddy und eine Babyflasche auf einer Küchenablage

In der EU-Charta der Grundrechte ist unter anderem das Recht auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verankert.

Die Europäische Union wurde gegründet, um den Menschen in Europa zu dienen, und ihre Zukunft muss durch die aktive Beteiligung von Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen gestaltet werden. Die Gründerväter der EU waren sich dessen sehr bewusst. „Wir vereinigen keine Staaten, wir vereinen Menschen“, sagte Jean Monnet 1952. Die Sensibilisierung für die EU und die Beteiligung der Bürger an dem, was die EU tut, gehören auch heute noch zu den größten Herausforderungen, nicht nur für die EU-Organe, sondern auch für die Behörden der Mitgliedstaaten und die Zivilgesellschaft.

Kapitel 10: Ein Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Kapitel 10: Ein Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

I. FREIZÜGIGKEIT INNERHALB DER EU UND SCHUTZ DER AUSSENGRENZEN

Die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, überall in der Europäischen Union ohne Angst vor Verfolgung oder Gewalt in Freiheit zu leben. Dennoch ängstigt die Menschen in Europa heute nichts mehr als die internationale Kriminalität und der Terrorismus.

Durch Vertragsänderungen ist die Europäische Union schrittweise aktiver geworden auf diesem Gebiet, mit dem Ziel, einen einheitlichen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu schaffen.

Die Entscheidungsprozesse in diesen Bereichen wurden zuletzt durch den Vertrag von Lissabon, der im Dezember 2009 in Kraft trat, geändert. Bis dahin waren allein die Mitgliedstaaten für die Schaffung und Verwaltung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verantwortlich. Die Arbeit lag im Wesentlichen in den Händen des Rates (d. h. durch Gespräche und Vereinbarungen zwischen den Ministern), und die Kommission und das Parlament spielten nur eine untergeordnete Rolle. Durch den Vertrag von Lissabon hat sich das geändert: Die meisten Beschlüsse des Rates werden jetzt in Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit gefasst, das Parlament ist im Entscheidungsprozess ein gleichberechtigter Partner, und die Kommission hat ein gewisses Initiativrecht.

Die Freizügigkeit innerhalb der EU wirft für die Mitgliedstaaten Sicherheitsfragen auf, da die Kontrollen an den meisten Binnengrenzen der Union abgeschafft wurden. Als Ausgleich hierfür müssen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen an den Außengrenzen der EU ergriffen werden. Da die Freizügigkeit innerhalb der Union auch von Kriminellen ausgenutzt werden kann, müssen die nationalen Polizei- und Justizbehörden bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität zusammenarbeiten.

Einer der wichtigsten Schritte zur Erleichterung des Reiseverkehrs in der Europäischen Union erfolgte 1985, als Belgien, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg und die Niederlande im kleinen Luxemburger Grenzort Schengen vereinbarten, an ihren gemeinsamen Grenzen alle Personenkontrollen unabhängig von der Nationalität abzuschaffen, die Kontrollen an den Grenzen zu Nicht-EU-Ländern zu harmonisieren und eine gemeinsame Visumpolitik einzuführen. Damit schufen sie einen Raum ohne Binnengrenzen, den sogenannten Schengen-Raum. Nicht alle Bürger aus Nicht-EU-Ländern brauchen ein Visum für die Einreise in den Schengen-Raum. Die Europäische Union hat mit einer Reihe von Ländern Vereinbarungen geschlossen, die deren Staatsangehörige von der Visumpflicht befreien. In einer Notlage können Mitgliedstaaten für einen begrenzten Zeitraum wieder Grenzkontrollen einführen. Das ist in einigen Ländern nach dem plötzlichen Zustrom von Asylbewerbern 2015 und 2016 geschehen.

Die Schengen-Regelungen wurden Bestandteil der EU-Verträge und der Schengen-Raum im Lauf der Zeit ausgeweitet. 2017 wurden die Schengen-Bestimmungen von allen EU-Mitgliedstaaten außer Bulgarien, Irland, Kroatien, Rumänien, dem Vereinigten Königreich und Zypern vollständig angewandt. Dem Schengen-Raum gehören auch vier Nicht-EU-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz) an.

Flüchtlinge in einem Schlauchboot nähern sich dem Strand einer griechischen Insel.

Angesichts eines starken Anstiegs der Zahl der Asylsuchenden, die im Jahr 2015 nach Europa kamen, hat die EU viele neue Initiativen auf den Weg gebracht.

Die Verschärfung der Kontrollen an den Außengrenzen ist zu einer Priorität geworden. 2014 wurde die EU-Agentur Frontex mit Sitz in Warschau eingerichtet. Sie ist für die Koordinierung der operativen Zusammenarbeit an den Außengrenzen der EU zuständig. Die Mitgliedstaaten können ihr Schiffe, Hubschrauber und Flugzeuge für gemeinsame Patrouillen, beispielsweise in bestimmten Gebieten im Mittelmeerraum, zur Verfügung stellen. In Notlagen kann die Agentur auch „Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke“ zur Verfügung stellen, die sich aus Mitgliedern der nationalen Grenzschutzkräfte von EU-Ländern zusammensetzen. 2016 beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs, die Mittel der Agentur für Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken aufzustocken. Sie wurde in „Europäische Grenz- und Küstenwache“ umbenannt und nahm als solche im Oktober 2016 offiziell ihre Tätigkeit auf.

II. ASYL- UND EINWANDERUNGSPOLITIK

Europa ist stolz auf seine humanitäre Tradition und seine Bereitschaft, Flüchtlingen, die Gefahren und Verfolgung ausgesetzt sind, Asyl zu gewähren. Heute stehen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten jedoch vor der drängenden Frage, wie sie mit einer wachsenden Zahl legaler und illegaler Einwanderer in einem Raum ohne Binnengrenzen umgehen sollen.

Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, ihre Vorschriften zu harmonisieren, sodass Asylanträge auf der Grundlage einheitlicher, EU-weiter Prinzipien bearbeitet werden können. Es sind gemeinsame Mindeststandards für die Aufnahme von Asylbewerbern und für die Gewährung des Flüchtlingsstatus festgelegt worden.

In den letzten Jahren sind zahlreiche irreguläre Zuwanderer nach Europa gelangt. Die Bewältigung dieses Problems ist eines der vorrangigen Ziele der EU. Die Mitgliedstaaten arbeiten zusammen, um den Menschenschmuggel zu bekämpfen und gemeinsame Regelungen für die Rückführung illegaler Migranten festzulegen. Damit auf der anderen Seite die legale Zuwanderung besser koordiniert ist, regeln EU-Bestimmungen die Familienzusammenführung, den Status langfristig Aufenthaltsberechtigter und die Zulassung von Drittstaatsangehörigen, die in Europa studieren oder forschen möchten.

Der starke Anstieg der Zahl der Asylsuchenden, die sich 2015 und 2016 aus dem Nahen Osten und Afrika auf den Weg nach Europa machten und von denen mehrere Tausend auf tragische Weise bei der Überquerung des Mittelmeers ums Leben kamen, stellt die EU vor große Herausforderungen Die Asylfrage hat auch insofern eine neue Dimension erhalten, als es schwerer geworden ist, zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden. Die EU-Länder mit dem größten Zustrom an Asylsuchenden an ihren Küsten und in ihren Hoheitsgewässern, wie Griechenland und Italien, hatten sich von den anderen EU-Staaten mehr Solidarität und Unterstützung bei der Bewältigung dieses Problems erhofft. 2015 zeigte Deutschland von allen Mitgliedstaaten die größte Bereitschaft, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder vereinbarten eine Reihe von Maßnahmen zur Bewältigung dieser neuen Situation. So wurde unter anderem beschlossen, Asylbewerber aus Griechenland oder Italien auf andere EU-Länder zu verteilen und auch die Rückführung derjenigen, die kein Asyl erhalten können, zu beschleunigen. Die EU schloss eine Sondervereinbarung mit der Türkei über diese Fragen, da viele Asylsuchende über dieses Land nach Europa kamen. Die EU hat Experten anderer Länder entsandt, die bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme in den Ankunftsländern helfen sollen, die Kapazität der Europäischen Grenz- und Küstenwache für Such- und Rettungsaktionen und die Bekämpfung krimineller Netzwerke erweitert und eine Militärmission ins Mittelmeer entsandt.

2015, 2016 und 2017 wurden über 10 Mrd. EUR aus dem EU-Haushalt für Flüchtlingshilfe innerhalb und außerhalb der EU bereitgestellt.

III. BEKÄMPFUNG DER INTERNATIONALEN KRIMINALITÄT UND DES TERRORISMUS

Es sind koordinierte Maßnahmen notwendig zur Bekämpfung von Schleuserbanden und Menschenhändlern, die Geschäfte mit der Not von Schwachen und insbesondere von Frauen und Kindern machen.

Das organisierte Verbrechen wird immer raffinierter und nutzt für seine Aktivitäten regelmäßig europäische und internationale Netze. Der Terrorismus hat deutlich gezeigt, dass er überall in der Welt mit großer Brutalität zuschlagen kann.

Deshalb wurde das Schengener Informationssystem (SIS) eingerichtet, eine komplexe Datenbank, die den Polizei- und Justizbehörden einen Austausch von Fahndungsdaten ermöglicht, beispielsweise über Personen, die per Haftbefehl gesucht werden oder deren Auslieferung beantragt wurde, oder über gestohlene Gegenstände (z. B. Fahrzeuge oder Kunstwerke).

Eine der besten Möglichkeiten, Kriminelle dingfest zu machen, besteht darin, ihren illegalen Gewinnen nachzuspüren. Aus diesem Grund und um die Finanzierung von kriminellen und terroristischen Vereinigungen zu unterbinden, hat die EU Gesetze gegen die Geldwäsche verabschiedet.

Der bei Weitem größte Fortschritt, der in den letzten Jahren im Bereich der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz erzielt wurde, war die Schaffung von Europol; bei dieser EU-Agentur mit Sitz in Den Haag sind Polizei- und Zollbeamte tätig. Sie befassen sich mit der Bekämpfung der internationalen Kriminalität in ihren verschiedenen Ausprägungen: Drogenhandel, Handel mit gestohlenen Fahrzeugen, Schleuserkriminalität und illegale Zuwanderungsnetze, sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, Kinderpornografie, Markenpiraterie, illegaler Handel mit radioaktivem und nuklearem Material, Terrorismus, Geldwäsche und Geldfälschung.

Europa ist in jüngster Zeit Ziel islamistischer Terrorgruppen geworden, die mit Al-Qaida und dem sogenannten „Islamischen Staat“ in Verbindung stehen. Die Attentäter haben der Welt mit dem Angriff auf die Symbole grundlegender europäischer Werte wie der Religionsfreiheit und der Meinungsfreiheit einen Schock versetzt. Zu nennen sind hier die Terroranschläge auf die Mitarbeiter einer Satirezeitschrift in Paris im Januar 2015 und die Ermordung von Hunderten von Menschen bei mehreren Anschlägen in ganz Europa. Die Europäer stehen einem unberechenbaren Feind gegenüber, der häufig seine finanzielle und militärische Basis im Nahen Osten und in Afrika hat, und erwägen daher sowohl eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den europäischen Nachrichtendiensten als auch politische und militärische Maßnahmen außerhalb Europas.

Zu den von der Kommission vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen zählen die Schaffung eines Europäischen Kompetenzzentrums zur Bekämpfung der Radikalisierung, das Abschneiden der Terroristen von ihren Finanzierungsquellen durch Zusammenarbeit zwischen Finanzermittlungsdiensten sowie die intensivere Bekämpfung der Cyberkriminalität und der Verbreitung extremistischer Online-Propaganda.

Darüber hinaus wurden im Rahmen der Terrorismusbekämpfung in Europa u. a. Maßnahmen zur besseren Kontrolle von in die EU ein- und aus ihr ausreisenden Passagieren durch die Fluggesellschaften ergriffen. Diese sind jetzt verpflichtet, ihre Daten in Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records – PNR) zu erfassen, die unter bestimmten Bedingungen europaweit von der Polizei für die Terrorismusbekämpfung verwendet werden können.

IV. AUF DEM WEG ZU EINEM EUROPÄISCHEN RECHTSRAUM

Gegenwärtig existieren zahlreiche unterschiedliche Rechtsordnungen in der Europäischen Union. Internationales Verbrechen und Terrorismus machen jedoch nicht an Staatsgrenzen halt. Deshalb benötigt die EU einen gemeinsamen Rechtsrahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, Drogenhandel und Fälschungskriminalität, um für ihre Bürger ein Höchstmaß an Schutz zu gewährleisten und die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich zu verbessern. Die EU braucht außerdem eine gemeinsame EU-Strafverfolgungspolitik, damit die justizielle Zusammenarbeit der verschiedenen Länder nicht dadurch behindert wird, dass bestimmte strafbare Handlungen unterschiedlich definiert werden.

Drei EU-Grenzpolizeibeamte im Gespräch an einem Feldweg.

Die politischen Entscheidungsträger in der EU haben die europäische Grenz- und Küstenwache mit mehr Mitteln für den Schutz der EU-Außengrenzen ausgestattet.

Das wichtigste Beispiel für die praktische Zusammenarbeit in diesem Bereich ist Eurojust, eine im Jahr 2003 in Den Haag eingerichtete Koordinierungsstelle; sie ermöglicht die Zusammenarbeit nationaler Ermittlungs- und Vollzugsbehörden bei Strafermittlungsverfahren, die mehrere EU-Länder betreffen. Auf der Grundlage der Erfahrung von Eurojust auf diesem Gebiet hat der Rat beschlossen, einen Europäischen Staatsanwalt zu ernennen, dessen Aufgabe die Ermittlung und Verfolgung von rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU wäre.

Ein weiteres Instrument der praktischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist der im Januar 2004 eingeführte europäische Haftbefehl, der langwierige Auslieferungsverfahren überflüssig macht.

Im Bereich des Zivilrechts hat die EU Rechtsvorschriften erlassen, um die Anwendung von Gerichtsurteilen in grenzüberschreitenden Fällen von Scheidung, Trennung, Sorgerecht für Kinder und Unterhaltsansprüchen zu erleichtern, sodass die Urteile, die in einem Land ergangen sind, auch in einem anderen angewendet werden. Die EU hat einheitliche Verfahren festgelegt, um die Beilegung von grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten bei geringfügigen und eindeutigen zivilrechtlichen Ansprüchen wie Schuldeneinforderung und Insolvenz zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Kapitel 11: Die EU auf der weltpolitischen Bühne

Kapitel 11: Die EU auf der weltpolitischen Bühne

I. DIE GEMEINSAME AUSSEN- UND SICHERHEITSPOLITIK

Wirtschafts-, handels- und währungspolitisch ist die Europäische Union zu einem bedeutenden globalen Akteur geworden. Manchmal heißt es, die EU sei zwar ein wirtschaftlicher Riese, aber politisch nach wie vor ein Zwerg. So kann man dies jedoch nicht stehen lassen. Die Europäische Union hat erheblichen Einfluss in internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation, den Fachgremien der Vereinten Nationen und bei Weltgipfeln zum Thema Umweltschutz und Entwicklung.

Gleichwohl stimmt es, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten diplomatisch und politisch noch einen langen Weg zurücklegen müssen, bevor sie in wichtigen internationalen Fragen mit einer Stimme sprechen können. Darüber hinaus verbleiben die Verteidigungssysteme (die Grundpfeiler der nationalen Souveränität) in den Händen der nationalen Regierungen, die in Bündnissen wie der NATO zusammengeschlossen sind.

a) Aufbau eines europäischen diplomatischen Dienstes

Das außenpolitische Handeln der EU wird im Wesentlichen durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmt. Diese beiden Politiken wurden durch die Verträge von Maastricht (1992), Amsterdam (1997) und Nizza (2001) eingeführt. Sie bildeten die „zweite Säule“ der Europäischen Union, einen Politikbereich, in dem die Regierungen untereinander Maßnahmen vereinbaren und in dem Kommission und Parlament nur eine untergeordnete Rolle spielen. Entscheidungen in diesem Bereich müssen einvernehmlich getroffen werden, wobei sich einzelne Staaten enthalten können. Auch wenn durch den Vertrag von Lissabon das „Drei-Säulen-Modell“ abgeschafft wurde, blieb das Entscheidungsverfahren in Sicherheits- und Verteidigungsfragen unverändert; allerdings wurde durch die Einsetzung eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik das Profil der GASP geschärft.

Dieses Amt hat seit 2014 Federica Mogherini inne, die auch Vizepräsidentin der Europäischen Kommission ist. Sie hat die Aufgabe, den gemeinsamen Standpunkt der EU zu vertreten und in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen im Namen der EU aufzutreten. Unterstützt wird sie von den Beamten der EU und der Mitgliedstaaten, die den Europäischen Auswärtigen Dienst – de facto den diplomatischen Dienst der EU – bilden.

Ziel der EU-Außenpolitik ist es vor allem, für Sicherheit, Stabilität, Demokratie und Achtung der Menschenrechte zu sorgen, und zwar nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft (z. B. auf dem Balkan), sondern auch in anderen Krisengebieten in aller Welt, wie Afrika, dem Nahen Osten und dem Kaukasus. Das wichtigste Werkzeug hierbei sind „weiche Instrumente“ (soft power), etwa Wahlbeobachtungsmissionen, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Im Jahr 2015 stellte die EU humanitäre Hilfe im Wert von mehr als 1,5 Mrd. EUR bereit sowie seit Beginn des Krieges in Syrien weitere 5 Mrd. EUR an Flüchtlingshilfe. 60 % der weltweiten Entwicklungshilfe kommen von der EU; die bedürftigsten Länder der Welt werden im Kampf gegen die Armut und bei ihren Bemühungen unterstützt, ihre Bevölkerung zu ernähren, Naturkatastrophen zu verhindern, Zugang zu Trinkwasser zu schaffen und Krankheiten zu bekämpfen. Gleichzeitig fördert die EU in diesen Ländern aktiv die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte, die Unterstützung der Zivilgesellschaft und die Öffnung der Märkte für den internationalen Handel. Die Kommission und das Europäische Parlament legen besonderes Augenmerk darauf, eine verantwortungsbewusste und sachgerechte Verwaltung und Nutzung der Hilfsleistungen sicherzustellen.

Ist die EU bereit und in der Lage, über diese Diplomatie der „weichen Instrumente“ hinauszugehen? Hierin liegt die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Ein wichtiger konkreter Erfolg auf diplomatischer Ebene war die maßgebliche Rolle der EU beim Zustandekommen der Vereinbarung zwischen Iran und führenden Weltmächten im Jahr 2015 über das iranische Nuklearprogramm und die Aufhebung der seit vielen Jahren gegen das Land bestehenden Wirtschaftssanktionen.

Die EU spielt auch eine sehr aktive Rolle bei den internationalen Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien.

Dennoch haben viele Menschen den Eindruck, dass die gemeinsamen Erklärungen und Standpunkte des Europäischen Rates zu wichtigen internationalen Fragen häufig nur der kleinste gemeinsame Nenner sind. Die großen Mitgliedstaaten betreiben derweil weiterhin ihre eigene Diplomatie. Die Europäische Union wird jedoch nur dann als echter globaler Akteur anerkannt werden, wenn sie mit einer Stimme spricht. Die Glaubwürdigkeit und der Einfluss der EU wachsen, wenn sie ihre Wirtschaftskraft und ihre Handelsmacht mit der schrittweisen Umsetzung einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verbindet.

b) Greifbare Erfolge der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Seit 2003 kann die EU Operationen zur Krisenbewältigung durchführen, für die die Mitgliedstaaten freiwillig einen Teil ihrer Streitkräfte bereitstellen.

Die Verantwortung für die Durchführung dieser Maßnahmen liegt bei mehreren politisch-militärischen Gremien: dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee, dem Militärausschuss der Europäischen Union, dem Ausschuss für die zivilen Aspekte der Krisenbewältigung und dem Militärstab der Europäischen Union. Diese Gremien stehen unter Aufsicht des Rates und haben ihren Sitz in Brüssel.

Diese Instrumente geben der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Substanz. Mit ihnen kann die EU die Aufgaben erfüllen, die sie sich gestellt hat, nämlich humanitäre Hilfe sowie Herbeiführung bzw. Sicherung des Friedens. Dabei muss eine Duplizierung von NATO-Maßnahmen vermieden werden, was durch die Berlin-Plus-Vereinbarung zwischen der NATO und der EU gewährleistet wird, die der Europäischen Union Zugang zu den logistischen Ressourcen (Aufklärungs-, Kommunikations-, Kommando- und Transportstrukturen) der NATO gibt.

Seit 2003 hat die Europäische Union über 30 militärische Operationen und zivile Missionen gestartet. Die erste ging nach Bosnien und Herzegowina, wo EU-Truppen die NATO-Streitkräfte ablösten. Diese Einsätze unter der Europaflagge fanden bzw. finden auf drei Kontinenten statt. Hierzu gehören die Operation „Atalanta“ zur Bekämpfung der Piraterie vor der somalischen Küste im Golf von Aden, die Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo, die militärische Ausbildungsmission der EU in Mali, die EU-Katastrophenschutzmission für die Ukraine und der Marineeinsatz SOPHIA zur Bekämpfung des Menschenhandels im Mittelmeer.

Da die Militärtechnik immer komplexer und teurer wird, müssen die EU-Mitgliedstaaten zunehmend bei der Herstellung von Rüstungsgütern zusammenarbeiten – vor allem in einer Zeit, in der die Länder sich um die Verringerung der öffentlichen Ausgaben bemühen, um die Finanzkrise zu überwinden. Hinzu kommt, dass die Systeme kompatibel und die Ausrüstungen ausreichend genormt sein müssen, wenn Streitkräfte aus verschiedenen Ländern gemeinsame Missionen außerhalb Europas durchführen sollen. Deshalb beschloss der Europäische Rat im Juni 2003, zum Ausbau der militärischen Kapazitäten der EU eine Europäische Verteidigungsagentur zu errichten.

Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker hat darauf hingewiesen, dass längerfristig eine echte europäische Verteidigungspolitik entwickelt werden muss. Diese Sichtweise könnte mit der Zeit an Boden gewinnen, da immer mehr Europäer erkennen, dass ihre gemeinsamen Sicherheitsinteressen mit der Verteidigung ihrer Werte und ihrer strategischen Interessen verknüpft sein sollten. Keine Macht, ob groß oder klein, ist derzeit militärisch alleine in der Lage, die Sicherheit ihrer Bevölkerung in einer instabilen Welt zu garantieren.

II. EINE WELTOFFENE HANDELSPOLITIK

Die EU kann im Namen ihrer Mitgliedstaaten in Handelsfragen tätig werden. Ihre Bedeutung als Handelsmacht verleiht Europa erhebliches internationales Gewicht. Die EU bekennt sich zum Regelwerk der WTO, der 164 Länder angehören. Diese Regeln sorgen für ein gewisses Maß an Rechtssicherheit und Transparenz im Welthandel. Die WTO legt fest, unter welchen Bedingungen sich die Mitglieder gegen unfaire Praktiken – etwa den Verkauf unter Preis (Dumping) zwecks Ausschaltung der Konkurrenz – zur Wehr setzen können. Ferner bietet sie ein Verfahren, um Streitigkeiten zwischen zwei oder mehreren Handelspartnern beizulegen.

Die Handelspolitik der EU ist eng mit ihrer Entwicklungspolitik verknüpft. Im Rahmen ihres Allgemeinen Präferenzsystems gewährt die EU den Entwicklungs- und Übergangsländern zollfreien oder präferenziellen Zugang zu ihrem Markt. Für die 49 ärmsten Länder der Welt geht dieses System sogar noch weiter: Alle ihre Ausfuhren, mit Ausnahme von Waffen, erhalten zollfreien Zugang zum EU-Markt.

Mit ihren wichtigsten Handelspartnern unter den Industrieländern, beispielsweise den USA und Japan, hat die EU indessen keine spezifischen Handelsabkommen. Bisher greifen hier die WTO-Mechanismen, doch wird über bilaterale Abkommen verhandelt. Ein Handelsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union wurde 2014 fertig verhandelt und im Oktober 2016 von den beiden Parteien unterzeichnet.

2013 nahmen die EU und die USA Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen auf, das unter der Bezeichnung TTIP bekannt ist. Darin werden Fragen wie Zollschranken, die Harmonisierung von Normen, der Zugang zu öffentlichen Aufträgen, die Anerkennung von Ursprungsbezeichnungen und die Streitbeilegung behandelt. Zusammen stehen die beiden Partner für 40 % des Welthandels und 800 Millionen Verbraucher. Eine andere wichtige Funktion des Abkommens: Es soll sicherstellen, dass weltweit angewandte Normen künftig nicht von anderen Wettbewerbern, etwa China, festgelegt werden. Die EU besteht auf hohen Standards für die Lebensmittelsicherheit, den Sozialschutz, den Datenschutz und die kulturelle Vielfalt. Falls das Abkommen in Kraft tritt, dürfte es zu einem Anstieg des Wirtschaftswachstums in den EU-Ländern führen.

Die Europäische Union intensiviert ihren Handel mit den Schwellenländern in anderen Teilen der Welt, beispielsweise mit China und Indien sowie mit den Ländern Mittel- und Südamerikas. Die Handelsabkommen mit diesen Ländern umfassen auch die technische und kulturelle Zusammenarbeit. China ist nach den USA inzwischen der zweitgrößte Handelspartner der EU und das Land, aus dem sie am meisten importiert. Für Russland ist die Europäische Union wichtigster Handelspartner und größter ausländischer Investor. Allerdings hat die Europäische Union gegen Russland wegen der Annexion der Krim im Jahr 2014 Wirtschaftssanktionen verhängt, die zu ernsthaften Störungen der Handels- und Investitionsströme geführt haben.

Eine Landarbeiterin in Uganda prüft eine Bananenpflanze.

Die EU setzt sich weltweit für eine Öffnung der Märkte und die Entwicklung des Handels ein.

III. ENTWICKLUNGSPOLITIK UND AFRIKA

Die Beziehungen zwischen Europa und den afrikanischen Ländern südlich der Sahara haben eine lange Tradition. Mit dem Vertrag von Rom im Jahr 1957 wurden die damaligen Kolonien und die überseeischen Länder und Gebiete der Mitgliedstaaten mit der Gemeinschaft assoziiert. Mit der Entkolonialisierung, die Anfang der 1960er-Jahre einsetzte, wurden daraus Assoziationen mit souveränen Staaten.

Das im Jahr 2000 in der Hauptstadt Benins unterzeichnete Cotonou-Abkommen markiert den Beginn einer neuen Phase in der Entwicklungspolitik der EU. Dieses Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Ländern Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raums (AKP) – das ehrgeizigste und umfassendste Handels- und Hilfsabkommen, das je zwischen Industrie- und Entwicklungsländern geschlossen wurde – ist der Nachfolger des 1975 in der togolesischen Hauptstadt unterzeichneten und anschließend mehrfach aktualisierten Lomé-Abkommens.

Das Abkommen stellt die Handelsbeziehungen, die bis dahin auf der Öffnung des Marktzugangs basierten, auf eine viel breitere Grundlage und greift damit deutlich weiter als das frühere Abkommen. Außerdem regelt es den Umgang mit Menschenrechtsverletzungen neu.

Im Rahmen der EU-Taskforce zur Bekämpfung somalischer Piraten nehmen schwedische Marinesoldaten an einer gemeinsamen Übung mit einem schwedischen Kriegsschiff teil.

Die EU führt zivile und militärische friedenssichernde Maßnahmen durch, z. B. diese Operation zur Bekämpfung der Piraterie vor der somalischen Küste.

Den am wenigsten entwickelten Ländern, darunter 39 Unterzeichnern des Cotonou-Abkommens, räumt die Europäische Union besondere Handelserleichterungen ein. Seit 2005 können sie nahezu alle Erzeugnisse zollfrei in die EU ausführen.

Zwar hat diese traditionelle EU-Politik sich positiv für Afrika ausgewirkt, sie genügt aber nicht den gegenwärtigen Anforderungen. Die Volkswirtschaften großer Teile Afrikas südlich der Sahara sind gewachsen und haben es geschafft, ihre enormen natürlichen Ressourcen für die Verbesserung ihrer Infrastruktur und die Erhöhung des Lebensstandards zu nutzen. Andere Regionen werden jedoch von Krieg, Unruhen und Diktaturen heimgesucht. Die gesamte Sahel-Region unmittelbar südlich der Sahara ist destabilisiert worden: Religiöse Fanatiker wie die Boko-Haram-Gruppierung verbreiten weiter Terror, und die Lage am Horn von Afrika ist von Bürgerkrieg und Diktaturen geprägt.

Dies führt zu politisch motivierter Flucht. Weitere Gründe, weswegen Menschen versuchen, nach Europa zu gelangen, sind die durch den Klimawandel verursachte Dürre und das Bevölkerungswachstum. Deshalb hat die EU ein großes Interesse daran, neben der Leistung humanitärer Hilfe eine umfassendere Strategie zu verfolgen, mit der auf dem afrikanischen Kontinent Wirtschaftswachstum generiert und die Bevölkerungsbewegungen stabilisiert werden sollen. Zudem würde eine gemeinsame europäische Zuwanderungspolitik den längerfristigen Bedarf an neuen Arbeitskräften in Europa decken, wo die Bevölkerung älter wird.

Kapitel 12: Welche Zukunft für Europa?

Kapitel 12: Welche Zukunft für Europa?

„Europa wird nicht von heute auf morgen und nicht aus einem Guss entstehen. Vielmehr werden greifbare Erfolge eine zunächst faktische Solidarität erzeugen.“ Dies sagte Robert Schuman sinngemäß in seiner berühmten Erklärung, mit der am 9. Mai 1950 das europäische Einigungswerk seinen Anfang nahm. Fast 70 Jahre später haben seine Worte nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Die Solidarität zwischen den Menschen und Nationen Europas muss laufend an die neuen Herausforderungen einer sich stetig wandelnden Welt angepasst werden.

Das war in der Geschichte der Europäischen Union schon immer so. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ging es hauptsächlich darum, die Produktion zu steigern und dafür zu sorgen, dass alle genug zu essen hatten. Die Vollendung des Binnenmarkts Anfang der 1990er-Jahre war eine große Errungenschaft. Später wurden, um den Markt effizienter zu machen, der Euro eingeführt und die Europäische Zentralbank gegründet. Gleichzeitig bemühte man sich intensiv, die Wunden der von den kommunistischen Regimes verursachten Spaltung während des Kalten Krieges zu heilen. Die Finanzkrise, die 2008 einsetzte, zeigte, dass der Euro durch Angriffe von internationalen Spekulanten gefährdet war. Um dem entgegenzuwirken, beschlossen die EU-Länder eine engere Koordinierung ihrer nationalen Wirtschaftspolitiken und leiteten die Schaffung einer Bankenunion ein. In jüngster Zeit haben Sicherheits- und Zuwanderungsfragen die politische Tagesordnung in Europa beherrscht.

Jean Monnet, der große Architekt der Europäischen Integration, schloss seine 1976 veröffentlichten Memoiren mit den Worten: „Die souveränen Nationen der Vergangenheit können die Probleme der Gegenwart nicht mehr lösen: Sie können weder ihren eigenen Fortschritt sichern noch ihre eigene Zukunft steuern. Und die Gemeinschaft selbst ist nur eine Etappe auf dem Weg zu den Organisationsformen der Welt von morgen.“ Müssen wir im Jahr 2017 die Europäische Union angesichts der Globalisierung als politisch überholt betrachten? Oder sollten wir uns vielmehr fragen, wie sich das volle Potenzial von über einer halben Milliarde Europäerinnen und Europäern mit gemeinsamen Werten und Interessen ausschöpfen ließe?

Die Europäische Union hat fast 30 Mitgliedstaaten mit sehr unterschiedlicher Geschichte, Sprache und Kultur und großen Unterschieden im Lebensstandard. Kann eine so vielfältige Völkerfamilie einen gemeinsamen politischen „öffentlichen Raum“ bilden? Können ihre Bürgerinnen und Bürger ein „europäisches Identitätsgefühl“ entwickeln und sich gleichzeitig eine tiefe Verbundenheit zu ihrem Land, ihrer Region und ihrer lokalen Gemeinschaft bewahren? Gelingen kann das, wenn die heutigen Mitgliedstaaten dem Beispiel der ersten Europäischen Gemeinschaft folgen, die aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs erstand. Ihre moralische Legitimation gründete sich auf die Versöhnung und die Festigung des Friedens zwischen ehemaligen Feinden. Sie befolgte den Grundsatz, dass alle Mitgliedstaaten, ob groß oder klein, gleiche Rechte hatten, und achtete Minderheiten.

Lässt sich eine Weiterverfolgung der europäischen Integration auch künftig damit begründen, dass die Mitgliedstaaten und ihre Menschen alle dasselbe wollen? Oder werden die Staats- und Regierungschefs zunehmend das Modell der „verstärkten Zusammenarbeit“ nutzen, nach dem Ad-hoc-Gruppen von Mitgliedstaaten ohne die anderen in die eine oder andere Richtung vorangehen können? Eine zunehmende Zahl solcher Regelungen könnte zu einer Situation führen, in der jeder Mitgliedstaat selbst entscheiden darf, ob er eine bestimmte Politik verfolgen oder sich an einer bestimmten Institution beteiligen will. Diese Lösung mag durch ihre Einfachheit bestechen, doch die EU fußt seit jeher auf dem Konzept der Solidarität; das bedeutet, dass nicht nur die Vorteile, sondern auch die Kosten geteilt werden, dass gemeinsame Regeln gelten und dass eine gemeinsame Politik verfolgt wird.

Zwei Kleinkinder sitzen auf dem Boden und spielen mit Spielzeugbausteinen.

Europäerinnen und Europäer müssen heute zusammenarbeiten, damit sie morgen eine Zukunft haben.

Zugleich hat die jüngste Wirtschaftskrise gezeigt, dass sich die Euro-Länder in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis befinden, weswegen sie als Kerngruppe innerhalb der EU agieren. Die Europäische Kommission hat eine verstärkte Integration des Euro-Raums vorgeschlagen mit einer Stärkung der Rolle der EU in der Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik, aber auch mit einer stärkeren Legitimierung und demokratischen Rechenschaftspflicht dieser Politiken. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Schritt nach vorne bei der Qualität, der den Euro-Raum zu einem Raum mit einer gemeinsamen wirtschaftspolitischen Steuerung macht, der gesamten Union neue Dynamik verleiht und daher dem ganzen Kontinent zugutekommt.

Die jüngsten Ereignisse machen deutlich, dass in Bereichen, die traditionell in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, mehr europäische Zusammenarbeit nötig ist, nämlich in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, im Bereich Justiz und Inneres und insbesondere in der Flüchtlingsfrage. Das dürften die Bereiche sein, in denen auf die EU die größten Herausforderungen zukommen und wo sie gemeinsame Lösungen finden muss, die den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl größerer Sicherheit geben und ihr Vertrauen in die Europäische Union wiederherstellen.

Die Globalisierung zwingt Europa nicht nur zum Wettbewerb mit seinen traditionellen Konkurrenten (Japan und USA), sondern auch mit schnell wachsenden Wirtschaftsmächten wie Brasilien, China und Indien. Kann Europa weiterhin den Zugang zu seinem Binnenmarkt beschränken, um seine Sozial- und Umweltstandards zu schützen? Selbst wenn Europa dies täte, könnte es der harten Realität des internationalen Wettbewerbs nicht entrinnen. Daher ist wahrscheinlich, dass viele Kräfte Europa weiterhin dazu drängen werden, ein echter globaler Akteur zu werden und seine Interessen wirksam durchzusetzen, indem es auf der internationalen Bühne geschlossen auftritt und mit einer Stimme spricht.

Gleichzeitig fordern viele Europäerinnen und Europäer, die EU müsse bürgernäher werden. Das Europäische Parlament, das mit jedem neuen Vertrag mehr Befugnisse erhalten hat, wird alle fünf Jahre in allgemeiner Wahl direkt gewählt. Die Wahlbeteiligung in den einzelnen Ländern ist jedoch unterschiedlich und insgesamt oft gering. Die EU-Organe und die nationalen Regierungen sind jetzt gefordert, bessere Möglichkeiten zur Information und zur Kommunikation mit der Bevölkerung (durch Bildung, NRO-Netze usw.) zu finden und so das Entstehen eines gemeinsamen europäischen öffentlichen Raums zu fördern, in dem die EU-Bürger die politische Agenda mitgestalten können. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben, die die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen bewältigen müssen, wenn sie der Europaskepsis entgegenwirken wollen, die den Populismus befördert und die Demokratie schwächt.

Eine der größten Stärken der EU ist ihre Fähigkeit, europäische Werte über ihre Grenzen hinaus zu verbreiten: Dazu zählen die Achtung der Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit, der Umweltschutz und eine freie Wirtschaft mit einem stabilen, strukturierten Rahmen sowie die Aufrechterhaltung sozialer Standards. Wie andere Regionen der Welt Europa sehen und ob sie Europa als Vorbild betrachten, wird davon abhängen, inwieweit Europa in der Lage ist, seine Werte aufrechtzuerhalten.

Die Frage, ob die EU ihre Ziele erreicht und greifbare Ergebnisse geliefert hat, können wir nur beurteilen, wenn wir Antworten auf Fragen wie diese geben:

Wenn all das gelingt, dann wird Europa weiterhin Achtung genießen, und die übrige Welt wird sich auch weiterhin von Europa inspirieren lassen.

Chronik der europäischen Einigung

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Manuskript aktualisiert im August 2017

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